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Energiewende zum Mitmachen

Eine alte Idee macht Karriere

Was mit wenigen Pionieren und vereinzelten Wind- und Solaranlagen begann, hat sich in eine bürgerliche Bewegung entwickelt. Über Tausend Genossenschaften realisieren in Deutschland professionell Energieprojekte aller Art. Für die Bürgerinnen und Bürger, die auf diese Weise die Energiewende aktiv und demokratisch mitgestalten, lohnt sich auch finanziell.

Blassrosa, efeuberankt und mit rot-weißen gestrichenen Fensterladen ragt mitten im bayrischen Altötting das Haupthaus der Herrenmühle malerisch empor. Wie der Name vermuten lässt, wurde hier in der Vergangenheit Wasserkraft genutzt, um eine Getreidemühle zu betreiben - und dies bereits seit 1441. Die zahlreichen Kleinwasserkraftanlagen haben den Grundstein für den Wohlstand dieser Region gelegt. Dennoch kam 1967 per Verordnung das Aus für diese Art der Energieversorgung. Wasserkraft sei verzichtbar; die Atomkraft, so der Zeitgeist, stattdessen die Zukunft.

Wenn man so will hat die Atomkraft allerdings das Wasserrad der Herrenmühle auch wieder zum Laufen gebracht. Im März 2011 erschüttert ein Erdbeben die Küste Japans. 18.000 Menschen sterben wegen eines Tsunamis, ein Atomkraftwerk in Fukushima havariert. Erstmals seit dem Gau in Tschernobyl treten die zahlreichen Risiken der Nuklearenergienutzung deutlich zu Tage. Viele Bürger möchten sich dagegen engagieren. Auch in Altötting.

Denn im Jahr 2013 gründete sich die EnergieGenossenschaft Inn-Salzach eG (EGIS eG) als Reaktion auf die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima. „Gleich beim ersten Treffen erschienen 140 Teilnehmer. „Viele Wohnungseigentümer oder Mieter können sich nicht so einfach an der Energiewende beteiligen. Das wollten wir aber möglich machen. Wir hatten damals noch gar kein konkretes Projekt im Auge, aber alle wollten aktiv werden", erinnert sich Pascal Lang, heute einer der Vorstände bei EGIS. Deswegen entschieden sich die engagierten Bürger für die Gründung einer Genossenschaft.

Mehr als tausend Energiegenossenschaften

„Die Idee der genossenschaftlichen Energieversorgung ist alles andere als neu", sagt Lars Holstenkamp, der an der Leuphana Universität in Lüneburg zu diesem Thema forscht. Bereits in den 1920er und 30er Jahren gab es im Deutschen Reich etwa 6.000 Energiegenossenschaften, vorwiegend in ländlichen Regionen. Von diesen alten "Elektrizitätsgenossenschaften" existieren heute noch rund 40. Holstenkamp identifiziert drei verschiedene Phasen der neueren Entwicklung: In den 1970er Jahren entstanden im Zusammenhang der Ölkrise so genannte "Versorgungsgenossenschaften", zur gemeinsamen Versorgung der Mitglieder mit Strom, Wärme und Gas. In den 1980er Jahren begannen Umweltaktivisten als Reaktion auf die Explosion des Atomreaktors in Tschernobyl Solar- und Windkrafträder zu errichten. Zu den Pionieren zählt beispielsweise die Lübecker Windkraft eG. Im Jahr 1999 wurde die Greenpeace energy eG gegründet, um erstmals Ökostrom bundesweit anzubieten und so die Chancen der Liberalisierung des Strommarktes zu nutzen.

Das zur Jahrtausendwende verabschiedete Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG) mit seinen festgesetzten Einspeisevergütungen und dem Einspeisevorrang für Strom aus regenerativen Energien begünstigte die Entwicklung weiter. Ab 2007 fand ein regelrechter Gründungsboom von Bürgerenergiegenossenschaften statt. „Faktoren dafür waren, dass nach der Novellierung des Genossenschaftsgesetzes und durch Imagekampagnen etwa der Genossenschaftsverbände die Rechtsform positiver wahrgenommen wurde. Dazu hat vielleicht auch die Finanzkrise beigetragen. Und es gab einige Vorbilder und fertige Konzepte, die nachgeahmt und weitergetragen wurden", sagt Holstenkamp. Sicher ist, dass in diesen Jahren nicht die großen Energiekonzerne, sondern die deutschen Bürger begannen, Land auf, Land ab Wind- und Solarparks zu bauen. Inzwischen existieren über ganz Deutschland verteilt über tausend solcher Energiegenossenschaften.

Basisdemokratie trifft auf Wirtschaftsinteressen

Ein halbes Jahr trafen sich die Alt- und Neuöttinger wöchentlich, formulierten eine Satzung, sammelten Ideen und bereiteten Projekte vor. „Das war ein sehr spannende und auch spannungsreiche Zeit", erinnert sich Pascal Lang an die Gründungszeit der EGIS. „Wir haben Leute dabei, die sind sehr basisdemokratisch orientiert und wir haben Unternehmer dabei, deren Denken sehr wirtschaftlich orientiert geprägt ist." Beim Mitgliedsbeitrag zum Beispiel wollten die einen 50 Euro nehmen, die anderen 500 Euro veranschlagen. Nach vielen durchaus heftigen Diskussionen gab es einen Kompromiss auf 150 Euro, was deutlich günstiger ist als der Beitrag bei vielen anderen Genossenschaften. „Wir haben viele nicht so finanzkräftige Mitglieder, die zunächst mit einem Anteil gestartet sind und dann ein Jahr sparen und jedes Weihnachten einen neuen Anteil zeichnen", erzählt Lang stolz.

Das restaurierte Wasserkraftrad in Altötting erzeugt umweltfreundliche Energie.

Transparente Geldanlage

Mit dem Beitritt bei EGIS wird man stimmberechtigtes Mitglied eines Unternehmens, das sich dafür einsetzt, dass klimafreundliche Energie zu bezahlbaren Preisen in der Region produziert wird. „Ein Großteil der Mitglieder sind Idealisten, die aber auch nicht traurig sind, wenn sich das finanziell lohnt", beschreibt Lang die Mitgliederstruktur. Die Bilanz der Genossenschaft gibt ihm Recht: Immerhin drei Prozent Dividende wurde im vergangenen Jahr ausgeschüttet, mehr als so manche Großbank aktuell anbieten kann. Den Mitgliedern gehe es aber eben nicht nur um die attraktive Rendite, so Lang, sondern auch darum, wie diese erzielt wurde. „Das unterscheidet eine Genossenschaft von irgendwelchen Anlageprodukten wie ETFs oder Hedgefonds, bei denen man nicht immer nachvollziehen kann, wohin das Geld überhaupt fließt. Unsere Projekte kann man besichtigen und anfassen", sagt Lang.

Und wenn die inzwischen fast 700 Mitglieder in diesen Tagen das 5-jährige Jubiläum der EGIS feiern, können sie allerhand besichtigen. Dem allerersten Projekt, eine kleine Solarstromanlage auf der Turnhalle eines Gymnasiums folgten zahlreiche weitere. 2016 brachte die Genossenschaft schließlich das aufwendig sanierte Kleinkraftwerk „Herrenmühle" mit stilechten Lärchenholzschaufeln wieder ans Netz. Kurz darauf folgte ein weiteres außergewöhnliches Projekt: eine Lärmschutzwand mit integrierten Solarmodulen, die eine nahegelegene Schule mit sauberem Strom beliefert, während sie den Lärm von vorbeidonnernden LKW abschirmt. „Wir mussten bei vielen Firmen anfragen, aber nur eine davon war bereit, die Photovoltaikwand mit uns zu entwickeln", erzählt Lang von der intensiven Vorbereitung, die die Genossenschaft geleistet hat.

Lärmschutzwand aus Solarmodulen, gebaut und finanziert von der Bürgerenergiegenossenschaft EGIS Medienzentrum Altötting

Kommunen schätzen die Unterstützung der Genossenschaft

Die Mühe hat sich gelohnt: In den umliegenden Gemeinden hat sich inzwischen rumgesprochen, dass die EGIS über jede Menge Expertise verfügen und auch nichtalltägliche Energieideen umsetzen. 23 von 24 Kommunen im Landkreis Altötting sind inzwischen selbst Mitglied der Genossenschaft. „Die Materie wird immer komplexer, die Antragstellung für Projekte immer aufwändiger - das können Kommunen alleine oft gar nicht mehr bewältigen", sagt Lang. Zudem sparen die Kommunen durch das freiwillige Engagement der Genossenschaft im Vergleich zur Beauftragung eines Fachbüros Geld. „Alle unsere Projekte sind rentabel - aber wenn wir unsere ehrenamtliche Vorstandsarbeit geltend machen würde, sähe die Situation in manchen Fällen anders aus, " sagt Lang. Der Erfolg sei darin begründet, dass innerhalb der EGIS viel Expertise vorhanden ist. In ihren Vorstand und den Aufsichtsrat haben sich die Genossen einen ehemaligen Vorstand einer Raiffeisenbank, einen Elektrotechniker, einen Photovoltaik-Vertriebler sowie Bürgermeister aus verschiedenen Parteien gewählt. „Überparteilichkeit ist sehr wichtig, sonst kommt es schnell zu Blockaden", so Lang. Die große Akzeptanz der Genossenschaft erkläre sich auch über das hohe Maß an Transparenz und Kontrollmechanismen im Vergleich zu anderen Unternehmensformen. Ob bei der Aufnahme neuer Geschäftsfelder, Investitionen ab einer bestimmten Höhe, dem Abschluss relevanter Verträge - stets muss nicht nur der Vorstand, sondern auch der Aufsichtsrat zustimmen. Dazu kommt eine jährliche Prüfung durch den Genossenschaftsverband und auf der Generalversammlung wird sich den Anliegen und Fragen der Genossen gestellt.

Die Kommunikation mit den Bürgern ist das Wichtigste

Dennoch ist die Bürgerenergiegenossenschaft kein Selbstläufer, sondern harte Arbeit. „Wir merken schon, dass die Euphorie für erneuerbare Energien wie sie direkt nach Fukushima oder der letzten großen Flut zu spüren war, etwas abgenommen hat. Zudem ist viel gefährliches Halbwissen unterwegs so à la „Die Energiewende macht mich arm, die Erneuerbaren machen die Industrie kaputt", meint Lang. Der einzige Weg ist, mit den Leuten immer wieder vernünftig zu reden."

Dieses Fazit zieht auch Klaus Gall, Vorstand der Weiler Wärme, der ersten Genossenschaft, die in Süddeutschland ein Nahwärmenetz gebaut hat. „Wir war schon ein bisschen blauäugig", lacht Gall, wenn er daran denkt, wie dort im Schwarzwald alles begann. Bei einem Umweltaudit in seiner Kirchengemeinde in Pfalzgrafenweiler wurde offensichtlich, dass im Bereich der Heizungserneuerung das größte Einsparpotenzial bestand - sowohl in finanzieller als auch aus Klimaschutzsicht.

Zur gleichen Zeit wurde im Gewerbegebiet der Gemeinde ein Holzheizkraftwerk gebaut, das Strom produzieren sollte. Für die Wärme, die gleichzeitig entsteht, hatte der Investor keine Verwendung. „Wir dachten, das wäre doch toll, wenn wir die übrige Wärme für die Kirche nutzen könnten." Eine schöne Idee, die aber praktisch bedeutet: Straßen aufgraben, eine zwei Kilometer lange Wärmeleitung bauen und zudem möglichst viele Anlieger zu überzeugen, ihr Haus ebenfalls ans Netz anzuschließen, damit sich das Ganze überhaupt wirtschaftlich rechnet.

„Als kirchliche Umweltgruppe waren wir nicht handlungs- und geschäftsfähig, also mussten wir eine Art Firma gründen", sagt Gall. Die Idee der Genossenschaft war geboren. Alle Mitglieder der Umweltgruppe traten ein, der Pfarrer wurde 1. Aufsichtsratsvorsitzender.

„Vom Genossenschaftsverband gibt es zwar ein „Starterpaket" als Unterstützung für alle administrativen Dinge, doch inhaltlich mussten wir viel selber recherchieren, wie das geht. Wir haben da unheimlich viel ehrenamtliche Arbeit reingesteckt.

Am Anfang gab es viel Skepsis

Trotz der festen Verankerung der Kirchengruppe in der Dorfstruktur gestaltete es sich zunächst schwierig ausreichend Menschen für das Projekt zu begeistern. Ein eigenes Netz, ist das nicht viel zu teuer? Ist ein solches Vorhaben ohne Profis überhaupt zu stemmen? Auch die Finanzierung war unsicher. Die örtliche Volksbank weigerte sich den Antrag auf den zinsgünstigen Förderkredit, den die KfW-Bank für derlei Projekte bereitstellt, weiterzuleiten.

„Nachbarn aus meiner Straße haben sich heimlich getroffen und einen Katalog mit kritischen Fragen zusammengestellt. Zum Teil gab es heftige Diskussionen", erinnert sich Gall. Doch um ein Nahwärmenetz wirtschaftlich zu gestalten, muss die Anschlussrate hoch sein. Also zogen seine Mitstreiter und Gall von Haus zu Haus, um möglichst viele Menschen zu überzeugen. Vorträge wurden gehalten, auswärtige Referenten eingeladen - und eine kooperative Bank gefunden. Letztlich haben sich die Anstrengungen gelohnt. Die ersten 400 Meter Leitung wurden 2008 verlegt, ein Jahr später erfolgte der Anschluss der Kirche.

Die Weiler Wärme ist die erste Genossenschaft, die in Süddeutschland ein Nahwärmenetz gebaut hat. Weiler Wärme eG

Einen Schub erhielt das genossenschaftliche Projekt 2010 durch das Wärmegesetz (EWärmeG). Es schreibt vor, dass in Baden-Württemberg alle Altbauten zehn Prozent ihres Wärmeenergiebedarfs durch regenerative Energien decken müssen. Plötzlich war das Angebot der WeilerWärme ein signifikanter finanzieller Vorteil. Denn der Anschluss an das Nahwärmenetz kostet zwar einige Tausend Euro, ist aber in jedem Fall günstiger als eine neue Heizungsanlage.

Der endgültige Durchbruch gelang, als die Gemeinde beschloss ein neues Sportzentrum zu bauen. „Wir haben heftig drum gekämpft, dass dieses Gebäude mit unserer Nahwärme versorgt wird", sagt Gall. Nach einer turbulenten Diskussion im Stadtrat bekam die Genossenschaft schließlich den Zuschlag. Zudem entschied die Kommune, künftig alle Gebäude in ihrem Besitz soweit wie möglich über die Weiler Wärme zu versorgen. „Dadurch haben auch noch mal viele Dorfbewohner Vertrauen gewonnen. Denn wenn der Bürgermeister mitmacht, dann muss das schon okay sein", sagt Gall.

Wertschöpfung bleibt in der Region

Im Jahr 2011 wurde Pfalzgrafenweiler offiziell das größte Bioenergiedorf Baden-Württembergs - einen Titel, den die Gemeinde stolz trägt. Bis heute haben die inzwischen 850 Genossen über 26 Kilometer Nahwärmenetz gebaut und versorgen darüber 550 Kunden mit umweltfreundlicher Wärme aus nachwachsenden Rohstoffen. „Wir verkaufen Wärme aus Holzhackschnitzel aus dem Schwarzwald im Wert von 2,3 Millionen Euro im Jahr. Anders als beim Heizen mit fossilen Energien verbleibt praktisch die komplette Wertschöpfung in der Region", sagt Gall.

Seit zwei Jahren ist die Genossenschaft auch Anbieter von Elektromobilität. Der Betreiber der örtlichen Sozialstation, natürlich ein Genosse, kam auf die Idee, dass man über ein Förderprogramm des Landes E-Fahrzeuge anschaffen könnte, um den Strom des Gas-BHKW zu nutzen. Weil die Mitarbeiter der Sozialstation die Fahrzeuge nur halbtags benötigen, können die sieben Autos von der Bevölkerung als Car-Sharing-Angebot genutzt werden. Car-Sharing sei in der ländlichen Region eher kein Geschäftsmodell von dem eine Genossenschaft leben könne, so Gall, aber man wolle die Energiewende ganzheitlich denken und dazu gehöre eben auch der Verkehrssektor.

Am Ball bleiben

Um sich zu bewähren, müssen Bürgerenergiegenossenschaften mit den rasanten Entwicklungen des Energiemarkts mithalten. Immer anspruchsvollere und komplexere Projekte bedeuten auch, Personalkapazitäten zu schaffen und weiter zu qualifizieren. Trotz der Erfolgsbilanz der Weiler Wärme eG, betont Klaus Gall: „Den Genossenschaftsgedanken muss man immer wieder predigen. Da genügt eine Generalversammlung nicht. Sonst gerät man in Vergessenheit. Wir erklären regelmäßig auf Stammtischabenden und Veranstaltungen, was wir da tun, warum es sinnvoll ist, wie und warum es funktioniert.

Letztlich ist diese Erkenntnis vermutlich eine Blaupause für eine erfolgreiche Energiewende.

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