Eine Spritze Glück - Glosse
Financial Times Deutschland | 21.09.2005
Clemens Bomsdorf
Kate Moss sieht umwerfend aus. Auch dann, wenn sie in einem Londoner Tonstudio
sitzt und Kokain schnupft. Hohe Stiefel, viel nackte Haut und lange, brünette Haare –
wenn sich eine solche Frau die Nase pudert, kann niemand moralerzieherisch korrekt den
Blick abwenden.
Das wussten auch der englische „Daily Mirror“ und „Aftonbladet“ aus Schweden, die
die Serie „Koksende Kate“ in hoher Auflage an den Zeitungskiosken verkauften.
Doch der schwedischen Modekette H&M war das offensichtlich zu viel des Reizes.
Kate Moss werde nicht wie geplant für die Herbstkollektion von H&M werben, teilte das
Unternehmen, das stets an der Spitze des modischen Fortschritts steht, gestern mit. Es
gehe hier ums Prinzip, erklärte eine Sprecherin entschieden.
Ganz abgesehen davon, dass Kokain und Werbung schon lange Synonyme sind, haben
die Leute in der Marketingabteilung von H&M die Zeichen der Zeit eindeutig nicht erkannt.
Statt die Produktion der eigenen Kampagne einzustellen und lieber die von der britischen
Boulevardpresse gelieferten Bilder – ergänzt um das rote H&M-Logo – in Postergröße
in die Bushaltestellen Europas zu hängen, nehmen sie Moss aus dem Programm.
Dabei gibt das koksende Model doch ein noch dekadenteres Bild ab als die Frauen,
die Terry Richardson für den H&M-Konkurrenten Sisley geschossen hat. Und Kate Moss
sollte ja auch für die Stella-McCartney-Kollektion werben. Deren Vater Paul immerhin
dichtete schon in den 1960ern gemeinsam mit John Lennon: „Happiness is a warm
gun.“ Das Glück ist eine warme Spritze.