Cori S. Socaciu

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Nachhaltiges Wirtschaften braucht Vorbereitung - Deutscher AnwaltSpiegel

Das LkSG erfordert viel Abstimmung und Teamarbeit bis in die frühe Lieferkette hinein.

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Von Andreas Pyrcek und Corina S. Socaciu


Der Gesetzgeber lässt Unternehmen nicht zur Ruhe kommen. In den vergangenen Jahren haben die Schaffung des Antikorruptionsgesetzes und Neuerungen im Kartellrecht, im Datenschutz und in der Geldwäscheprävention Betrieben einiges abverlangt. Nun rücken die nächsten Herausforderungen näher: Unternehmen sollen ethischer werden. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und die Berichtspflichten zur unternehmerischen Nachhaltigkeit (ESG) bringen neue Transparenzkriterien. Doch wie kann der Wandel gelingen?

Dramatische Bilder gingen um die Welt, als vor Jahren eine Fabrik in Bangladesch brannte. Ähnliches ereignete sich wenige Jahre zuvor in Pakistan, wobei 259 Menschen, eingesperrt im Feuerinferno, starben. Im medialen Fokus standen deutsche Textildiscounter, für die produziert wurde. Doch ungenügende Arbeitssicherheit, Zwangsarbeit in der Lieferkette, Kinderarbeit, Chemieunfälle, Trinkwasserverschmutzung und andere Umweltschäden spielen sich oft im Verborgenen ab, bevor es zum Skandal kommt.

Deutschland hat sich in der Gesetzgebung zur Achtung von Menschenrechten und Ahndung von Verstößen gegen Umweltnormen in internationalen Geschäftsbeziehungen schwergetan. Länder wie Frankreich und Großbritannien konnten mit dem „Loi de vigilance" oder dem „Modern Slavery Act" bereits im letzten Jahrzehnt lokale Rechtsnormen verabschieden - aus diesem Grund war der Schritt zum LkSG nur eine Frage der Zeit. Grundlage für die Umsetzung sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP), die den Schutz von Menschenrechten und Umwelt auf internationaler Ebene im Rahmen der sogenannten „Nationalen Aktionspläne" einfordern.

Das LkSG trifft viele Unternehmen unvorbereitet. Freiwillig unternehmen bisher wenige Wirtschaftsteilnehmer etwas gegen Risiken in der Lieferkette, wie eine Studie im Auftrag der Bundesregierung 2020 ergab. Nur 13-17% der deutschen Unternehmen verfügen demnach über ein freiwilliges Lieferkettenrisikomanagement.

Neun Sorgfaltspflichten für die Lieferkette

Häufig unterschätzen Betriebe den personellen und organisatorischen Aufwand für die Vorbereitung derart einschneidender Prozessintegrationen. Zweck, Anforderungen, Ziele und Umsetzungen müssen für eine fristgerechte Umsetzung zügig analysiert werden, denn der Anwendungsbereich ist breit und die Risiken einer Non-Compliance hoch. Im Falle des LkSG kann unzureichendes Risikomanagement dramatische Einbußen für Unternehmen zur Folge haben, etwa hohe Bußgelder, Ausschluss aus öffentlichen Vergabeprozessen und Klagerisiken. Letztlich steht auch die Reputation auf dem Spiel.

Das LkSG tritt in Deutschland erst 2024 zur Gänze in Kraft. Betroffen sind dann alle Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Doch bereits ab 2023 müssen Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten ihre Complianceprozesse auf die Rechtsnormen, Umwelt- und Sozialstandards für Lieferketten hin anpassen.

Das im Juni 2021 vom Bundestag verabschiedete Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in den Lieferketten gibt in neun Punkten vor, welche Präventions- und Abhilfemaßnahmen einzurichten sind. Es fordert darüber hinaus ein Hinweisgeber- und Beschwerdeverfahren sowie eine genaue Berichterstattung.

Erforderlich ist für diese Veränderungen ein umfassendes Compliance- und Risikomanagementsystem. Erfahrungsgemäß sollten Unternehmen hierfür etwa eineinhalb Jahre einplanen, mindestens jedoch zwölf Monate. Die neuen Zuständigkeiten gehen oft mit Recruiting, Training und personellen Umbesetzungen einher. Zentrale Arbeitsprodukte sind dabei besonders die Risikoanalysen. Hierfür sind aktuelle Lieferkettenaktivitäten zu erfassen, Analyseebenen zu definieren und der aktuelle Umsetzungsstand in Bezug auf das LkSG festzustellen. Die verpflichtende Grundsatzerklärung und die Notwendigkeit, Verstöße von Zulieferern gegen Umwelt- und Menschenrechte zu verhindern, kann den organisatorischen Schwierigkeitsgrad abermals erhöhen. Hierfür ist eine regelmäßige Wirksamkeitsprüfung erforderlich. Im Rahmen der Third Party Integrity Due Diligence und von Audits sollten bestehende und künftige Zuliefererverträge evaluiert werden. Für den Fall, dass Lieferkettenrisiken eintreten, sollten Abhilfemaßnahmen und ein wirksames Beschwerdesystem bereits vorbereitet sein. Einen hohen Stellenwert nehmen dabei Dokumentationsprozesse ein, die in jährliche Berichtsveröffentlichungen münden sollten.

Zwar gibt es keine gesetzlichen Anforderungen für begleitende IT-Systeme und Tools. Jedoch sind Managed Services in Echtzeit gerade im Hinblick auf den hohen Abstimmungsbedarf über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg hilfreiche Enabler der Transformation.

Die interdisziplinären Anforderungen an ein wirksames Lieferketten-Compliance-System spiegeln dabei die Vielfalt der Nachhaltigkeitsrisiken in der Lieferkette wider:

In den beschriebenen Nachhaltigkeitsrisiken sind sich das deutsche LkSG und die ESG-Gesetzgebung der EU ähnlich. Doch während das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz die Zuliefererseite mit klaren Vorgaben und scharfen Sanktionen mustert, befasst sich die noch junge ESG-Disziplin mit Fragen ihrer Selbstdefinition. ESG (Environmental, Social, Governance) fordert die Berücksichtigung von Umwelt- und sozialen Faktoren in der Unternehmensführung.

Doch mit den obigen Rahmenthemen ist das Thema leider noch nicht abgeschlossen: Denn in diesem Zuge sind die Veröffentlichungen zum Entwurf der EU-Direktive „Corporate Sustainabilty Due Diligence" kritisch zu betrachten. In dem jetzigen Entwurf wird unter anderem die Verantwortung zur Nachhaltigkeit in der Lieferkette nochmals signifikant auf Nachunternehmer und Geschäftspartner der Geschäftspartner erweitert.

ESG - zwischen Greenwashing und Transparenz

„Öko und sozial" ist zumindest auf Konsumentenseite längst Mainstream geworden. Musterbeispiele aus der Sportwarenbranche zeigen, dass Nachhaltigkeit nicht mehr nur Marketingangelegenheit zur Unternehmensdarstellung ist, sondern direkt Produktionsprozesse betrifft. Entscheidend dabei ist auch das Selbstverständnis von Mitarbeitern und Management. So werden neuere Materialien unter Berücksichtigung von Umwelt- und Menschenrechtsfaktoren aus Ozeanmüll hergestellt. Das Potential von Nachhaltigkeitsberichterstattung haben traditionell jedoch eher krisenbehaftete Branchen wie Automobil, Banking, Chemie und Pharma genutzt. Darin zeigt sich, dass die Offenlegung von Sozialverantwortung nicht nur auf die Gunst der öffentlichen Meinung abzielt. Hinter bisher freiwilligen Nachhaltigkeitsreports ist vielmehr die Erkenntnis anzunehmen, dass Stakeholder immer öfter nach nichtfinanziellen Kennzahlen in den Unternehmensberichten suchen.

Den Megatrend Klimawandel hat auch die Deutsche Börse erkannt und mit dem DAX-50-ESG einen entsprechenden Index erschaffen, um die größten nachhaltig wirtschaftenden deutschen Unternehmen an der Börse abzubilden. Voraussetzung ist, dass die zugehörigen Unternehmen sich standardisierten ESG-Screenings unterziehen, wobei Beteiligungen am Handel mit Kernkraft, Kraftwerkskohle, umstrittenen Waffen und Tabak ausgeschlossen sind. Doch auch weltweit ist seit 2021 ein rasanter Anstieg an ESG-Investments zu verzeichnen.

„Grüne Investments" sollen die Wirtschaft nachhaltiger machen. Doch der Mangel an einheitlichen Bewertungsstandards öffnet Tür und Tor für Finanzprodukte, die nur dem Namen nach umweltfreundlich sind.

Zum sogenannten „Greenwashing" tragen maßgeblich spezialisierte ESG-Bewertungsagenturen bei, wie das Münchner Forschungsinstitut DFGE bereits 2020 feststellte. Für ein Unternehmen können zwei unterschiedliche Bewertungsagenturen zu stark abweichenden ESG-Ratings gelangen. Grund dafür seien Unterschiede in der Methodik und der Gewichtung von Indikatoren sowie subjektive Interpretationen. Damit stellt das DFGE allgemein die Aussagekraft bisheriger ESG-Bewertungen infrage. Dieser Kritik schließt sich auch der American Council for Capital Formation (ACCF) an. „Ratings that don't rate" betitelte der Washingtoner Think Tank seine Pressemitteilung zu einer Studie über den Einfluss von ESG-Ratingagenturen. Die Studie konstatiert neben einem Mangel an standardisierten Methoden Bias wie Unternehmensgröße, geografische Lage und Branche. Gerade größere Unternehmen würden im Vergleich zu KMU besser bewertet, US-Unternehmen würden im Vergleich zu europäischen teils zu Unrecht schlechter abschneiden. Auch seien aktuelle Ratings oft nicht geeignet, um branchenübergreifende Aussagen zu treffen, da divergierende Risiken und Geschäftsmodelle keine Berücksichtigung fänden.

Wie die Nachrichtenseite Investmentnews.com vermeldet, hat die SEC (Securities and Exchange Commission) bereits mit Gesetzesinitiativen darauf reagiert. Unter anderem wird ein Gesetzesentwurf erwartet, wonach Finanzdienstleister ihre Vermarktungsstrategien für ESG-Produkte offenlegen müssen. Diese „Anti-Greenwashing"-Maßnahme soll sicherstellen, dass Berater, die zu ESG-Anlagen raten, ihre Kunden richtig informieren.

Auch die EU hat die Risiken des Greenwashing im Visier. In ihrer letzten Gesetzesveröffentlichung vom 02.02.2022 hat die Europäische Kommission die ESG-Taxonomie für die Energiesektoren Kernkraft und Gas weiter präzisiert. Die Publikation ist Teil eines umfassenden Gesetzeskatalogs im Rahmen des EU-Aktionsplans zur Verwirklichung des Green Deals und der Klimaneutralität Europas bis zum Jahr 2050. Oberste Ziele sind nachhaltige Kapitalflüsse, Nachhaltigkeit als unternehmerischer Risikomanagementfaktor und die Förderung von Transparenz. Dabei unternimmt die EU den Versuch, neben der Taxonomie für mehr begriffliche Klarheit eine ganze Reihe an transparenzfördernden Unternehmensrichtlinien einzuführen: darunter einheitliche Benchmarks, eine verpflichtende Offenlegung von Nachhaltigkeitskennzahlen und die Klassifizierung von Produkten nach ESG-Kriterien. Inwiefern Greenwashing-Tendenzen dadurch reduziert und die Aussagekraft von ESG-Ratings verbessert werden kann, bleibt abzuwarten.

Es ist jedoch zu erwarten, dass ESG-Bemühungen von der deutschen Gesetzgebung zur Nachhaltigkeit in der Lieferkette profitieren werden. Denn während die EU mit den bisherigen ESG-Richtlinien noch definitorische Kernfragen erörtert, fordert das LkSG betroffene Unternehmen zum konkreten Handeln auf. Die Schwierigkeit von ESG besteht weiterhin darin, von einer rein theoretisch regulierenden Compliancedisziplin den Sprung in die Wertekultur der Unternehmen zu schaffen, damit Führungsentscheidungen sozialverantwortlich werden. In einem Umfeld mit divergierenden Branchenrisiken und Managementsystemen gilt es, ein ESG-System zu integrieren, das auf Legitimität und Integrität setzt. Demzufolge sollte die Schnittmenge zwischen Unternehmenswerten und Verhaltenskodex vergrößert werden. Mit den ESG-Richtlinien erhält die Compliance eine weitere wichtige Aufgabe. Künftig müssen sich Complianceabteilungen grundsätzlich stärker im Bereich Werte, Ethik, Integrität organisieren und die ESG-Unternehmensstrategie als Ganzes unterstützen.

Quo vadis, ESG? Der Spagat der Complianceorganisationen zwischen Lieferkette, ESG, Regeltreue und Integrität

Für Complianceorganisationen ist das Spannungsfeld nicht einfach. Denn die originäre Aufgabe der Complianceorganisation ist im Kern die Regeltreue, also das Herstellen eines Compliancesystems, das legale Grenzen aufzeigt, die Umsetzung im Sinne des Unternehmens steuert und im Fall von Fehlverhalten aktiv wird. Dies ist bei dem Thema LkSG noch überschaubar, beim Thema ESG jedoch wird es für viele Complianceverantwortliche schwieriger. Denn in klassischen Compliance-Offices liegt der Schwerpunkt derzeit noch nicht in der Analyse in Bezug auf legitimes Handeln, im Schaffen von Integritätskulturen und starken Kollaborationen mit Funktionen wie Nachhaltigkeit und Einkauf. ESG und LkSG bewirken somit einen großen Wandel im Tätigkeitsfeld der Compliancebeauftragten.

Aufgaben, die im Rahmen der ESG-Neuerungen auf Complianceverantwortliche zukommen, liegen zunächst in einer klaren Abgrenzung der Themen in einer Governance. Denn ohne klare Definition der Verantwortung solcher Themen wird die ESG-Agenda schnell diffus und verliert an Fokus. Hier sind die Schärfung der Unternehmensethik und Integritätskultur, ein effektiveres Compliance-Management-System, mehr Transparenz und eine geordnete Businesspartnerprüfung im Unternehmen unabdingbar. Darüber hinaus sollte als Teil eines nachhaltigen Integritätsmanagements eine Speak-up-Kultur gefördert werden, die nach innen und nach außen wirkt.

Wenngleich das LkSG klare Handlungskriterien vorgibt, kann die Ausgestaltung je nach Branche und Risikostruktur variieren. Eine der Herausforderungen besteht darin, ein interdisziplinäres Team aufzubauen, das bereichsübergreifend zwischen Compliance, Einkauf und Nachhaltigkeit viele Tätigkeiten durchführt, sich abstimmt und gemeinsam mit dem Management eine klare Governancestruktur errichtet, um Sorgfaltspflichten zu erfüllen.

Mit LkSG und ESG sind Unternehmen in der Pflicht, soziale Verantwortung in ihre Umsatz- und Risikostrategien einzubeziehen. Wenngleich durch nachhaltigere Prozesse ein höherer Aufwand und kurzfristig geringere Margen möglich sind, liegen die langfristigen Vorteile auf der Hand: bessere und ethischere Unternehmen. Davon profitieren alle Marktbeteiligten.

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