Cori S. Socaciu

Autorin | Social Entrepreneur | Consultant, Ffm

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Holocaust: Der vergessene Oberbürgermeister

Ludwig Landmann machte Frankfurt zur Metropole und musste vor den Nationalsozialisten fliehen. Vor 70 Jahren verstarb der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister. Er gilt als einer der „Großen Stadtoberhäupter" in der neueren deutschen Geschichte.


Seine Geschichte endet nur wenige Wochen vor der Befreiung durch die Alliierten in der niederländischen Stadt Voorburg bei Den Haag. Ausgehungert und stark geschwächt verharrte er in einem Versteck. Am 5. März 1945 versagte sein Herz.

Der Mann, der heute vor 70 Jahren unter diesen unwürdigen Bedingungen verstarb, war Ludwig Landmann, Frankfurter Oberbürgermeister von 1924 bis 1933. Der jährlich von Millionen Durchreisenden besuchte Frankfurter Flughafen, die Messe Frankfurt und selbst das deutsche Autobahnnetz sind auf die ambitionierten Pläne des visionären Politikers zurückzuführen. Damit hat sich der erste Frankfurter OB jüdischer Abstammung als eines der „Großen Stadtoberhäupter" der neueren deutschen Geschichte verdient gemacht.


Schlechtes Gewissen

Doch so wie sich das Hitlerregime den Bau der kreuzungsfreien Autostraße von Hamburg über Frankfurt nach Basel auf die eigenen Fahnen schrieb, sind auch die übrigen Errungenschaften Landmanns in der Erinnerungskultur der Stadtgesellschaft verblasst. Das Frankfurter Bürgertum habe ihm schon zu Lebzeiten nur geringen Rückhalt für seine Vorhaben gegeben, sagt Michael Fleiter vom Institut für Stadtgeschichte. „Am ehesten ist jedoch anzunehmen, dass man ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Mann hatte, der die Entwicklung Frankfurts mit fast visionärer Kraft und erstaunlichem Gespür vorausgeplant und vorangetrieben hat."

Landmann widmete sein Programm jedoch nicht nur dem Wachstum der Stadt durch Eingemeindungen und dem Ausbau von Industrie und Infrastruktur, sondern auch den Bürgern. Seinen sozialen Auftrag erkannte er im Schaffen von Wohnraum. Regelmäßig verfasste der promovierte Jurist Denkschriften und entwickelte Strategien. Zugute kam ihm die rund 20-jährige Verwaltungserfahrung in der Umstrukturierung seiner Heimatstadt Mannheim.

Was den Pragmatiker auszeichnete, war auch das Team, mit dem er sich umgab, Menschen die - wie Landmann selbst - gesellschaftskritisch, weltoffen und fortschrittlich waren. Unter der Ägide Landmanns wählte der Architekt Ernst May einen für damalige Verhältnisse revolutionären Baustil mit lichtdurchfluteten Wohnungen, zentral beheizt und praktisch für die Bewohner. Mehr als 10 000 Wohnungen sind während der siebenjährigen Amtszeit Landmanns entstanden, darüber hinaus auch das Waldstadion und die Großmarkthalle.

Was Landmann allerdings gefehlt habe, sei der „Wille zur Selbstdarstellung" gewesen, stellt der Historiker Jan Thorbecke in seiner Abhandlung „Die Geschichte der Stadt" fest. Landmann habe Ruhe ausgestrahlt und kurzlebigen politischen Auseinandersetzungen wenig Bedeutung beigemessen. „Modeströmungen sah er kommen und gehen." Dadurch habe er Massenstimmungen und Parteipolitik jedoch auch unterschätzt.


Drohungen wegen jüdischer Abstammung

Mit der einsetzenden Wirtschaftskrise verlor Landmann Mehrheiten in der Stadtverordnetenversammlung. Die SPD kritisierte die hohen Kredite, die er zur Förderung der Industrie aufgenommen hatte. Sozialdemokraten warfen ihm vor, mit der Messe und dem Flughafen eine reiche Klientel zu bedienen. Bürgerlich- Liberale wandten sich von ihm ab, weil seine Wirtschaftspolitik zu sozial orientiert war.

Im Zuge der Radikalisierung der Parteien nach 1930 geriet Landmann in die Defensive. Mit dem Erstarken der NSDAP erhielt er immer wieder Drohungen aufgrund seiner jüdischen Abstammung. „Die Vertreibung aus dem Amt war nur noch eine Frage der Zeit", schreibt Historiker Thorbecke. Im März 1933 entging Landmann - Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) - einer Verhaftung durch die SA und ließ sich vorzeitig pensionieren.

Zunächst lebte er in Berlin, wo er antisemitischen Anfeindungen und Schikanen ausgesetzt war. Unter anderem setzte der Frankfurter Magistrat seine Pensionszahlungen zwischenzeitlich aus, da der „Jude Landmann" durch seine „größenwahnsinnige Wirtschaftsführung" der Stadt ungeheure Lasten aufgebürdet habe.

1939 emigrierte Landmann in die Niederlande, dem Heimatland seiner Frau, wo er sich in Sicherheit glaubte. Nach der deutschen Besetzung im Jahr 1940 bewahrten ihn Freunde vor der Deportation. Bis zu seinem Tod lebte er versteckt. Eine späte Geste der Einsicht erwies ihm der Magistrat über 40 Jahre nach dem Krieg. Im Jahr 1987 ließ Stadtrat Hans-Erhard Haverkamp die sterblichen Überreste Landmanns nach Frankfurt überführen, wo er in einem Ehrengrab beigesetzt wurde. Zum Gedenken an den 70. Todestag Ludwig Landmanns wird Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) heute einen Kranz am Ehrengrab des Verstorbenen auf dem Hauptfriedhof niederlegen.

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