Rhein-Neckar-Kreis. Über kaum eine Sagengestalt gibt es so viele Berichte wie über die Weiße Frau. Auf Burgen und Schlössern soll sie spuken, in Wäldern und bei alten Mühlen. Es heißt, dass in den Rauhnächten zwischen den Jahren die Welt der Lebenden und die Welt der Toten besonders nah beieinanderliegen. Daher nehmen Reisejournalistin Cornelia Lohs, Filmemacherin Larissa Anton und RNZ-Redakteurin Noemi Girgla dies zum Anlass, sich in der fünften (und für diese Staffel letzten) Folge der dritten Staffel des RNZ-Podcasts "Sagenhafter Odenwald" mit genau dieser Erscheinung zu befassen.
Als Cornelia Lohs für ihr aktuell neustes Buch " Lost Dark Places Odenwald" recherchierte, sind ihr zahlreiche dieser Erzählungen begegnet. Ins Buch aufgenommen hat sie das "Weiße Burgfräulein von Eberbach". Doch auch im Schlingenwald bei Weinheim oder im unteren Wiesental bei Waldwimmersbach soll eine Weiße Frau umgehen. Das sind nur wenige Beispiele zu einem Phänomen, das sich nicht nur in der näheren Region kaum in Zahlen fassen lässt. Es ist weltweit verbreitet, wie die Reisejournalistin weiß.
Von dem Unbegreiflichen fasziniert, begann sie ihre Recherche und stieß auf die vermeintliche "Urmutter der Weißen Frauen", die Geschichte, mit der alles seinen Anfang nahm. "Kunigunde von Orlamünde gilt als die Weiße Frau der Hohenzollern. Sie lebte im 14. Jahrhundert und soll aufgrund eines schrecklichen Missverständnisses ihre Kinder getötet haben, um frei für einen neuen Mann zu sein", fasst Lohs kurz zusammen. Trotz Abbitte beim Papst soll Kunigunde keine Ruhe gefunden haben. "Seit dem 15. Jahrhundert trat sie auf der Plassenburg der oberfränkischen Stadt Kulmbach in Erscheinung. In Zweiten Weltkrieg will man sie zuletzt gesehen haben."
Dabei steht bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts fest, dass Kunigunde unrecht getan wurde. "Sie hatte keine Kinder aus erster Ehe, die sie hätte töten können", erklärt die Reisejournalistin. Der preußische Verwaltungsjurist, Diplomat, Wissenschaftler und Schriftsteller Julius von Minutoli hatte damals die gängigen Erzählungen historisch überprüft und in einem Werk widerlegt.
Auch Larissa Anton hat sich filmisch mit den Weißen Frauen auseinandergesetzt. "Im Volksglauben ist sie oft eine Frau, die einen Frevel zu Lebzeiten begangen hat. Sie findet im Tod keine Ruhe, bis sie ihre Schuld gebüßt hat oder erlöst wird. Aber es kann auch sein, dass sie wegen eines Unrechts, das an ihr begangen wurde, ruhelos umherschweift und entweder nach Rache oder Erlösung sucht", fasst die Filmemacherin zusammen.
Häufig wird Weißen Frauen nachgesagt, sie hätten ihre Kinder getötet. Nicht nur Kunigunde soll dies der Sage nach getan haben, auch im Schlingenwald bei Weinheim spielt solch eine Erzählung, die stark an die Weiße Frau der Hohenzollern erinnert - jedoch in der breiten (armen) Bevölkerung zu verorten ist.
"Des Weiteren wird Weißen Frauen oft nachgesagt, dass sie irgendwelche Schätze hüten", fügt Larissa Anton hinzu. Sowohl in Waldwimmersbach als auch in Eberbach ist dieses Motiv zu finden. Erlöst wurden beide Geister bislang nicht. Und doch könnte zumindest bei der Eberbacher Geschichte ein Funken Wahrheit in der Überlieferung stecken.
"Man fand bei Ausgrabungen Anfang des 20. Jahrhunderts in der Vorderburg von Eberbach tatsächlich einen kleinen Schatz. Allerdings kein Gold und Silber, sondern wertvolle Alltagsgegenstände aus den 11. oder 12. Jahrhundert", erzählt Cornelia Lohs. Vielleicht sei dies im kollektiven Gedächtnis gewesen, und die Einwohner hätten sich daran erinnert, dass dort irgendwas im Boden sein musste.
Doch nicht nur regional - oder in Deutschland - erzählt man sich von Weißen Frauen. Die Reisejournalistin ist diesen Sagen auf der ganzen Welt begegnet. "Es scheint so, als hätten Auswanderer sie mit in die Neue Welt genommen", vermutet sie für die mexikanische Variante der Überlieferung.
Bis heute tauchen immer wieder neue Berichte über Weiße Frauen auf, inzwischen auch als urbane Legenden. Dabei fällt auf, dass die unheimlichen Damen mit der Zeit gehen bzw. spuken. So heißt es, dass im Ebersberger Forst in der Nähe von München eine Weiße Frau häufiger versuche, als Anhalterin mitzufahren. "Wer sie mitnimmt, dem geschieht nichts", führt Lohs aus. Wer sie stehen lasse, dem erscheine sie im Rückspiegel und verursache einen Unfall. Dabei seien Weiße Frauen nicht grundsätzlich gut oder böse, merkt Larissa Anton an. "Es kommt darauf an, wie man ihnen begegnet." So könne sie entweder als gutmütiger, hilfreicher Geist in Erscheinung treten, jedoch auch Unheil und Tod bringen.
Phantomanhalterinnen sind in unserer Gegend bislang keine gesichtet worden. Dafür müsste es im Rhein-Neckar-Kreis aber noch den ein oder anderen ungehobenen Schatz geben, den eine Weiße Frau bewacht. Doch Vorsicht: Bislang ist nur eine Geschichte überliefert, bei der eine solche Schatzsuche gut ausging...
Info: Alles bisherigen Folgen unseres Podcasts "Sagenhafter Odenwald" finden Sie unter www.rnz.de/sagenhaft