Obwohl es jedem, trotz fehlender theologischer Expertise, logisch erscheinen muss, dass kein Rechtsgläubiger diese Gräueltat durchgeführt hat, wurde der obligatorische Druck auf Muslime ausgeübt, sich für den Anschlag, "der im Namen ihres Gottes verübt wurde", zu rechtfertigen. Der Aufforderung zur Distanz kam die Community auch im großem Maß nach.
Unter denen, die Solidarität bekunden, sind auch viele, die in den letzten Jahren Gegenteiliges erklärt haben. Die Franzosen werden aus ihrer Lethargie gerissen und weltweit identifizieren sich nun viele mit dem wöchentlich erscheinenden Satiremagazin, dass auf den Zeitschriftenmarkt bisher nur eine marginale Stellung eingenommen hat.
Doch gar nicht zu reagieren wäre schlichtweg falsch. Denn das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo war kein gewöhnlicher, sondern ein gezielter Angriff. Ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Auf eines der kostbarsten Rechte der Menschen.
Die Solidaritätsbekundung " Je suis Charlie " konnte man in den vergangenen Tagen auf der ganzen Welt sehen. Übersetzt auf die österreichische Gesetzgebung, bedeutet der Sager auch, dass der Blasphemie-Paragraf 188, der im Strafgesetzbuch verankert ist und gegen die "Herabwürdigung religiöser Lehren" steht, abgeschafft werden muss? Muss Meinungsfreiheit Grenzen kennen und wo sollen diese gezogen werden? Müssen die Gefühle religiöser Menschen geschützt werden?
Nein. Das Recht Kritik zu üben, ist wichtig. Gerade im Hinblick auf Religion, "weil Religionen oft ein System der Machtausübung und des Lobbyismus installiert haben." sagt SozialwissenschaftlerJérôme Segal.
Aber es muss eine Trennung zwischen Kritik und Hetze geben. Für Michel Houellebecy, der in seinem kürzlich erschienen Roman ein Szenario eines Frankreichs unter islamistischer Machtübernahme entwirft, endet die Meinungsfreiheit nicht an dem Punkt, der dem einen oder dem anderen heilig ist. Sie darf "Öl ins Feuer gießen."
Für die westliche Gesellschaft und Politik ist der Anschlag auf das französische Satiremagazin eine Zäsur in die Weltgeschichte. Vergleichbar mit dem Terroranschlag des 11.September 2001, der dann in einen "Krieg gegen Terror" resultierte.
Karikaturist Haderer meint "die Pariser Tragödie ist eine Zäsur für uns alle". Freilich gab es in der europäischen Geschichte noch keinen vergleichbaren Anschlag, bei dem mit einem Schlag sieben Journalisten eines Mediums hingerichtet wurden. Für die Vertreter des Islam aber gibt es tagtäglich tragischere Ausformungen als das, was wir jetzt in Paris mitangesehen haben. Zum Beispiel "das, was im pakistanischen Peschawar passiert ist - Terrorismus von Muslimen gegen Muslime" erinnert Carl Bildt vergangenen Sonntag beim geopolitischen Diskurs im Burgtheater.
Derstandard hat mit den Vorabdrucken von "Charlie Hebdo" ein Zeichen für die Presse- und Meinungsfreiheit in Österreich gesetzt. Dass sich englische und amerikanische Zeitungen mit einem Verzicht auf den Druck der Ausgabe selbst zensiert haben, zeigt, dass die Morde von Paris auch den Weg für Zensur und Freiheitseinschränkungen bereiten.
Schon seit einigen Jahren zeigt sich ein Trend in Europa, der jede Form von politischer Kritik in der medialen Berichterstattung, zu unterbinden versucht. Die Einschränkung der Pressefreiheit findet nicht nur unter der Regierung Orban, sondern auch in Serbien statt und kann sich letztlich weiter ausweiten, wenn sich die Presse aus Angst selbst zensiert.
Diese Angst und Verunsicherung, die seit den letzten Tagen in vielen Verlagen herrscht, ebnet auch den Weg für neue Anschläge. Islamwissenschaftler Lüders sieht dies in der Tatsache begründet, dass der terroristische Anschlag seine gewünschte Wirkung erzielt hat: eine Einschüchterung. Deswegen muss erst recht gezeigt werden, dass wir uns nicht den Mund verbieten lassen: "Nous sommes tous Charlie".