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„Kreative" Grenzen für US-Wahlkreise

Die Praxis der politischen Wahlkreisverschiebung ist eines der ernsten Strukturprobleme der amerikanischen Demokratie. Im Mehrheitswahlsystem können Regierende den eigenen Wahlerfolg erhöhen, indem sie Grenzen so zeichnen, dass möglichst viele Stimmen in möglichst wenigen Bezirken an die politischen Gegner gehen, während in den meisten anderen Bezirken die eigene Partei die Mehrheiten stellt.

Die Wahlkreisverschiebung ist eine - nicht so geheime - Waffe für Demokraten und Republikaner. Die Wahlkreise der Einzelstaaten werden in der Regel alle zehn Jahre nach der Volkszählung neu eingeteilt. In den meisten US-Staaten wird die Grenzziehung im Wesentlichen von Gesetzgebern kontrolliert. Das bedeutet, dass die Mehrheitspartei politische Grenze ziehen kann und demokratische Entscheidungen verzerren kann.


  Anordnung des Obersten Gerichts in Pennsylvania


Um der Praxis einen Riegel vorzuschieben, wurden in den vergangenen Jahrzehnten Dutzende Klagen eingereicht. Zuletzt ordnete der von Demokraten dominierte Oberste Gerichtshof in dem von Republikanern regierten Bundesstaat Pennsylvania dieser Tage an, eine neue Kongressbezirkskarte einzuteilen, wie die „New York Times" berichtete. Die aktuelle Karte würde gegen die Verfassung verstoßen und die Republikaner bevorzugen.


  US-Höchstgericht könnte Urteil blockieren


Die republikanisch dominierte Legislative des Bundesstaates, die 2011 die aktuelle Karte entworfen hatte, kündigte bereits an, die Entscheidung anzufechten. Die Anordnung in Pennsylvania ist einzigartig, da sie auf staatlichem Recht, nicht auf Bundesrecht basiert, hieß es auf CNN.


Entscheidet der Oberste Gerichtshof eines Bundesstaats auf Basis des Staatsrechts, hat der Oberste Gerichtshof in Washington dazu nichts zu sagen, so der „Rolling Stone". US-Medienberichten zufolge hat das US-Höchstgericht in Washington nun aber signalisiert, die Entscheidung zu blockieren, berichtete unter anderem die „Los Angeles Times" am Montag.


  Urteil könnte Republikaner schwächen


Sollte das Urteil standhalten und die Karte neu entworfen werden, könnte das ernste Konsequenzen für die Republikaner dafür haben, ob sie bei den Zwischenwahlen im Herbst die Kontrolle über das Parlament behalten können. Pennsylvania ist ein „Swing-State", der in den letzten Wahlen Parteien beider Couleur unterstützt hat.

In der aktuellen Bezirkskarte kontrollieren die Republikaner 13 der 18 Sitze des Staates, obwohl bei den Kongresswahlen 2014 44 Prozent der Wähler die Demokraten gewählt hatten. Laut Wahlexperten könnten bei einer unparteiischen Bezirkskarte bis zu fünf Sitze an die Demokraten gehen.


Pennsylvania gilt als einer der Bundesstaaten, die am stärksten von der Verschiebung von Wahlbezirken betroffen ist. Mitunter sind durch die Grenzziehung von Wahlbezirken fantasievolle Formen entstanden, wie etwa ein Wahlkreis, der aussieht wie Goofy, der seinen Zeichentrickfreund Donald Duck tritt.


  Bundesstaaten üben Widerstand


Ähnliche Fälle, allerdings auf Bundesebene, von Republikanern in Maryland und Demokraten in Wisconsin, sind vor dem US Supreme Court anhängig. Mit einer Entscheidung des Höchstgerichts ist allerdings erst Mitte nächsten Jahres zu rechnen, wie mehrere US-Medien berichteten.


Bis zu dem Fall aus Wisconsin waren nur Einteilungen aus rassistischen Gründen beurteilt worden. Laut US-Wahlrechtsgesetz von 1965 ist die Praxis nur dann illegal, wenn sie Minderheiten benachteiligt. Nun stellt sich die Frage, wie objektiv ermittelt werden kann, wann Politiker zu weit gehen.


In der Hand der Republikaner


Die aktuell geltenden Wahlkreislinien wurden überwiegend unter republikanischen Administrationen gezogen. Einer Analyse der Associated Press (AP) zufolge haben die Republikaner bei den Kongresswahlen 2016 allein durch die Wahlkreisziehung bis zu 22 Sitze im Repräsentantenhaus mehr gewonnen, als statistisch erwartbar gewesen wäre. Das verhalf ihnen zu einer starken statt nur einer knappen Mehrheit.


Durch geschicktes Ziehen der Wahlkreisgrenzen kann jede Partei bei gleicher Stimmenzahl einen Vorsprung erzielen. Dafür gibt es mehrere Strategien. Etwa das Ausdünnen oder „cracking", bei denen die Opposition in Bezirke verteilt wird, sodass sie keine Mehrheit bekommt. Eine andere Methode wird „packing" genannt, bei dem möglichst viele Wähler der Opposition in wenige Bezirke verteilt werden. Dadurch fehlen die überzähligen Wähler in angrenzenden Kreisen, in denen sie die Kandidaten der anderen Partei gefährden könnten.


Computer verschärfen Problem


Immer bessere Wählerdaten und Software verschärfen das Problem. Dank Computerprogrammen und Data-Mining ist das Verfahren berechenbarer geworden. Parteien bestimmen ihre Wahlkreise nach Alter, Einkommen, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit der Einwohner. Die klassische Klientel der Demokraten sind farbige Großstädter und Intellektuelle. Menschen, die ländlich leben, weiß und evangelikal sind, stimmen dagegen eher für die Republikaner, schrieb die „Zeit".

Sollte das System so bleiben, dann könnte es mit der Demokratie in den USA zunächst vorbei sein, warnte US-Professor Samuel Issacharoff bereits 2013 gegenüber dem „Independent". „Die Wähler bestimmen nicht länger die Mitglieder im Repräsentantenhaus, sondern die Menschen, die die Linien ziehen", so Issacharoff.


  Gouverneur namensgebend


Das Verfahren (auf Englisch: „Gerrymandering") verdankt seinen Namen dem Gouverneur Elbridge Gerry, der im frühen 19. Jahrhundert im Bundesstaat Massachusetts die Wahlbezirke neu zuteilte und dabei, um seine Partei zu schützen, einen Bezirk genehmigte, der große Ähnlichkeit mit einem Salamander hatte.

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Möglich ist „Gerrymandering" durch das Mehrheitswahlrecht in den USA. Neben den USA ist die Praxis in beinahe allen Ländern mit Mehrheitswahlrecht umstritten, darunter Frankreich, das Vereinigte Königreich, Belgien und Singapur.

Nicht im Zusammenhang mit dem Mehrheitswahlrecht wurde „Gerrymandering" 1920 auch in Österreich angewandt, nämlich als aus dem Bundesland Niederösterreich die Länder Wien und Niederösterreich geschaffen wurden. Das ermöglichte es der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP, SPÖ-Vorgängerpartei, Anm.) und der Christlichsozialen Partei (CS, ÖVP-Vorgängerpartei, Anm.), jeweils eine politische Hochburg aufzubauen.

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