Der Vizekanzler erhält in der Paulskirche den Ludwig-Börne-Preis - und redet Klartext. Das macht der Philosoph und Autor auf seine gekonnte Weise, die im Polit-Alltag zu kurz kommt.
Als Robert Habeck am Sonntagvormittag mit Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) den gut gefüllten Saal der Frankfurter Paulskirche betritt, erhebt sich zumindest das vordere Drittel des Publikums. Draußen in der prallen Sonne auf dem Paulsplatz protestieren derweil ein paar Dutzend Menschen gegen die Politik des grünen Wirtschafts- und Klimaschutzministers sowie Vizekanzlers.
Drinnen, wo Habeck an diesem Tag den Ludwig-Börne-Preis erhält, betont Preisrichter Jürgen Kaube gleich zu Beginn seiner Rede, dass die Auszeichnung nicht für politische Leistungen vergeben wird. „Das tun die Wähler", sagt Kaube.
In seiner Begründung zu der Ehrung hatte der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schon Mitte Februar geschrieben: „Wir leben in der steten Gefahr, dass im politischen Gespräch Argumente nichts mehr zählen, sondern nur noch Narrative." Habeck widersetze sich dem „als Politiker und politischer Publizist". Weiter heißt es in der Begründung: „Gesellschaftswissenschaftlich informierte und lebensweltlich grundierte Reflexion prägen seine Äußerungen." Der gebürtige Lübecker erkämpfe sich „Freiräume durch Nachdenklichkeit in den Zwängen der Politik".
Michael Gotthelf, Vorsitzender der Ludwig-Börne-Stiftung, stellt heraus, dass Habeck, der vor seinem Einstieg in die Politik in den Geisteswissenschaften promoviert und als Schriftsteller gearbeitet hatte, „unüblich für einen Politiker, nicht nur reden, sondern auch schreiben" würde. Durch „Klarheit und Einfühlsamkeit" zeichneten sich des Ministers Schriften aus. Der 53-Jährige sei ein „Meister des politischen Essays".
Den mit 20 000 Euro dotierten Literaturpreis, der seit 30 Jahren in der Geburtsstadt Börnes vergeben wird, hatten vor Habeck unter anderem der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, die Schriftstellerin Eva Menasse sowie Alt-Bundespräsident Joachim Gauck erhalten.
„Ungekochte Zeit"In seiner Dankesrede schlägt Habeck einen weiten historischen Bogen bis in die Zeit des Journalisten, Literatur- und Theaterkritikers Ludwig Börne (1786-1837), der durch seinen scharfzüngigen Stil als Wegbereiter des Feuilletons gilt. Börne habe einst von einer „ungekochten Zeit" des Umbruchs geschrieben, die Habeck mit heute vergleicht.
Weltweit stünden freiheitliche Demokratien unter Druck. Autoritäre Regime hätten Aufwind. „Wir erleben das Wiedererstarken brutalster Machtpolitik", warnt der Vizekanzler. Daneben bedrohe die Klimakrise Demokratie, Freiheit und das soziale Miteinander. Im Gegensatz zu Börnes Lebensjahren sei die Welt heute schon „um 1,2 Grad wärmer". Gleichzeitig sei der Begriff „Transformation" leicht dahingesagt, jedoch nun mal mit „Zumutungen, Ängsten und Sorgen verbunden".
Mit dem rhetorischen Mittel der „Antithese" habe Publizist Börne „einen Sprachraum eröffnet". „Börne will ins Lot bringen", sagt Habeck und fügt hinzu: „Das, was zerstört ist, muss wieder zusammengesetzt werden." Er plädiert für eine Streitkultur, „bis an die Grenze der Beleidigung", wie es sie damals bei Börne gegeben habe.
Auf die Frage von Preisrichter Kaube, ob ihn sein Amt verändert habe, antwortet Habeck: „Es hat mich gar nicht verändert." Dann schiebt er aber noch hinterher: „Außer dass sich manche Jahre wie sieben anfühlen", was für ein Raunen im Publikum sorgt.
Draußen in der Mittagshitze haben sich die Demonstrierenden in der Zwischenzeit warmgebrüllt: „Habeck muss weg!" und „Kriegstreiber!" Drinnen erhält der grüne Vizekanzler dagegen zum Abschluss stehende Ovationen - diesmal von allen im Saal.