Die heimliche Heldin von Nathaniel Richs Roman „King Zeno" (Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Rowohlt Berlin, Berlin 2020.448 S., 24 €.) ist New Orleans. 1918 hat die Südstaatenmetropole schwer zu kämpfen. Man müsse einsehen, heißt es einmal, dass die Stadt „von spatzenhirnigen Bürokraten und sturen Pharisäern regiert wurde, die in St. Louis oder Cincinnati nie auf einen grünen Zweig gekommen wären, von New York ganz zu schweigen". Nathaniel Rich, 1980 in New York geboren und in New Orleans wohnhaft, entwirft in seinem dritten Roman entlang dreier Erzählpfade eine alternative Gewaltenteilung: die Polizei, die Mafia - und der Jazz.
Von seinen Bewohnern unlängst als „The Big Easy" geadelt - die große Gelassene -, hängt nun ein Unwetter aus Weltkriegstrauma, Spanischer Grippe und Prohibition über New Orleans. Obwohl die Stadt die Segregation lockerer handhabt als der Rest des Südens, gelten nach wie vor die rassistischen Jim-Crow-Gesetze. Als eine Serie von (tatsächlich vorgefallenen) Axtmorden die Stadt terrorisiert, verdächtigt die Polizei reflexhaft die schwarze Bevölkerung.
Der Polizist und Weltkriegsveteran Bill Bastrop wähnt sich dem Täter auf der Spur, ringt jedoch zugleich mit seinem persönlichen Wahrheitsbegriff. In Frankreich hat er den Tod von 18 seiner Kameraden mitverschuldet, nun sucht er in der Ermittlung moralische Absolution.
Die Mafia-Patriarchin Beatrice Vizzini beaufsichtigt derweil ihr letztes Großprojekt, den Bau des Industrial Canal zwischen dem Mississippi und dem Lake Pontchartrain, bevor sie ihre „Schattengeschäfte" aufgeben und ein leises Leben führen will. Ihr Sohn Giorgio agiert dagegen noch ganz gemäß der skrupellosen Mafia-Logik.
Ein Hinweis führt Bill in die Jazzszene, wo die dritte Instanz von New Orleans regiert, die Musik, genauer: Isadore „Slim Izzy" Zeno, tagsüber ausgebeuteter Kanalarbeiter, nachts virtuoser Kornettist. Denn nicht zuletzt ist New Orleans eine Königsmacherin. Im frühen Jazz gibt man sich zwar gern selbstironische Namen wie Buddy, Kid, Sonny oder Fats.
Ist man jedoch größenwahnsinnig oder tatsächlich großartig, ernennt man sich - oder die Kollegen einen - zur jazz royalty, zu Alex „King" Watzke, zu Freddie „King" Keppard, zu Joe „King" Oliver. In Richs Roman steht an diesem Hofstaat ein vakanter Thron. Das Rotlichtviertel Storyville, die Hauptstadt des aufkeimenden Jazz, der damals noch Jass heißt und zur Untermiete im Ragtime wohnt, ist 1917 geschlossen worden. Viele Musiker sind, ihres Spielplatzes beraubt, nordwärts gezogen. Von einem Mitstreiter gefragt, wo die Kollegen alle hin seien, antwortet Isadore: „Chicago, Chicago, Chicago." (...)
Tagesspiegel, 6. Dezember 2020.
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