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Mathias Mester: Der, der immer lacht

Mathias Mester lacht drei Lachen. Sein Gnihi, hoch und leise, schüttelt er auf Abruf aus dem Hals, wenn er einen Witz beim Training auf der Hantelbank reißt. Sein Spezialgebiet ist das Höho. Witze über sich selbst, einen kleinwüchsigen Menschen, über den man genauso lachen darf wie über jeden anderen. In Corona-Zeiten etwa: Bitte halten Sie einen Mester Abstand!

Mester liebt Wortspiele, das Herumflachsen, den Schenkelklopfer, er lacht deutlich häufiger als die anderen. Manchmal legt er den Kopf zurück und lacht spontan und laut: Haha!

Hinter der Leichtathletikanlage im alten Stadion in Gladbeck, wo ein paar junge Menschen auf der Tartanbahn um die Wette rennen, liegt der Kraftraum, in dem Mester trainiert. Er ist dort allein, ballert Techno, pumpt die Hantelbank, zieht an Seilen, schmettert einen kleinen Ball gegen eine Wand, an der im zarten Grau eine Schicht Schweiß vieler Trainierenden klebt. Er steigt in eine Hex-Bar, eine sechseckig geformte Stange mit Gewichten, und sagt: "Ein Freund, auch kleinwüchsig, passt hier mit seinem fetten Arsch gar nicht rein." Höhö. Dann schaut er in den Spiegel, verzieht sein Gesicht und hebt. Whuaaaaa.

Mathias Mester, 142 Zentimeter groß und 34 Jahre alt, ist einer der erfolgreichsten Parasportler des Landes. Er stößt Kugeln, wirft Diskusse und besonders gerne und erfolgreich Speere, diese auch mal mehr als 40 Meter weit. Einige seiner Speere sind pink. Er ist mehrmaliger Europameister und Weltmeister, was ihn in seiner Wortspielwelt zum "Weltmester" macht, wurde 2007 zum Behindertensportler des Jahres gewählt und erhielt 2008 das Silberne Lorbeerblatt, die höchste sportliche Auszeichnung, vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler überreicht.

Im November kam ein Preis hinzu: der Sonderpreis für "Besondere Leistungen" vom Deutschen Behindertensportverband (DBS). Die besondere Leistung, das ist sein Humor.

Es kommt nicht oft vor, dass Menschen wirklich über sich lachen lassen. Noch seltener mögen sie es. Selbstironie wird gerne verwechselt mit der Koketterie, die, meist online, in Wahrheit nur Aufmerksamkeit sucht. Seht her, das Bananenbrot ist mir runtergefallen, wie ungeschickt von mir! Über Deutsche heißt es im Ausland oft, dass sie schlecht über sich selbst lachen können.

Aber wenn der Münsterländer Mathias Mester etwas noch besser beherrscht, als Speere weit entfernt in den Rasen zu spießen, dann ist es Selbstironie. Er nutzt wirklich jede Chance, die sich ihm für einen Witz auf eigene Kosten bietet. Ist das überhaupt lustig? Erst mal egal, Hauptsache lachen!

Als sich die meisten Menschen im April 2020 in Deutschland mit dem Coronavirus arrangierten, wenige Wochen nachdem die Kanzlerin gesagt hatte, dass es ernst sei, und kurz nachdem die Olympischen Spiele und Paralympischen Spiele in Tokio verschoben worden waren, begann Mester, Quatsch zu machen. Er rief auf seinem Instagram-Kanal die "Parantänischen Spiele 2020" aus. Seine Idee: "Wenn ich nicht zu den Paralympischen Spielen kann, kommen sie halt zu mir, unter Quarantänebedingungen."

Er setzte sich eine Schwimmbrille auf, sprang in eine Badewanne, kraulte, sodass das Wasser über den Rand schwappte, wendete in der Wanne, kraulte weiter. Er stemmte unter fingierter Kraftanstrengung eine Stange, an der Klopapierrollen hingen, sprang auf einem kleinen Spielzeugpferd durch einen Vorgarten über Hindernisse. Und natürlich: rhythmische Sportgymnastik.

Ja, das sah alles ziemlich beknackt und unsinnig aus. Die Videos kommentierte er selbst und man wird das Gefühl nicht los, dass er sich auch über die immer gleichen Phrasen von Sportkommentatoren lustig macht. Er postete die Videos auf Instagram, Facebook und TiTtok, bekam viele Likes, Medien berichteten, Sponsoren pushten ihn.

Mester geht offensiv mit seiner Behinderung um, sehr offensiv

Nun fanden die "Parantänischen Winterspiele" statt. Mester veröffentlichte jeden Tag um 18 Uhr ein Video: Er stolpert auf Skiern eine Rutsche runter, knallt in einem Plastikrodel von einer Stahltreppe auf die andere, simuliert Eiskunstlaufelemente mit befreundeten Athletinnen.

Ob er sich mal weh getan habe? "Wenn ich falle, falle ich ja nicht tief?", sagt Mester. In einem Video klapst er der Kollegin auf den Po. Gnihi! Höhö! Und noch mal: Gnihi! Höhö! Nicht alle finden das witzig.

"Vielleicht ist es auch Neid", sagt Mester. Einige Parasportlerinnen und -sportler würden über ihn lästern. Er ist bekannter als sie, wird ins Fernsehen geladen, rät in einem Quiz auf Vox. Ende Januar wird er in einer Talkshow bei Barbara Schöneberger mit Matthias Schweighöfer und Simone Thomalla diskutieren. Er wirkt vor der Kamera echt, gewinnt deswegen Preise, nun auch noch diesen Sonderpreis. Fürs Quatschmachen?!

Es seien oft ältere Para-Athletinnen und -Athleten, sagt Mester, die solche Aktionen nicht gut fänden. Er geht offensiv mit seiner Behinderung um, sehr offensiv. Er sagt: "Ich bin, wie ich bin und wenn's denen nicht passt, sollen die sich das halt nicht angucken." Es sind andere Menschen, die Mester erreichen will, und die erreicht er auch: Sein Badewannenkraulvideo sei rund eine Million Mal abgerufen worden.

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