Daniel Urban

Wort & Ton, Frankfurt am Main

3 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Julie Born Schwartz & Werner Herzogs "The Wild Blue Yonder"

Am Anfang sind da nur Worte: „You are there, but you make sure nobody noti­ces you … but you are there.” Gespro­chen ins blass-schwarze des Bildes, kennt­lich gemacht durch kaum weni­ger blasse Unter­ti­tel, die sich nur leicht vom schwar­zen Hinter­grund abhe­ben. Dann setzt die Musik ein: Glocken­spiel, Kontra­bass, wohl­klin­gend und sanft gespielt – schließ­lich gesel­len sich gezupfte Strei­cher dazu, ein Klavier spielt eine traum­wand­le­ri­sche Melo­die.

Die ersten Augen­bli­cke von Julie Born Schwartz‘ (*1981) „The Invi­si­ble Voice“ führen den Betrach­ter in eine geheim­nis­volle, schat­ten­rei­che Welt. Die behut­sam einge­blen­de­ten Bilder geben den Blick frei auf Nahauf­nah­men von Räum­lich­kei­ten, Detail­auf­nah­men mecha­ni­scher Tech­nik, Tier­felle und endlich: ein Dreh­buch. Die unter­ti­telte dänisch­spra­chige Stimme aus dem Off schließ­lich macht klar, wo genau wir uns befin­den: am Thea­ter.

Die Fehlbarkeit des Individuums

Die gut drei­zehn­mi­nü­tige Arbeit führt den Betrach­ter ein in die Welt der unsicht­ba­ren Stimme, der Souf­fleuse. Deren Aufgabe ledig­lich mit dem Zuflüs­tern des Textes bei Hängern zu beschrei­ben, greift ein wenig zu kurz. „The Invi­si­ble Voice“ folgend besteht die tatsäch­li­che Leis­tung der Souf­fleuse viel mehr darin, das zarte Band der Illu­sion, das Thea­ter oder Oper zu kreieren verste­hen, nicht reißen zu lassen. Damit wird klar, aus welcher Quelle sich das Aufga­ben­feld des Zuflüs­terers speist: der des mensch­li­chen Versa­gens, der Fehl­bar­keit des Indi­vi­du­ums. Die Souf­fleuse in „The Invi­si­ble Voice“ macht dann auch klar, wie fein­füh­lig sie agie­ren muss um genau zu bemer­ken, ob ein Schau­spie­ler gerade eine der Drama­tik dienende Pause einlegt, oder eben doch einen Text­hän­ger hat. Folge­rich­tig haben Souf­fleu­sen oder Souf­fleure nicht selten selbst schau­spie­le­ri­sche Erfah­rung.

Schwartz‘ Arbeit gibt der unsicht­ba­ren Stimme, die sonst gerade nicht von jeder­mann gehört werden soll, kein Gesicht, stellt sie jedoch ins Zentrum, während die Bild­ebene das dämm­rige Arbeits­um­feld in Szene setzt. Nur einmal zeigt die Kamera das zweit­wich­tigste Arbeits­in­stru­ment der verbor­ge­nen Prot­ago­nis­tin: die Hand, die in winzi­ger Schrift Anmer­kun­gen in das Skript schreibt und schließ­lich ihren Korrek­tor, ein brum­men­der Tipp-Ex-Stift, mit dem ihre eige­nen Schreib­feh­ler ausge­merzt werden. Die Ton-Bild-Melange verschmilzt zu einer lyri­schen Quasi-Doku­men­ta­tion, die hinter die Kulis­sen der gehei­lig­ten Thea­ter- und Opern­häu­ser blickt, ohne gegen das Bilder­ver­bot zu versto­ßen, und zeigt die aufrich­tige Erge­ben­heit jener gehei­men Mitar­bei­ter genann­ter Insti­tu­tio­nen, deren Profes­sion kurz vor der Zwangs­ra­tio­na­li­sie­rung stehen.

Opernsänger beim Joggen

Julie Born Schwartz ließ sich in voran­ge­gan­gen Arbei­ten häufi­ger vom Thea­ter- oder Film­be­trieb inspi­rie­ren und war für kurze Zeit selbst als Souf­fleuse tätig. In „Love has no reason“ (2014) griff sie so auf eine prägende Erfah­rung in einem New Yorker Schau­spiel­kurs beim däni­schen Film­re­gis­seur Per Brahe zurück, den sie 2004 besucht hatte. Knapp 10 Jahre später suchte sie den Regis­seur und seine Thea­ter­mas­ken erneut auf und kreierte das Werk, das als erste Bewegt­film-Arbeit in die Londo­ner Royal Acadamy Collec­tion aufge­nom­men wurde: „Fly me to the moon“ (2011) setzt einen ehema­li­gen Opern­sän­ger in den Fokus, den Schwartz zufäl­lig beim Joggen im Park kennen­lernte.

Mit „The Wild Blue Yonder“ wird im zwei­ten Teil des Abends ein 2005 veröf­fent­lich­ter Science-Fiction-Film, oder wie es im Unter­ti­tel heißt: eine Science-Fiction-Fantasy, von Werner Herzog zu sehen sein. Ein Genre-Film dieses genia­len Berser­kers ist natür­lich keiner, der den Genre-Regeln im klas­si­schen Sinne folgt. „The Wild Blue Yonder“ gene­riert sich so auch als Doku­men­tar­film, der die Geschichte der Welt­raum­ex­pe­di­tion einer klei­nen Astro­nau­ten-Gruppe auf der Suche nach einem bewohn­ba­ren Habi­tat für die Erdbe­völ­ke­rung erzählt. Die Narra­tion führt ein namen­lo­ser Außer­ir­di­scher (Brad Dourif), der just von dem Plane­ten kommt, auf dem die Expe­di­tion schluss­end­lich landen wird.

Die NASA und Ekstase

Herzog verwen­det in „The Wild Blue Yonder“ zuvor unver­öf­fent­lich­tes Film­ma­te­rial eines NASA Space Shut­tle-Fluges und verwebt dieses mit Unter­was­ser­auf­nah­men aus der Antark­tis, diver­sen Inter­view-Schnip­seln und ande­ren Archiv­auf­nah­men, die der außer­ir­di­sche Erzäh­ler in einen neuen Kontext setzt – einer ähnli­chen Tech­nik hatte sich Herzog bereits in seinem Film „Lessons in Darkness“ bedient. Während der minu­ten­lan­gen doku­men­ta­ri­schen Aufnah­men offen­bart der Außer­ir­di­sche wieder­holt in teils esote­risch aufge­la­de­nen wie auch grotesk-komi­schen Kommen­ta­ren – so sind beispiels­weise die Astro­nau­ten bei einer Augen­un­ter­su­chung im Space Shut­tle zu sehen, während der Erzäh­ler von neu entdeck­ten Möglich­kei­ten des Gedan­ken­le­sens berich­tet – sein gehei­mes Wissen und führt so die Geschichte um die Expe­di­tion der Astro­nau­ten voran.

Die doku­men­ta­ri­schen Aufnah­men unter­legt Herzog gerade im letz­ten Teil des Films, in dem der Erzäh­ler immer mehr in den Hinter­grund tritt, mit der medi­ta­tiv anmu­ten­den Musik des nieder­län­di­schen Musi­kers Ernst Reij­se­ger. Hier singen sich sardi­sche Männer­chöre zu expres­siv-sphä­ri­schen Cello­k­län­gen in Ekstase, und jene Klang­wel­ten verwe­ben sich mit den Bildern irgend­wann unver­hofft zu einem anrüh­ren­den, poetisch-esote­ri­schen Konglo­me­rat. Folge­rich­tig bedankt sich Herzog im Abspann auch bei der NASA „for it’s sense of poetry“. Der Sinn für Poesie lässt sich im Gebrauch von Schnitt, Musik, Bild und Voice-Over aller­dings alle­mal auch in den Werken von Julie Born Schwartz und Werner Herzog finden.


Zum Original