Cori S. Socaciu

Autorin | Social Entrepreneur | Consultant, Ffm

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Social-Media-Innovation: Ein Bot für alle Fälle

Botüberfall: Apps könnten bald Geschichte sein. Foto: spql Fotolia

Hat der App-Hype seinen Zenit erreicht? Mit Chatbots schreiben Digitalkonzerne im Silicon Valley bereits das nächste Kapitel der Kommunikationstechnologie.

"Die App ist tot, lang lebe der Chatbot", verkündet das Portal Disruptionhub. "Die Bot-Revolution geht los", warnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Wirtschaftsteil. Unternehmen stehen vor einem Umbruch der B2C-Kommunikation. Unlängst haben auch Marketing-Experten und Internet-Konzerne das disruptive Potenzial der textbasierten Dialogsysteme erkannt. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg bringt es auf den Punkt: "Niemand möchte für jede Dienstleistung eine App installieren. Es sollte möglich sein, mit einem Unternehmen so zu kommunizieren, wie mit einem Freund."

Was nach Zukunftsmusik klingt, ist nicht neu. Denn Chatbots sind längst Teil unseres Alltags. Neben Social Bots, die politische Propaganda und Werbekommentare in Foren platzieren, kennen wir Chatbots auch als digitale Sprachassistenten. Siri auf dem iPhone und Google Now im Play Store sind nur zwei der vielen Formen, in denen Chatbots mit uns interagieren.

"Wenn es um natürlichsprachliche Kommunikation zwischen Mensch und Maschine geht, spielen Chatbots eine große Rolle", sagt Jan Feindt in seinem Buch „Web-Kommunikation mit Open Source". Ein Bot, abgeleitet vom englischen Begriff für Roboter, ist ein textbasiertes System, das über natürliche Spracherkennung mit Nutzern kommuniziert. Der Prototyp der Chatbots, Eliza, 1966 von Joseph Weizenbaum entwickelt, reagierte auf bestimmte Worteingaben und stellte dazu mehr oder weniger passende Fragen als Teil von psychologischen Therapiegesprächen.

Pizza im Chat bestellen

Während Elizas Wissensbasis statisch war, sind heutige Chatbots lernfähig. Je mehr ein Nutzer mit dem Chatbot interagiert, desto mehr passe sich das Programm individuell an, propagiert Facebook-Gründer Zuckerberg die Leistung der Chatbots auf seiner neuen Messenger-Plattform. Anders als die Chatbots in Internetforen soll ein Service-Chatbot im Facebook Messenger all jene Aufgaben übernehmen, die sonst viele einzelne Service-Apps erfüllten. Für den Nutzer, bedeutet dies - ob Wetterbericht, Pizzabestelllung oder Temperaturregler im vernetzten Haus: Jede digitale Interaktion ließe sich im Dialog mit einem intelligenten Assistenten erledigen.

Mit dieser Entwicklung versuchen allerdings nicht nur Facebook, sondern auch Disney, Ebay, Starbuck's und WeChat zu punkten. Dabei profitiert die eigene Hausmarke eindeutig von den Services der im maschinellen Chat. Denn statt in einzelnen Apps mobil einzukaufen, verbringen Nutzer bald mehr Zeit mit dem "alleskönnenden" Chatbot der Plattform. Die angebotenen Marken erhalten zudem einen zusätzlichen Absatz-Kanal durch die Vermarktung im Chat.

Allem voran sind Chatbots jedoch ein Mittel zur effektiven Kundenbindung. Denn wie eine wissenschaftliche Untersuchung im Band "Intelligent Virtual Agents" zeigt, können lernende Chatbots, sich dem Verhalten des Nutzers anpassen und Gefühle auslösen. Den Studienergebnissen zufolge, könnte ein intelligentes Dialogsystem in Form eines Chatbots, das mit jeder Eingabe die Persönlichkeitseigenschaften eines Nutzers immer präziser misst und so Informationen erhält über Humor, Attraktivität und Einstellungen. Dadurch könnte es möglich sein so auf den Nutzer einzuwirken, dass Gefühle wie "Bindung und Übereinstimmung" erzeugt werden. Aus den Studienergebnissen geht hervor, dass das Persönlichkeitsdesign eines Chatbots nicht auf Zustimmung, Humor, Attraktivität oder einem gleichen Alter ausgerichtet sein muss, sondern vielmehr auf Enthusiasmus und Aufmerksamkeit.

Am Ende zahlt der Nutzer

Der aktuelle App-Trend geht hin zu mehr persönlichkeitsorientierten mobilen Anwendungen. Das bedeutet, Apps mit Chat-Funktionen wie zum Beispiel Facebook, Linkedin und Twitter nehmen etwa 50 Prozent der verfügbaren Zeit ein. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch der US Mobile App Report: Der Durchschnittsamerikaner verbringt demzufolge fast 50 Prozent seiner Zeit mit der Lieblings-App Facebook und 18 Prozent der Zeit mit der zweitliebsten App. Mit allen anderen Apps verbrachten die untersuchten Nutzer zehn Prozent ihrer Zeit oder weniger.

Diese Studienergebnisse bestätigen schon jetzt einige Zukunftstrends, die Gerrit Heinemann in seinem Buch "Der neue Online-Handel" ab Seite 14 beschreibt. Darin geht der Springer-Autor im weitesten Sinne davon aus, dass dialogorientiertes Branding von Marken mit Hilfe intelligenter Systeme zunehmen werde. Zugleich kritisiert Heinemann, dass Online-Dienstleister aus Wettbewerbsgründen immer komplexer fragmentierte Vertriebskonzepte haben müssten und unter einem hohen Innovationsdruck litten.

Sollten dagegen Chat-Plattformen mit integrierten Bot-Funktionen tatsächlich das Vertrauen von Online-Händlern branchenübergreifend gewinnen, könnten disruptive Chatbots tatsächlich eine Komplexitätsreduzierung bewirken. Zwar werden Apps deswegen nicht von der Smartphone-Bildfläche verschwinden. Doch nutzungsintensive Chat-Apps wie Facebook Messenger könnten durch integrierte Bot-Services weitere Nutzer abwerben.

Facebook bietet auf seiner intelligenten Messenger-Platform schon jetzt eine Anleitung für Geschäftskunden, um "in nur zehn Minuten einen Bot" zu erstellen. Damit wird vielen Online-Händlern der Schritt hin zur digitalen Transformation erleichtert. Am Ende zahlen allerdings die Nutzer - mit noch mehr persönlichen Daten.

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