Cornelia Lohs

Journalistin und Buchautorin, Heidelberg

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Schildkröten retten im Urlaub | Forum - Das Wochenmagazin

Wie wäre es, den Strandurlaub auf einer griechischen Trauminsel mal damit zu verbringen, Meeresschildkröten vor dem Aussterben zu bewahren? Zwischen Mai und Oktober dürfen Freiwillige aus aller Welt zwei Wochen lang in einem forschungsbasierten Meeresschildkröten-Schutzprojekt auf Kefalonia mitwirken. Die Unechte Karettschildkröte gilt als gefährdete Tierart - Foto: Getty Images / Giacomo Augugliaro

Wenn in der Inselhauptstadt Argostoli am Vormittag die Fischer im Hafenbecken auf ihren Kuttern die Netze reinigen, ist es wieder soweit: Zahlreiche Meeresschildkröten tummeln sich rings um die Boote. Sie gieren nach den Abfällen des täglichen Fangs, die die Fischer über Bord werfen. Das Wasser ist so klar, dass man die gepanzerten Schönheiten dabei beobachten kann, wie sie nach den fischigen Leckerlis schnappen. Die Tiere gehören zur Spezies der „Unechten Karettschildkröte" (Caretta caretta). Von der „Echten Karettschildkröte" unterscheidet sich die Unechte dadurch, dass sie fünf Paar Hornschilde besitzt, anstatt vier. Sie ist die weltweit am weitesten verbreitete Meeresschildkröte, gilt heute aber dennoch als gefährdete Tierart.

Schutz der Lebensräume

Zur Nahrungssuche und Fortpflanzung wandert sie jedes Jahr nach Kefalonia. Weibliche Schildkröten legen ihre Eier an den Sandstränden der Insel ab und unternehmen dabei erhebliche Anstrengungen, um die am besten geeigneten Standorte für ihre Nester zu finden. Viele Eier werden jedoch durch menschliche und natürliche Bedrohungen beschädigt und zerstört. Die Schildkröten selbst werden regelmäßig durch Boote, Fanggeräte oder durch das Verschlucken von Plastik verletzt oder getötet. Zudem können intensive Fischerei, die touristische Nutzung der Strände und Lichtverschmutzung die Ökologie beeinträchtigen und die gepanzerten Tiere vom Aussterben bedrohen.

Um dem entgegenzuwirken, wurde auf Kefalonia die Forschungs- und Naturschutzorganisation Wildlife Sense gegründet, deren Mission es ist, Meeresschildkröten und ihre natürlichen Lebensräume zu schützen sowie das öffentliche Bewusstsein zu fördern. Die Organisation begann im Herbst 2012 mit der Überwachung der Bucht von Argostoli und eröffnete im Sommer 2013 die Feldstation Argostoli. Wenig später nahmen die Feldstationen Lixouri, Lourdas und Skala ihren Betrieb auf. Vermessungsteams laufen und radeln zu über 30 verschiedenen Stränden in diesen Gebieten, decken täglich über 20 Kilometer Niststrände ab und helfen Babyschildkröten beim Schlüpfen.

Einmal im Monat werden die bis zu 120 Zentimeter langen Karettschildkröten vermessen, Muscheln und Parasiten werden vom Panzer entfernt, die Tiere werden nummeriert und können dadurch im Wasser wiedererkannt werden. Nach dem Check-up werden sie wohlbehalten zurück ins Wasser geschoben. In der Bucht von Argostoli konnten seit 2012 mehr als 600 Schildkröten in der Bucht identifiziert werden.

Jährlich lädt Wildlife Sense Freiwillige aus aller Welt dazu ein, zwei Wochen oder länger am Projekt mitzuarbeiten. Die Aufgaben unterscheiden sich je nach Saison. Nach der Paarung im April und Mai geht es vor allem darum, die Meeresschildkrötennester zu finden. Unechte Karettschildkröten paaren sich im Wasser. Das Weibchen schwimmt nach der Paarung für die Eiablage zum Strand, buddelt mit den Flossen ein Loch in den Sand und legt bis zu 120 Eier hinein. Das tut sie nachts, denn da ist sie unbeobachtet von Feind und Mensch. Am Morgen nach der Eiablage markieren und vermessen Freiwillige und das Team von Wildlife Sense alle Nester, die in der Nacht zuvor gegraben wurden. Ziel ist es, diese vor unbeabsichtigter Beschädigung zu schützen und ihren Fortschritt bis zum Schlüpfen zu überwachen. Wenn die Meeresschildkrötenbabys nach 60 bis 70 Tagen des Nachts schlüpfen, stellt das Team sicher, dass die Kleinen sicher ins Meer kriechen können, denn oft sind sie durch die Lichtverschmutzung durch Strandbars, Hotels, Ferienhäuser und Straßenlaternen desorientiert. Ohne Hilfe verbringen sie Stunden damit, ihre begrenzte Energie zu erschöpfen oder sterben am Strand, anstatt zum Meer zu kriechen und ins offene Meer zu schwimmen. Jungtier-Rettungsteams sammeln die Kleinen ein, wenn sie aus Nestern schlüpfen, die anfällig für Lichtverschmutzung sind, und lassen sie an einem dunkleren Teil des Strandes frei, damit sie alleine zum Meer kriechen können. Ist der oder die Freiwillige ein Nachtmensch, umso besser, denn diese Schicht dauert die ganze Nacht und muss in kleinen Gruppen in dunkler Kleidung durchgeführt werden.

Verletzte Tiere werden versorgt Am Strand weisen Absperrungen Touristen auf die Eiablage der Schildkröten hin - Foto: Getty Images / Roberto Moiola / Sysaworld

Unabhängig von der Saison ist die Beobachtung der Tiere im Hafen. Hunderte ausgewachsene und noch nicht ausgewachsene Meeresschildkröten verbringen den Sommer in der Bucht von Argostoli auf Nahrungssuche. Viele von ihnen konzentrieren sich am Morgen auf die Hafenfront, wohin Fischerboote mit dem Fang zurückkehren. Die Schildkröten, die entlang des Hafens schwimmen, fressen Muscheln an den Hafenmauern und Fischreste, die die Fischer und Touristen ins Wasser werfen, und zeigen untereinander verschiedene Verhaltensweisen. Das gibt Wildlife Sense die einzigartige Gelegenheit, das Fressverhalten der Karettschildkröten und ihre sozialen Interaktionen zu studieren. Freiwillige beobachten die Schildkröten im Hafen und zeichnen Informationen über ihre Nahrungssuche und ihr Sozialverhalten auf. Wenn eine verletzte Schildkröte entdeckt wird, die Angelhaken, Angelschnüre oder Plastik verschluckt hat, fängt das Team das Tier ein und behandelt es oder transportiert es zur weiteren Untersuchung.

Auch das Sammeln von Müll an Stränden sowie die Dokumentation von Plastikverschmutzung gehört zu den Aufgaben Freiwilliger. Als Insel ist Kefalonia anfällig für Plastikverschmutzung, die aus allen Richtungen angeschwemmt wird. Diese Verschmutzung betrifft nicht nur Meeresschildkröten, sondern auch Seevögel und Meeressäugetiere. Die von Wildlife Sense durchgeführten Strand- und Küstenreinigungen zeigen die Auswirkungen des modernen Konsumverhaltens und der täglich entsorgten Gegenstände und bewirken gleichzeitig den Schutz der lokalen Tierwelt und Küstengebiete und helfen bei deren Wiederherstellung.

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