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Kopenhagen: "Bloß nicht überreagieren"

Zeit online  - Politik | 15. Februar 2015 


Auf den Straßen Polizisten, Hubschrauber in der Luft und trotzdem volle Kneipen: Nach den Anschlägen bleiben die Dänen gelassen, selbst als der Täter noch flüchtig ist.


von Clemens Bomsdorf, Kopenhagen 


Keine zwölf Stunden nachdem der Attentäter von Kopenhagen erschossen worden ist, geht das Leben in der dänischen Hauptstadt seinen gewohnten Gang. Die Straßen und Cafés sind so voll wie an jedem anderen Sonntag im Winter auch. An den im Stadtzentrum gelegenen Seen drehen Jogger ihre Runden.

Zwar zeugen die vielen Blumen, die vor der Hauptsynagoge in der dänischen Hauptstadt abgelegt werden sowie die schwer bewaffnete Polizei, die sie bewacht und auch andernorts patrouilliert, davon, dass dieser 15. Februar kein gewöhnlicher Sonntag in Dänemark ist. Doch die Kopenhagener weigern sich, panisch zu werden.

"Es ist schrecklich, was passiert ist, aber Angst, nein, Angst habe ich nicht", sagt Laura Holst, die gerade ihr Fahrrad durch die Fußgängerzone unweit der Synagoge schiebt. Dass solch ein Anschlag in Dänemark wahrscheinlich ist, sei ihr schon lange bewusst, sagt die Studentin. Auch vor dem Attentat auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo. "Daran denkt man, aber Panik ist die völlig falsche Reaktion wenn ein Einzelner so eine Tat verübt. Es muss jetzt weitergehen wie zuvor."

Wie Holst denken viele in Dänemark, sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. "Bloß nicht überreagieren", rät der Fahrradmechaniker Rasmus Rytter sich und seinen Landsleuten. Diese Gelassenheit war auch schon in der Nacht zu Sonntag zu beobachten: Obwohl der Attentäter, der am Nachmittag einen Terroranschlag verübt hatte, noch auf der Flucht war, strömten die Dänen wie samstagabends üblich zu Tausenden in die Stadt. Wie an jedem Wochenende waren die Kneipen und Klubs der Hauptstadt gut gefüllt.

"Es hätte schlimmer kommen können"

Auf den Straßen überall Polizisten, Hubschrauber in der Luft - dass ein gefährlicher Attentäter gesucht wird und Terroralarm herrscht, ist am Samstagabend offensichtlich. Doch mit Freunden ein paar Bier trinken zu gehen, das wollte sich kaum jemand verderben lassen.

So wird in einer Kneipe im Stadtteil Nørrebro der Anschlag gegen Mitternacht ganz ruhig diskutiert. Auch als das Gerücht die Runde macht, ein weiterer Mensch sei ums Leben gekommen, gibt es keinen Aufschrei. "Irgendwie haben wir doch alle damit gerechnet, dass das irgendwann einmal passiert. Es ist schlimm, hätte aber wohl viel schlimmer kommen können", so ein Gast. Das klingt wie die dänische Version von Keep Calm and Carry On, ruhig bleiben und weitermachen, der mittlerweile zum geflügelten Wort gewordene Spruch der Briten aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die Dänen haben sich tatsächlich zu eigen gemacht, was in solchen Situationen gerne gefordert wird: Lebt so weiter wie bisher, tut, was ihr ohnehin geplant hattet. Denn wenn die Leute in Panik ausbrechen und sich alle aus Angst in ihren Häusern verkriechen würden, hätte der Attentäter ein wesentliches Ziel erreicht: Der Schrecken vor dem Terror würde die Gesellschaft dominieren.

Nur ein paar Straßen von der Synagoge entfernt, wo ein Wachmann erschossen wurde, interviewt in der Nacht das dänische Fernsehen einen Türsteher - auch der bleibt so wie die hinter ihm stehenden Gäste relativ gelassen. Angst ist in ihren Augen nicht zu sehen.



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