Claudia Hamburger

Journalistin, Redakteurin, Berlin

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Schönheit ist relativ

Models müssen nicht immer perfekt aussehen - der beste Beweis dafür ist der Brite Del Keens. In Berlin vermittelt er nun mit seiner eigenen Agentur nicht alltäglich aussehende Gesichter.


Del Keens ist kein Mann, nach dem sich die Frauen umdrehen. Der 43-Jährige ist nicht allzu groß, hat abstehende Ohren und einen treu-doofen Hundeblick. Tränensäcke zieren sein blasses Gesicht und ihm fehlen mehrere Zähne. Damit entspricht er keinem gängigen Schönheitsideal und arbeitet dennoch als Model. Seit über 20 Jahren steht der gebürtige Brite immer wieder vor der Kamera, er machte bereits Werbung für Marken wie Calvin Klein, Levis, Sixt oder Renault.

Mit seinem für ein Model ungewöhnlichen Aussehen liegt er im Trend. Denn immer wieder tauchen in Kampagnen und auf den internationalen Laufstegen Models auf, die anders sind. Deren Körper mit Tätowierungen übersät sind, denen ein Bein fehlt, die eine Figur haben, die jenseits üblicher Modelmaße liegt, oder Transgender sind. Keens hat das Potenzial solcher außergewöhnlichen Models erkannt und eine Model Agentur in Berlin eröffnet.

Models ohne gängige Klischees

"Ich besetze damit eine Nische im Markt, sagt er. In meiner Kartei gibt es Menschen, die nicht den gängigen Model-Klischees entsprechen. Sondern solche, die einerseits normaler aussehen, andererseits ausgefallener." Misfit Models heißt seine Agentur. Gegründet hat Keens sie, weil er selbst keine Arbeit fand. Als er 2006 der Liebe wegen von London nach Berlin zog, gab es dort keine Modelagentur, die mit seinem Look so richtig etwas anfangen konnte. Innerhalb von fünf Jahren vermittelte man ihm gerade einmal zwei Shootings, obwohl er zuvor in Großbritannien erfolgreich als Model gearbeitet hatte. "Man wusste hier nicht, wie man mich verkaufen sollte", sagt Keens. 2013 nahm er deshalb das Ganze selbst in die Hand. Nach der Gründung von Misfit Models ergatterte er bereits innerhalb der ersten drei Monaten drei Aufträge. "Anfangs hat man zu mir gesagt, ich könne keine hässlichen Models verkaufen. Aber schaut, genau das tue ich", sagt der Brite nicht ohne Stolz.

Groß, klein, dick, dünn

Dass Keens von hässlichen Models spricht, ist keinesfalls böse gemeint oder weil er sie wirklich hässlich finden würde - im Gegenteil. Er nutzt diese Wörter in Anlehnung an die Modelagentur Ugly Models in London, die ihn einst entdeckte. Wenn Keens seine Models beschreibt, spricht er von individuell. Sie sind alle anders. Sie sind groß und klein, dick und dünn. Sie haben verschiedene Hautfarben. Sie haben ein Handicap oder eben auch keines. Vor allem aber seien sie Charakterköpfe, die sich nicht verbiegen lassen würden. Freaks seien sie auf keinen Fall. "Es wäre nicht nett, sie so zu nennen", so Keens. "Sie sind, wie sie sind. Und sie versuchen nicht, jemand anders zu sein."

Genau darin liegt für Keens wahre Schönheit. Schönheit hat nichts zu tun mit perfekt manikürten Fingernägeln oder Designerkleidung. Schön sind Menschen, die echt sind. Die sich nicht darum scheren, was andere Leute über sie denken. "Oder kurz und bescheiden zusammengefasst: Schönheit bin ich."

Dabei war der 43-jährige Wahl-Berliner selbst etwas überrascht, als er vor rund 20 Jahren in London auf der Straße von einem Modelagenten angesprochen wurde. "Ich dachte erst, der wäre auf Drogen", sagt er heute. Ähnlich überrumpelt fühlen sich oft die potenziellen Models, die Keens anspricht: "Manche von ihnen denken, ich sei verrückt. Oder, dass ich auf ein Date aus bin." Deshalb würde er heute eher warten, dass sich die Menschen von selbst bei ihm melden. "Ich laufe ihnen nicht hinterher. Sie müssen mir ein wenig hinterherlaufen."

Buchungen für Kampagnen und Videos

Und das tun sie. Mittlerweile hat Keens rund 460 Misfit Models in seiner Kartei. Die Jüngste ist 19 Jahre alt, der Älteste Ende 70. Gebucht werden sie vor allem für Werbekampagnen oder für Musikvideos. Aktuell sind zum Beispiel drei seiner Models in dem Video zu Wayne von Culcha Candela zu sehen. Am häufigsten werden Rick und Dirk gebucht. Rick sei der Typ Großvater, aber ein bisschen hippymäßig mit einem langen weißen Bart, der zu Zöpfen geflochten ist. "Jeder liebt ihn", sagt Keens, denn er sei so freundlich und offen. Dirk sei eher der Typ Rocker. Er ist 2,05 Meter groß, hat Bart und Bierbauch. Er ist im Fernsehen immer der Typ, der andere zusammenschlägt. Er stellt oft den aggressiven Rocker dar. Dabei würde er nie einer Fliege etwas zuleide tun.

Es funktioniert eben vieles über Vorurteile. Manchmal sei das für Keens auch erschreckend. So fragte einmal eine Firma, ob er einen Mann in seiner Kartei habe, der wie ein typischer Vater aussieht. Ich habe ihnen dann eine Auswahl zukommen lassen und darunter waren auch Dunkelhäutige. Der Auftraggeber aber wollte lieber jemanden, der mitteleuropäisch aussieht. "Aber es gibt doch genug Dunkelhäutige, die wie typische Väter aussehen!", empört sich Keens.

Außerdem gibt es in Deutschland eine große türkische Gemeinschaft. Trotzdem sind sie sehr unterrepräsentiert in der Werbung. "Warum eigentlich? Sie sind doch die nächste Generation der Konsumenten." Aber so würde die Industrie eben arbeiten. Und obwohl man immer mal wieder Plus-Size-Models auf Laufstegen sieht, glaubt Keens für die Modeindustrie nicht, dass sich dauerhaft etwas ändern wird. Plus Size sei einfach nur eine nette Zugabe.

Vor ein paar Wochen war in Berlin die Fashion Week. Bei Misfit Models wurde dafür kein einziges Model gebucht. "Beauty still sells", merkt Keens an, Schönheit wirke eben verkaufsfördernd. Aber zumindest in der Werbeindustrie wolle man manchmal, dass sich die Menschen auf der Straße mit den Werbefiguren identifizieren können. Dann benötigen die Marken zum Beispiel einen dicken Mann, der eine Bohrmaschine in der Hand halten kann, dem man einfach abkauft, dass er Stammkunde im Baumarkt ist. Bei Misfit Models können sie ihn finden.

© Mannheimer Morgen, Samstag, 15.08.2015

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