“Ich krieg einen dicken Hals wenn ich das sehe.” Dr. Ingrid Adam kann es nicht fassen. Sie und ihre Freundin Monika Gusek sind an diesem kalten Herbstmorgen in dicke Mäntel gepackt zum Karlsplatz gekommen. Der kalte Wind streift durch ihre Haare, die sie in Wollmützen verstecken. Trotz eisigen Temperaturen treibt es ihnen vor Wut die Röte ins Gesicht. “Von der gesundheitlichen Seite gesehen ist das hier ganz ung’sund, da kriegt man gleich einen hohen Blutdruck”.
Die Medizinerin steht kopfschüttelnd in dem Labyrinth aus 230 grauen Betonklötzen. “Man kann sich die Millardenhöhe ja wirklich nicht vorstellen. Wenn man das dann sieht. Nämlich nicht nur die vielen Häuser, sondern auch die ganze Infrastruktur, die Anlagen, das Stadion”. beschreibt sie das Stadtmodell, dass inmitten des trockengelegten Brunnens der Karlskirche angelegt wurde.
Hätte man die Stadt gebaut, wäre sie mit zwölf Quadratkilometern die sechstgrößte Österreichs. Mehr als 120.000 Menschen hätten hier Platz gefunden. Außerdem zwei Straßenbahnlinien, zwei Buslinien, ein Campingplatz, ein Hort, eine Müllverbrennungsanlage und ein Stadion, das der Klagenfurter Hypo-Arena nachempfunden ist. Doch was die Besucher , die sich ihre Wege durch die Steine bahnen so fassungslos macht: Sie wird nicht gebaut. Sie ist eine Hytopie. Das Geld, mit dem sie gebaut werden könnte, ist weg. Aufgewendet, um eine Bank zu retten
Wie der Stein ins Rollen kam
19 Millarden Euro. So viel könnte Österreich die Rettung der Hypo-Alpe-Adria kosten, vor allem dem Steuerzahler, der dafür aufkommen muss. Trotz medialer Berichterstattung blieben Proteste aus. Die fehlende Anteilnahme der Bevölkerung und Schweigsamkeit der Politiker gaben dem Bauingeneur-Studenten Lukas Anlass für sein Projekt, der sich ihre Reaktion so erklärt: “Wegen der fehlenden Vorstellung löst der Hypo Finanzskandal weder emotionale Erregung noch eine Protestlawine aus.”
Darin liegt seine Motivation und Idee, das finanzielle “Desaster” der Bank jedem einzelnen österreichischen Staatsbürger greifbar zu machen und in eine anschauliche Relation zu bringen. Er sieht die Proportionalität ”eines der wesentlichsten und effektivsten Hilfsmittel der menschlichen Vorstellungskraft. Und da kein normaler Bürger eine Summe mit dieser Größenordnung auf den Sparbuch besitzt oder je gesehen hat, kann er keinen Bezug dazu herstellen. “
Kinder wuseln durch die Stadt, beleben die nackten Beton- und Holzklötze mit mitgebrachten Bäumen. Sie sind mit ihren Schulklassen gekommen. Eine Klassenlehrerin erzählt, dass sie die kleinen Modellbäume im Unterricht gebastelt haben. Sie findet es “ganz wichtig, dass so etwas (Anm.:der Hypo-Skandal) auch die Kinder herangebracht wird und diese es wiederum nachhause tragen”.
Interdisziplinäres Planungsteam
Buntgefärbte Blätter fallen auf die nackten Klötze. Eine Gruppe junger Menschen entfernt sie mit Staubsaugern. Einer von ihnen ist Allen Swartl. Der Architekturstudent war Teil des Kernteams und beaufsichtigt heute die Betonklöte. Der Hypo-Finanzskandal war nicht sein vorrangiger Beweggrund an dem Projekt mit zu arbeiten. Ihn reizte die interdisziplinäre Arbeit im Bauteam: “Man lernt viel von anderen Studienrichtungen. Wie diese an solche Projekte herangehen.” erzählt er über das Planungsteam, dass sich aus Architekten, Bauingeneuren, Informatikern und Grafikern zusammensetzt.
Besonders an dem Projekt findet er, dass es unabhängig von der Uni und aus der Eigeninitative eines einzigen Studenten entstanden ist. Als Allen ins Planungsteam einstieg war die Gruppe noch überschaubar. “Die Idee alleine hat aber schnell sehr viele Leute begeistert. Vor allem aber die Herausforderung, in der kurzen Zeit etwas „Reales“ zu produzieren. Wir wollten von Anfang an ein politisches Statement setzen und aktiv werden. Mittels Mundpropaganda sind im Laufe der Zeit sind so ca. 60 Leute zusammengekommen.” schätzt Allen. Als das Projekt mediales Interesse bekam wurden auch Dozenten aufmerksam und belohnten die Mitarbeit mit ECTS-Punkten. Dazu gehörte auch die Überwachung der Klötze.
Baumaterial
Die Betonklötze wurden zur Gänze durch Sachspenden finanziert. Die Studenten haben sich dafür direkt an Unternehmen z.B. Baumärkte gewandt um das benötigte Baumaterial wie Holz oder Beton zu erhalten. Und davon wurden in kurzer Zeit eine Menge gebraucht. 70 Tonnen Beton wurden in nur einem einzigen Tag aufgestellt. “Das erste Mal Betonieren” war für den Initiator Lukas einer der schönsten Momente. “Wir haben den Ablauf bereits Wochen zuvor vorbereitet, welche Werkzeuge wir brauchen, wie schnell wir sein müssen. Und als der erste LKW mit der 7,5 m3 Beton-Ladung kam und wir alles binnen 2 Stunden verarbeitet haben, fiel mir ein „Stein vom Herzen”.” Die Energie der beteiligten Mithelfer war enorm hoch und es wurde durchgehend gearbeitet.
Wenn nun in dem Ergebnis geht, dass hier in Form eines Städtemodells begriffen, angefasst und begangen werden kann, wird es vorstellbar welche Ausmaße das Hypo- Verbrechen genommen hat. ”Ein Verständis für die Summe zu schaffen” war zentrales Ziel des Planungsteams.
Die Kulisse des Karlsplatz wurde auch aus praktischen Gründe gewählt. Sie wird stark frequentiert und befindet sich in unmittelbarer Nähe der TU Wien. Allen Swartzl antwortet auf meine Frage “Ob Hypotopia etwas bewirken konnte?”: ”In den Köpfen der Leute in jedem Fall, aber ob das oben bei den Politikern angekommen ist?“ Er zeigt symbolisch mit den Fingern gen Himmel.
Eine "bessere" Stadt
Die Bürger aufzuklären ist aber nicht die einzige Botschaft, die Hypotopia vermitteln will erklärt mir Allen. “Sie soll auch zeigen, wie eine Stadt der Zukunft funktionieren könnte.” Mit Biogas, Windparks, Wasserkraftwerken und Solaranlagen kann Hypotopia ihre Energie autark generieren. Auch bei der Infrastruktur wurde nachhaltig geplant. Radnetze, Wassertaxis und öffentlichen Verkehrsmittel führen durch die autolose Stadt, bei der jeder Bürger in einem Radius von 300 Metern alles vorfindet, was er zum Leben braucht. Die Bürger werden mittels Bauernhöfen, Stadtgärten oder vertikalen Farmen versorgt.
Hypotopia als Plattform
Lukas Zeilbauer hat mit Hypotopia eine Plattform geschaffen: „Es geht darum, zu einem kritischen Diskurs zu kommen und grundlegende Dinge zu hinterfragen.” Um das zu erreichen, sind im Oktober regelmäßig Veranstaltungen geplant: Vorträge zu Finanzsystem und Bankenrettung, Workshops zum urbanen Leben in Hypotopia oder Musik- und Tanzperformances — angekündigt sind etwa der Politiker Werner Kogler (Grüne), das Kabarett 2Gewinnt und Crowdfunding-Rebell Heinrich Staudinger.
Quo vadis?
Auf die Frage welche Zukunft den Bauklötzen bevorstand, wusste Allen keine Antwort. Um ein langfristiges Zeichen zu setzen überlegte das Team sie günstig zu verkaufen. Mittlerweile steht fest wie die Betonklötze zu ihrer letzten “tragenden” Rolle kommen sollen. Bei der Abschlussveranstaltung am 30.10. werden sie von einem Protestzug in Karren, Kisten und auf Lastrodeln zum Parlament getragen. Mit der Schwere der Klötze wird die Last der Bevölkerung deutlich und hoffentlich ein eindringliches Zeichen gesetzt.