Die University of London (SOAS) hat im April eine Studie veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kommt, dass Fairtrade den Landarbeitern dort keine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen bringt. Ihre Löhne seien um bis zu 40 Prozent geringer als in konventionellen Betrieben. Auch hätten die Lohnarbeiter keinen Zugang zu Schulen oder Kliniken. Ihre Organisation fühlte sich ungerecht behandelt. Warum?
In der Studie wurden Äpfel mit Birnen verglichen. Es wurden unter anderem große Plantagen, die zu multinationalen Unternehmen gehören, mit kleinen Teekooperativen verglichen. Wir finden den Vergleich unfair zwischen einer solchen hochprofitablen Plantage und den Bedingungen die dort herrschen und einer Kleinbauernkooperative, wo die Bauern wirklich am Ende der Skala sind und zudem weniger als ein Prozent Faitrade umsetzen. Das heißt, die Kooperative muss 99 Prozent ihrer Ernte zu Weltmarktpreisen verkaufen, die nicht auskömmlich sind. In den untersuchten Gegenden sind die Bauern selbst schon bettelarm und müssen dennoch während der Erntezeit Arbeiter beschäftigen. Dass die das nicht zu den Bedingungen einer großen Plantage machen können, die zu einem internationalen Konzern gehört, liegt auf der Hand. Für den Zutritt zu Schulen oder Kliniken gilt das Gleiche. Wie soll man den für die Lohnarbeiter schaffen, wenn die Bauern schon selbst nichts zu essen haben? Die Bedingungen, die dort herrschen, werden nun Faitrade zugeschrieben, obwohl sie Ausdruck einer generellen Armutssituation von Kleinbauern sind.
Die Wissenschaftler haben kritisiert, dass die Situation sich nicht verbessert, unabhängig davon wie groß die betrachteten Unternehmen sind.
Die Möglichkeiten, die Fairtrade schaffen kann, hängen sehr stark davon ab, welches Volumen der Ernte über Fairtrade abgesetzt werden kann und welches Volumen an Prämien es gibt. In der Londoner Studie wurden wie gesagt Kooperativen betrachtet, die nur einen sehr kleinen Teil ihrer Ernte über Fairtrade abgesetzt haben. Eine unabhängige Studie des Ceval-Institut in Saarbrücken aus dem vergangenen Jahr kam zu dem Ergebnis, dass Betriebe 30 bis 50 Prozent ihres Anteils nach Fairtrade-Bedingungen absetzen müssen. Erst dann erfolgen signifikante Schritte in der ländlichen Entwicklung und die Wirksamkeit von Fairtrade wird sicht- und spürbar wird. Wenn in marginalen Strukturen Fairtrade-Prämien e nur für einen Ballen Tee oder einen Sack Kakao fließen, können von dem Geld keine Schulen gebaut werden.
Lassen Sie die Kritik also gar nicht gelten?
Fairtrade arbeitet intensiv an der Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern. Die Herausforderung ist groß und wir arbeiten gleichzeitig an vielen „Baustellen" - auch an einigen, auf die sich der SOAS-Bericht bezieht. Dazu gehört auch die seit Januar 2014 neu eingeführte Verpflichtung, Fairtrade-zertifizierter Plantagen, schrittweise existenzsichernde Löhne einzuführen. Eine weitere „Baustelle" ist der Status von Arbeitern, die dauerhaft bei kleinbäuerlichen Kooperativen angestellt sind. Auch hier ist die schrittweise Einführung existenzsichernder Löhne das Ziel. Wir sind uns dieser Dinge bewusst, soll heißen: Mit einer Zertifizierung allein ist es nicht getan. Allein weil eine Plantage Fairtrade-zertifiziert ist, herrscht vor Ort nicht automatisch eine ideale Situation. Es gibt Dinge, die müssen dann erfüllt sein, wie etwa das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit. Aber nur mit einem Verbot allein kann man das Problem der Kinderarbeit nicht bewältigen. Wir wissen, dass es auch trotz Verbot jahrelange Arbeit benötigt, um in allen Dörfern etwa der Elfenbeinküsten oder Ghana Kinderarbeit zu tabuisieren und gleichzeitig den Eltern genug Mittel an die Hand zu geben, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken können, anstatt aufs Feld.
Unternimmt ihre Organisation denn etwas, um auch die Situation der Lohnarbeiter zu verbessern?
Generell hatten wir bereits vor dieser Studie die Situation von Landarbeitern auf dem Schirm. Anfang 2014 haben wir die Rechte für lohnabhängige Beschäftigte massiv gestärkt, darunter auch die schrittweise Anhebung der Löhne. Nun arbeiten wir an der Umsetzung. Das ist kein einfaches Unterfangen, wenn Sie sich einmal die Diskussion um Mindestlöhne allein in einem Wohlstandsland wie Deutschland ansehen. Ein nächster Schritt wird sein, dass die Situation von abhängig Beschäftigten in Kooperativen behandelt wird. Aber auch hier gibt es extreme Unterschiede. Eine Bananenkooperative in der Dominikanischen Republik kann zum Beispiel ihre Bananen zu 100 Prozent Fairtrade verkaufen und somit ein hohe, zum Teil fünfstellige, Fairtrade-Prämie erhalten. Oder eine Kaffeekooperative in Peru, wo hochvolumig abgesetzt wird und die dort sogar Kreditgenossenschaften gründen, um unabhängig zu sein von den Halsabschneidern, die Geld verleihen. Da sind die Möglichkeiten, die Arbeiter partizipieren zu lassen, ungleich höher als in dem Beispiel der Teekooperative in Uganda, die weniger als ein Prozent vertreibt, wo wir über eine Prämie von ein paar hundert Euro sprechen und vor Ort eine desolate Situation herrscht, wie es heute der Realität der allermeisten Kleinbauern in Ostafrika entspricht. Seit einigen Monaten hat Fairtrade ein neues Kakaoprogramm.
Das Siegel ähnelt sehr dem Fairtrade-Siegel, aber um es zu bekommen genügt es für den Schokoladenhersteller, wenn eine einzelne Zutat, also der Kakao, Fairtrade-zertifiziert eingekauft wird. Das weicht von dem ursprünglichen Prinzip ab, das alle im Fairen Handel verfügbaren Zutaten in der Schokolade verarbeitet werden. Was soll das bringen?
Wir haben in Deutschland seit zehn Jahren kontinuierlich einen Umsatz, der meist im zweistelligen Bereich liegt. Das ist toll. Aber es gibt Produktkategorien wie Kakao, Baumwolle oder Zucker, wo wir bislang generell sehr niedrige Volumina absetzen. Bei Kakao lag unser Marktanteil in Deutschland bei 0,2 Prozent: Was kann man damit in Westafrika verändern? Deswegen haben wir ein neues Programm eingeführt, um weitere Absatzmöglichkeiten zu schaffen. Hier gibt es die Möglichkeit, dass zum Beispiel Lidl eine bestimmte Menge an Kakao für seine Müslis nach Fairtrade-Kriterien bezieht und die entsprechenden Prämien zahlt. Und wir ermöglichen Lidl, auf Cerealien, in denen dieser Kakao enthalten ist, ein Fairtade-Label zu nutzen. Das ist deutlich von dem Standard-Label für vollbesiegelte Produkte zu unterscheiden. Das bedeutet dann, dass Lidl die gesamte Menge Kakao, die die Kette für ihr Müsli kauft, nach Fairtrade-Kriterien bezieht. Da kommt einiges zusammen. Bislang haben wir solche Vereinbarungen etwa mit Rewe, Kaufland und Lidl.
Was bedeutet „signifikante Menge"? Kann das Unternehmen das jeweils einzeln aushandeln?
Einzelne Unternehmensmengen unserer Lizenznehmer nennen wir generell nicht. Die Gesamtmenge der genannten Unternehmen beträgt 7.000 Tonnen für dieses Jahr. Das ist schon ein Unterschied zu den 1.400 Tonnen, die wir vergangenes Jahr insgesamt in Deutschland abgesetzt haben. Das klingt ein bisschen nach Fairtrade „light", als ob sich die Unternehmen die Rosinen rauspicken können? Keineswegs. Unsere Standards im Süden bleiben zu 100 Prozent bestehen. Hier ist ein Umdenken notwendig, denn wir stellen dem bekannten Produktsiegel ein Programmsiegel zur Seite, das eine Unternehmenskooperation zum Ausdruck bringt. Jetzt können Unternehmen zusätzlich Fairtrade-Kakao oder Fairtrade-Zucker als Einzelrohstoff beziehen und über mehrere Sortimente hinweg oder für die Gesamtproduktion verwenden. Bei dem Müsli kommen sie auf zehn bis 15 Prozent Kakaoanteile auf das ganze Produkt. Da kann man auf der einen Seite sagen, im Gesamtverhältnis zum Produkt ist das wenig. Wenn die Rezeptur ansonsten Milch, Korn etc. vorsieht wo wir auch keinen ökologischen Unsinn betreiben wollen, weil Produkte aus fernen Ländern importiert werden müssen, gab es bisher keine Möglichkeit, Fairtrade zu integrieren. Mit dem Programmsiegel können wir nun Märkte für Kakao- und Zuckerproduzenten öffnen und über das Gesamtsortiment Müsli hinweg spürbare Effekte im Süden auslösen.
Ob das auch dem Verbraucher bewusst ist?
Es ist uns bewusst, dass es eine kommunikative Herausforderung ist, Konsumenten den Unterschied zwischen einem Produktsiegel, wo alle möglichen Zutaten aus Faitrade stammen müssen und den Unternehmenskooperationen, zu vermitteln. Wir bemühen uns, um größte Transparenz und Klarheit.
Steht nicht zu befürchten, dass dieser Zutatenmix eine Preisspirale nach unten begünstigt, womit ja auch die Biobranche derzeit kämpft?
Ich bezweifle, dass auf diese Weise eine Schokolade günstiger produziert werden kann. Wenn Lidl seine mittelpreisige Schokolade Fin Carré auf Fairtrde umstellt, wird sie für Lidl teurer, weil sie für den Kakao die festgesetzten Fairtrade-Preise bezahlen muss.
Dennoch gab es auch in den eigenen Reihen von Fairtrade harte Kritik für das neue Programm. Können Sie das verstehen?
Wir haben jahrelang darüber diskutiert, wie wir Absatzmöglichkeiten für Kakaobauern etwa von der Elfenbeinküste schaffen können, die zwar zertifiziert sind, aber in ihrem ganzen Leben noch keinen Sack Kakao über Fairtrade abgesetzt haben. Die haben uns zu Recht Druck gemacht, wir sollen uns endlich mal was einfallen lassen. Mit den derzeitigen 0,2 Prozent können wir die Arbeits- und Lebensbedingungen der Kakobauern in der Elfenbeinküste nicht verändern. Wir haben gemerkt, dass eine zweite Kooperationsmöglichkeit neben dem Produktsiegel ermöglicht werden muss, sonst bleiben wir im beschriebenen Promille-Nirvana. Mehr und mehr Unternehmen sind bereit, mit Fairtrade zusammenzuarbeiten - aber nur wenn wir hier zu einem anderen Modell kommen.
Bleibt es bei dem Kakao-Programm?
In einem weiteren Schritt werden wir das Gleiche beim Zucker versuchen. Es gibt ja Produkte wie Softdrinks oder Marmeladen, wo relativ viel Zucker benötigt wird. Die würden nie die Kriterien eines normal besiegelten Fairtrade-Produktes erfüllen. Aber wenn wir mit einem dieser Getränke- oder Marmeladenhersteller zu einer Vereinbarung kommen, dass sie für eine bestimmte Sorte die gesamte Menge Zucker Faitrade beziehen, dann würden wir das genauso wie beim Kakao machen. Wir sind derzeit auch in vielversprechenden Gesprächen in Sachen Baumwolle. Denn in Westafrika gibt es eine vergleichbare Situation, dass Bauern komplett auf ihrer Ernte sitzen bleiben, weil sie gegenüber zum Beispiel indischer oder auch hochsubventionierter US-Baumwolle kaum Wettbewerbschancen haben. Hier geht es genauso darum, Unternehmen zu finden, die bereit sind, einen relevanten Teil ihrer Einkäufe - wir reden hier von mindestens fünf Prozent - auf Fairtrade umzustellen. Dabei gibt es dann kein Fairtrade Cotton Siegel auf dem T-Shirt, sondern es kann in genauer Absprache auf die Kooperation hingewiesen werden.
Fairtrade-Zucker in Lidl-Produkten. Ist das die alte Frage danach, ob es das Richtige im Falschen geben kann?
Was heißt hier falsch? Ich glaube, die Ansprüche an Fairtrade werden da etwa zu hoch gesetzt. Fairtrade hat nicht die Macht Konzernen wie Mars oder Lidl umzukrempeln. Wir sind kein Unternehmens-TÜV oder eine Gewerkschaft. Wir haben den Fokus auf dem Süden, auf den benachteiligten Produzenten. Unsere Aufgabe ist es, dass bestimmte Rohstoffe in hoffentlich relevanteren Mengen nach 100-prozentigen Fairtrade-Bedingungen verkauft werden, um die teils katastrophale Lage der Kleinbauern zu verbessern. Wir machen keinerlei Kompromisse was die Produktion und den Verkauf unter Fairtrade-Bedingungen angeht. Aber ich kann nicht Mars vorschreiben, wie er sein Gesamtgeschäft führt oder aus Aldi einen Eine-Welt-Laden machen. Da ist auch der Verbraucher gefragt. Es gibt ja Umfragen, wonach die Hälfte der Menschen zum Beispiel keine ausbeuterischen T-Shirts kaufen wollen. Wenn ich aber die Bilder von der Primark-Eröffnung in Köln vor Augen habe, als Tausende von Leuten den Laden bei der Eröffnung gestürmt haben, dann ist die Einkaufsrealität doch eine andere. Wir werden mit Fairtrade erfolgreicher - und werden dann auch mehr kritisiert, wie es scheint. Aber Kritik ist ja auch ein Zeichen von Relevanz. Wir arbeiten daran, unseren Marktanteil weiter zu erhöhen, um die Bauern und Arbeiter in den Entwicklungsländern schneller voranzubringen. Wir wissen aber auch, dass wir im Umfeld des Schnäppchenbewusstseins und der Dominanz billiger Preise einen ganz schön weiten Weg vor uns haben.