Cori S. Socaciu

Autorin | Social Entrepreneur | Consultant, Ffm

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FR-Diskussion Gerechtigkeit: Wie wird Deutschland gerechter?

Oskar Lafontaine, Rainer Voss und Michael Hüther debattierten auf Einladung der Frankfurter Rundschau über das Thema Gerechtigkeit.


Die ersten Zwischenrufe aus dem Publikum kamen schnell, das Thema Gerechtigkeit bewegt die Menschen in Deutschland und besonders die Zuhörer der FR-Podiumsdiskussion im Museum für Kommunikation am Dienstagabend. Oskar Lafontaine (Die Linke), Rainer Voss (ehemaliger Investmentbanker) und Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln) diskutierten darüber, was schiefläuft in Deutschland. Wobei: Michael Hüther warb eindringlich dafür, nicht ständig alles schlechtzureden: „Ja, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, es wurde vieles verbessert, sehen Sie sich allein die Arbeitslosenzahlen an", sagte er zum Publikum - löste schnell die Zwischenrufe aus.

Gut 170 Zuhörer verfolgten die Debatte der FR, die auch live im Internet zu sehen war. Das Podium krönte die erfolgreiche FR-Serie „Was ist gerecht?", aus der ein mehrfach gewünschtes Buch hervorgegangen ist.

Relativ schnell einigten sich die Diskussionsteilnehmer unter der Moderation von Daniel Baumann, Leiter des FR-Wirtschaftsressorts, dass beim Thema Gerechtigkeit noch vieles im Argen liegt in Deutschland. Doch wie unsere Gesellschaft gerechter werden könnte, darüber waren sie tief gespalten. Oskar Lafontaine hielt sich nicht lange mit konkreten Beispielen für Ungerechtigkeit auf, laut der Hilfsorganisation Oxfam besitzt ein Prozent der Menschen weltweit soviel wie die restlichen 99 Prozent der Weltbürger zusammen. Das sei ein Fakt. Die wichtigere Frage sei aber, warum ist das so?

„Wir werden von Kindes Beinen an indoktriniert, wir werden so geprägt, dass wir glauben, dass der Kaiser Schlösser gebaut hat, nicht die Arbeiter", sagt Lafontaine. Er berichtete davon, dass BMW-Arbeiter empört reagierten, wenn man den Reichtum der Familie Quandt infrage stelle. Die Quandts besitzen große Anteile an dem Autobauer. Das zeige doch, dass manche nicht verstünden, wie sie enteignet würden. „Die Umverteilung läuft von unten nach oben."

Der Begriff der Umverteilung müsste gegen einen anderen Begriff eingetauscht werden. „Es geht um Rückverteilung!", sagte der ehemalige Bundesfinanzminister und erntete lauten Applaus von Lesern. Als Anhänger der Philosophie der Aufklärung, gehe er davon aus, dass Eigentum durch Arbeit entstehen müsse. Dies sei jedoch nicht gegeben, wenn Unternehmer Arbeit verrichten ließen und die Belegschaft nicht angemessen am Ertrag beteiligen würden. Durch die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre ist es für Arbeitnehmer und Gewerkschaftsvertreter zunehmend schwieriger geworden, ihren gerechten Anteil zu erkämpfen.

Der Fraktionsvorsitzende der Linken im saarländischen Landtag war stellvertretend für seine Parteikollegin und Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht gekommen. Sie musste wegen der Griechenlandgespräche im Bundeskanzleramt in Berlin bleiben.

Rainer Voss, ehemaliger Investmentbanker und inzwischen internationale bekannt durch den Dokumentarfilm „Der Banker - Master of the Universe", sprach aus seiner Arbeitserfahrung. Gleich zu Anfang der Debatte stellte er sich der Frage, ob er glaube, dass er tatsächlich verdiene, was er verdient habe?

„Das ist eine moralische Frage. Wenn Sie so fragen, dann muss ich sagen: Nein. Ich habe es bekommen. Dafür habe ich ja auch gearbeitet", sagte Voss. Seine Erfahrung sei, dass es kein Verhältnis mehr zwischen Managern und Arbeitern gebe. Die Differenz zwischen den Topverdienern und den ganz einfachen Arbeitern in einem Unternehmen habe keine Relation mehr. „Es geht um unternehmerische Ethik. Es kann nicht sein, dass die Post die Boni für Manager erhöht und gleichzeitig Firmen gründet, in denen die Arbeiter mit schlechteren Konditionen beschäftigt werden." Das sei unanständig. „Ich verstehe diese Leute nicht, die so etwas machen", sagte der ehemalige Banker. Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther wollte die Debatte stärker auf das Thema Bildungschancen lenken, also weg vom Thema Umverteilung. „Schließlich geht es auch um Selbstverantwortung", sagte er. Als bei diesem Stichwort laute Kommentare aus dem Publikum kamen, fragte er zurück: „Wollen Sie dann die Freiheit in unserer Gesellschaft aufgeben?"

Hüther schränkte ein, es sei ihm sehr wohl klar, dass Umverteilung nötig sei. „Aber sie muss nur der absoluten sozialen Grundsicherung dienen. Viel wichtiger ist es, dass jeder einzelne bessere Bildungschancen erhält."

Hüther, der aus Nordrheinwestfalen stammt, warf der SPD in seinem Bundesland vor, schon in den 70er Jahren falsche Bildungspolitik betrieben zu haben. Die Folgen seien heute spürbar. Dass Bildung ein wuchtiger Faktor in der persönlichen Entwicklung ist, dem stimmten Voss und Lafontaine zwar zu, doch sie befürworteten auch eine intensivere Förderung von Benachteiligten. Voss sagte: „Wir wissen nicht, welches Kind später etwas Großartiges erfindet. Wir müssen jedes Kind fördern."

Die Zuhörer im Podium kritisierten Hüther mehrfach für seine Ausführungen. Der Ökonom hatte Statistiken zitiert, wonach die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen in Deutschland seit 2005 nicht mehr zunimmt. Das wollten die Zuhörer so nicht stehen lassen. Tatsächlich trifft das auf die Einkommen insgesamt zu. Die Löhne entwickelten sich seit 2007 aber auseinander. Die hohen Löhne sind seither etwa 50 Prozent schneller gestiegen als niedrige Einkommen. Und die Bertelsmann-Stiftung warnt aktuell, dass sich dieser Trend fortsetzen kann. Bei den Vermögen hat sich zwar nicht viel geändert, die Ungleichheit verharrt hier aber auf hohem Niveau.

Doch auch Lafontaine erntete Widerspruch und kritische Fragen. So wollte ein Zuhörer wissen, warum ausgerechnet Bayern so ein erfolgreiches Bundesland sei, wenn dort zwischen Politik und Wirtschaft zu stark geklüngelte werde. Lafontaine hatte zuvor erzählt, dass ein bayerischer Milliardär ihm einmal berichtet hatte, wie er den damaligen Kanzler Helmut Kohl von einer Erbschaftssteuer abbrachte. „Oligarchen gibt es nicht nur in der Ukraine und in den USA", hatte Lafontaine gesagt.

Eine Frau aus dem Publikum appellierte an Lafontaine, dass sich die Linke stärker für alleinerziehende Frauen einsetzen solle. „Ich bin Lehrerin, verbeamtet, aber ich habe zwei Kinder erzogen und in Teilzeit gearbeitet", berichtete sie mit Tränen kämpfend. „Wenn ich daran denke, wie niedrig meine Pension sein wird, dann weiß ich, dass ich mich an der Armutsgrenze befinden werde. Meine beiden Kinder haben studiert und zahlen Steuern, bitte sorgen Sie dafür, dass etwas an uns zurückgeht", sagte die Frau zu Lafontaine.

Auch andere Zuhörer berichteten von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit Ungerechtigkeiten im Alltag. Ein älterer Mann erzählte, wie er dank eines Förderprogramms in den 70er Jahren studieren konnte und sich nun als Lehrer für Jugendliche einsetze. „Wenn die ein Praktikum in einem Betrieb machen, dann denken sie nicht an gute Arbeitsbedingungen, sondern vor allem daran, eine Festanstellung zu bekommen", berichtete er. „Als ich in einem Betrieb mit einem Betreuer eines Jugendlichen über Gewerkschaften sprach, da sagte er mir, dass der Jugendliche das Wort besser nicht erwähne." Heutzutage seien viele Jugendliche verunsichert und würden nicht mehr nach guter Arbeit suchen, sondern nach Sicherheit.

Etwas zu lachen gab es aber durchaus auch. Oskar Lafontaine sorgte für Geschmunzel, als er daran erinnerte, dass die FDP einmal eine sehr „linke Partei war, sogar in machen Punkten linker als meine Partei heute".

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