Clara Ott

Journalistin & Buchautorin, Berlin

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Artikel

Nachruf: Unser Herzblatt

Rudi Carrell ist nach schwerer Krankheit gestorben. In unseren Herzen lebt der liebenswürdige Holländer aber weiter

Seine Augen glänzten vor Rührung. Die bösartige Krankheit zeichnete sich deutlich an seiner mageren Gestalt ab, die Sonnenbräune aus dem Januarurlaub aber war Zeichen des Trotzes. Auf keinen Fall wollte er Spekulationen darüber Recht geben, dass er vermutlich nicht mehr lange zu leben habe.

Als Rudi Carrell am 2. Februar in Berlin auf der Bühne stand, zur Verleihung der Goldenen Kamera, eroberte er mit seinem ergreifenden Auftritt auch noch jene Herzen des deutschen Fernsehpublikums, die ihm nicht ohnehin schon gehörten. Seine Stimme war heiser und brüchig, aber Carrell scherzte, lachte und fragte während seiner zehnminütigen Dankesrede sogar nach einem Stuhl. Wie mit einem Bühnenarbeiter abgesprochen, flog dieser quer über die Bühne und blieb hinter Rudi liegen. Selbstverständlich dachte Rudi Carrell nicht wirklich daran, sich hinzusetzen oder irgendeine Form der Schwäche zu zeigen. Eine Schwäche verwandelte er lieber in eine Stärke. Stolz hielt er seine Goldene Kamera für sein Lebenswerk in die Höhe und sog jedes einzelne Beifallklatschen dieses Moments auf. Er wusste vielleicht, dass es sein allerletzter Auftritt sein würde.

Ein halbes Jahrhundert lang hat Carrell Sendungen erfunden, Lieder geschmettert und Sympathiepunkte gesammelt. Das holländische Fernsehgenie verschönerte die öde deutsche Fernsehlandschaft und setzte Höhepunkte, die sich in jedes Zuschauergedächtnis einprägten - auch, wenn man seine Sendungen womöglich nie gesehen hatte: Am laufenden Band , Lass Dich überraschen , Die verflixte Sieben oder seine Tagesshow , alles war neu, kreativ und wurde später oft kopiert. Vor allem mit der Kuppelsendung Herzblatt , deren zigter Nachfolger heute nur noch aus gelernten Sprüchen besteht, schuf er einen weiteren Quotenrenner. Kaum jemand, der seinen charmanten holländischen Dialekt nicht mochte. Gepaart mit seinem schlagfertigen Humor war er einmalig. Auch die letzte seiner Sendungen, Sieben Tage, Sieben Köpfe , in der Rudi Carrell oft neben blassen RTL-Komikern auftrat, gewann erst durch Rudi an Witz und Charakter - waren die Gags auch nicht jedes Mal intelligent, die Lacher waren ihm sicher.

Bei seinem letzten gefeierten Auftritt, begleitet von anhaltenden Standing Ovations in Berlin, da verzichtete Rudi Carrell auf jegliche Ernsthaftigkeit, die andere in seiner Situation vielleicht ergriffen hätten. Er verabschiedete sich lieber von der geliebten Öffentlichkeit, indem er noch ein letztes Mal mit ihr lachte: „Die Tatsache, dass ich hier heute Abend sein kann, verdanke ich vor allem meiner Krankenkasse, dem Klinikum Bremen-Ost und der deutschen Pharmaindustrie." Drei Schachteln Zigaretten am Tag forderten jetzt ihren Tribut.

Hoffentlich wird seine Prophezeihung wahr und er wird als „Wiederholung" weiterleben. Denn wäre es nicht wunderbar, wenn seine alte Fernsehshows wirklich regelmäßig an Samstagabenden wiederholt werden würden? Sie wären vielleicht unglaublich albern, die Samtanzüge von Rudi wären schrill und hässlich, aber mit Sicherheit böten uns diese alten Unterhaltungssendungen Abende voller Lachkrämpfe und purer Freude. Was gibt es schon Vergleichbares im aktuellen TV-Programm?

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