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Job-Doping mit Hippie-Droge

Eine neue Art der Selbstoptimierung durch leistungssteigernde Drogen ist im Silicon Valley laut US-Medien schon weit verbreitet. Dabei werden psychedelische Drogen, wie LSD, in Mikrodosierung konsumiert. Nun gibt es den ersten Berater für die Dosierung der Psychedelika. Der US-Amerikaner Paul Austin betreibt eine Onlineplattform, die sich dem - wie er sagt - verantwortungsvollen Konsum von leistungssteigernden Drogen verschrieben hat. Ein Trend, der den Zeitgeist trifft.

„Turn on, tune in, drop out", war der Slogan der Gegenbewegung der 1960er und 70er Jahre. LSD war das Wundermittel, um „auszusteigen", und der „Acid-Head" ein Rebell. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade im kalifornischen Silicon Valley, wo einst die Hippie-Bewegung ihren Anfang nahm, nun dieselbe illegale Substanz als leistungssteigerndes Mittel konsumiert wird.


  Konzentriert und kreativ


Dass die Hippie-Droge in manchen Milieus eine Renaissance erlebt, sehen viele der flexibilisierten Arbeitswelt geschuldet. „Wer LSD in Mikrodosen nimmt, wird die künftige Arbeitswelt beherrschen", sagte der 27-jährige Austin kürzlich im Interview mit der „NZZ am Sonntag" („NZZaS"). Eine typische Mikrodosis beträgt etwa ein Zehntel einer üblichen Dosis, zwei bis dreimal pro Woche. Diese Menge soll energiegeladener, fokussierter und kreativer machen, so Austin.


Dass LSD konzentrierter machen soll, mag verwundern. Assoziiert man die Hippie-Droge doch eher mit Kontrollverlust und Trips mit rosa Elefanten. Eine niedrige LSD-Dosis habe aber genau den gegenteiligen ­Effekt einer hohen Dosierung, propagiert Psychedelika-Experte Austin gegenüber der „NZZ".


  Impulsiv und manisch


Auch andere Anwender berichten gegenüber US-Medien von mehr Konzentrationsfähigkeit und Kreativität - und damit essenziellen Eigenschaften und Fähigkeiten für technologiegetriebene Kreativbranchen wie im Silicon Valley.

LSD bringe seine Konsumenten in einen Flow-Zustand, beschreibt Austin - anders als Stimulanzien wie Koffein, die das konvergente Denken fördern würden, das auf eine einzige Lösung abzielt. Im „Flow" könne man kreative Projekte besser vorantreiben und Ideen leichter umsetzen. „Wer jedoch zu oft im Flow ist, kann impulsiv und manisch werden", warnt Austin. Der 27-Jährige nimmt selbst regelmäßig LSD ein. Die Einnahme habe ihn weniger verkopft, lockerer und geselliger gemacht, sagte er zu „NZZaS".


  Panikattacken und psychische Abhängigkeit


Doch der Grat zwischen Selbstoptimierung und Kontrollverlust ist schmal, warnen Experten. Auch bei kleinen Mengen ist der regelmäßige Drogenkonsum nicht ungefährlich. Bei manchen Menschen können trotz Mikrodosierung Panikzustände auftreten, wie US-Medien berichten. LSD ist sehr stimulierend und kann manche Symptome - wie beispielsweise Angststörungen - auch verstärken, warnt auch Austin.

Und auch wenn Halluzinogene nicht körperlich abhängig machen, kann es zu einer psychischen Abhängigkeit kommen, nämlich dann, wenn die Droge regelmäßig eingenommen wird, um eine bestimmte Arbeitsleistung zu erreichen. Noch gibt es jedenfalls keine wissenschaftlichen Studien zur Mikrodosierung.


  Zielgruppe „40 plus"


Austin will eine kulturelle Debatte über Psychedelika in Gang bringen. Seine Beratungsplattform „The Third Wave" soll ein neues „psychedelisches Zeitalter" einläuten: „In der ersten Welle haben indigene Kulturen Halluzinogene genommen, in der zweiten die 68er-Generation, und jetzt wir", so Austin zur „NZZ".


60.000 neue Besucher rufen Austin zufolge die Internetplattform monatlich auf. Die Beratungen und Kurse würden vorrangig von zwei Kundengruppen gebucht: Unternehmer, Ingenieure und andere Spezialisten aus der Tech-Branche, im Schnitt zwischen 20 und 40 Jahren, die ihre Produktivität steigern wollen. Die große Mehrheit sei allerdings zwischen 40 und 60. Laut Austin wollen sie ihre Depression behandeln oder in zunehmendem Alter leistungsfähig bleiben.


  Das menschliche „Upgrade"


Dass der neue Trend des Microdosings aus Kalifornien kommt, liegt nicht allein an dem Leistungsdruck, der dort vorherrscht. Die Popularität von Drogen hat in dem Tech-Zentrum in der Gegend um San Francisco eine lange Tradition und wird nach wie vor vom Geist der Hippie-Bewegung beeinflusst.


Zudem gibt es transhumanistische Bewegungen, die den Menschen schon jetzt als Maschine betrachten, die es unaufhörlich technisch zu verbessern gilt, wie mit einem „Upgrade" durch Substanzen. Legendär sind auch die Anekdoten über LSD-Trips des mittlerweile verstorbenen Apple-Mitgründers Steve Jobs. LSD zu nehmen sei eine der wichtigsten Erfahrungen in seinem Leben gewesen, sagte er einst.

Dabei ist der Arbeitsplatz nicht der einzige Ort, an dem zu leistungssteigernden Mitteln gegriffen wird. Aufputschmittel werden von Studenten immer häufiger eingesetzt, etwa um nächtelang konzentriert durchzuarbeiten. Wie viele Studenten psychoaktive Substanzen nehmen, ist nicht bekannt.


  Gehirn unter Strom


Fest steht: In der Leistungsgesellschaft geben neue Innovationen ein immer höheres Tempo vor. Dabei treiben die Mittel zur Selbstoptimierung bisweilen bizarre Blüten. Um mithalten zu können, greifen manche auch auf „Gehirndoping" zurück. Dabei kommt neben Pillen auch Strom zum Einsatz.


Bei der Transkraniellen Gleichstromstimulation werden Elektroden an der Stirn angebracht, sodass ein schwacher Strom durch den vorderen Teil des Gehirns fließt. Diese Stimulation, ursprünglich für Patienten nach einem Schlaganfall gedacht, soll auch die Hirnleistung steigern. Einer 2015 publizierten Studie zufolge hat diese Methode allerdings den gegenteiligen Effekt, wie Deutschlandfunk damals berichtete.

Auch wenn Befürworter, wie Austin, die Mikrodosierung propagieren, sind der Einsatz der Substanzen zur Leistungssteigerung und ihre Langzeitfolgen kaum erforscht. Fest steht: Wer nur mit Drogen Leistung bringen kann, macht sich auf Dauer abhängig.

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