Clara Ott

Journalistin & Buchautorin, Berlin

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Heilung von der Profilneurose

Der Grund, wieso mich Facebook nach fünfeinhalb Jahren Hassliebe nicht unglücklich gemacht hat, ist schnell erklärt. Je mehr Neuerungen über die Jahre dazukamen, desto mehr nutzte ich Facebook für das Polieren und Streicheln meines Egos. Ich wollte gefallen, habe mich verbogen, war nicht authentisch. Ich gebe zu, dass ich meistens nur darauf fixiert war, wie meine Fotos, meine Meinung und mein Lebenswandel ankamen. Ich bemühte mich um kluge Statusmeldungen, bearbeitete meine Profilbilder oder likte offiziell Musik, Magazine oder Cafés, die angesagt waren, aber nicht zu meinem Alltag gehörten. (Lesen Sie auch: "Erfolgreich online daten")

Neben meiner Imagebildung beobachtete ich mein soziales Umfeld genau. War neidisch auf Urlaube und Events, verfolgte Diskussionen und Check-ins. Über die Jahre und dank Smartphones wurde es immer normaler, zu sehen, wer gerade online war. Nicht die Möglichkeiten der Onlinekontrolle terrorisierten uns, sondern sie führten zu einem stressigen Umgang. Wer immer alles mitbekommt, will eben auch immer alles wissen. Ich wurde nervös, meine Freunde waren unruhig und Facebook trieb mich immer mehr in den Wahnsinn. Im Café lagen wie selbstverständlich die Telefone auf dem Tisch und Chat-Programme wie Whatsapp verlangten sekundenschnelle Antworten. Das gefiel mir immer weniger. Im Grunde ist keiner meiner Freunde jemals mehr offline. Wir verlernten das bewusste Offlineleben. Ich entschied, mich bei Whatsapp, aber vor allem bei Facebook zu löschen. Denn ein eingeschränkter Umgang war nicht möglich, auch, wenn ich mich bemühte, mal drei Stunden nicht bei Facebook zu gucken, was gerade passierte.

Wenn das Ego online ist

Neben dem unruhigen Stressfaktor merkte ich bei mir aber vor allem eins: Von Beginn an liess ich zu, dass sich mein Ego bei Facebook austoben konnte. Der unsichere Teil meiner Persönlichkeit fand online Bestätigung, weckte Neid, erntete Bewunderung und Aufmerksamkeit. Facebook ist die ideale Spielwiese für Menschen, die offline mit Selbstzweifeln hadern. Allerdings bekam ich immer mehr mit, wie mein Ego meine Freunde nervte: durch ständiges Posten viel zu intimer Dinge, durch geschönte Profilbilder oder besserwisserische Statusmeldungen. (Lesen Sie auch: "Verhängnisvolles Flirten").

Ich ahnte immer mehr, dass mein Offline-Ich und mein Online-Ego sich voneinander entfernten. Wie vor zwei Jahren, als mein Ego der Ehrgeiz packte und es sich in den Kopf gesetzt hatte, anhand von Facebook rauszufinden, wie viele Menschen ich kannte. Nach 1253 war die Grenze erreicht und mein Ich vollends von der hereinbrechenden Kommunikation überfordert. Es dauerte Tage, meine Facebook-Freunde wieder auf eine Zahl um die hundert zu reduzieren. Doch das war eine unglaubliche Erleichterung für mich, denn mein Ego zuckte bei jeder Löschung ein wenig zusammen.

Wer steckt hinter unserem Facebook-Profil?

Ich merkte, wie ich nicht nur unruhiger wurde, sondern der Unterschied zwischen meinem Ich und meinem Facebook-Ego immer gravierender spür- und sichtbar wurde. Für mich, aber vor allem für meine engen, realen Freunde. "Tolles Profilfoto übrigens, aber hab dich gar nicht erkannt", war eine typische Reaktion. "Clara, versteh mich nicht falsch. Ich mag dich, aber bei Facebook nervst du tierisch. Mittlerweile mache ich mir fast Sorgen, wenn du mal einen Tag nicht dein Profilfoto änderst und dieses Denken macht mich verrückt. Bitte, hör damit auf." Dieses Geständnis brachte mich letztendlich noch mehr dazu, über ein Löschen nachzudenken. Ich wollte nicht mehr nerven, vortäuschen oder beeindrucken. Und vor allem wollte ich meinem Ego keine Bühne mehr bieten. Ich versuchte "Facebook-Urlaub", wo ich per Statusmeldung ankündigte, dass ich nun offline und nur per Mail erreichbar sei. Meistens interessierte das kaum, niemand nahm es ernst. Schliesslich war klar, dass ich in ein paar Tagen zurückkehren würde. Bis dahin posteten andere genug.

Internationale Beziehungen via Facebook

Dabei sind mir durchaus die Vorteile bewusst, die Facebook bietet, wenn man sein Ego im Griff hat. "Ich habe mich gerade bei Facebook gelöscht", verkündete ich in den vergangenen Wochen stolz. Ein Freund zeigte vollkommenes Unverständnis. "Häh, wieso?" Er kapierte es nicht, denn er brauche Facebook, schliesslich habe er Freunde und Bekannte auf der ganzen Welt verteilt. Andere Reaktionen bestätigen mir, dass meine Freunde mein Ego nicht vermissen. "Ach, du hast dich gelöscht? Ist mir nicht aufgefallen", gestand mir ein Freund. (Lesen Sie auch: "Facebook kann Ihre Ehe gefährden")

Erst war mein Ego gekränkt. Wie, es war ihm nicht aufgefallen? Aber ich warf ihm nichts vor. Schliesslich befinde ich mich ja auf dem Weg der Offline-Erkenntnis. Und während dieser Mann mir erklärte, dass er mich aus Genervtheit schon vor Monaten aus seinen "Engen Freunden" geworfen hatte, kapierte ich es wirklich. Unser Facebook-Ich ist eben nicht identisch mit unserem Hier-und-Jetzt-Ich. Wir befinden uns im Moment und müssen uns auf unsere Schlagfertigkeit, Klugheit, unsere Aura und reale Empathie besinnen. Ihn virtuell anzustupsen, parallel mit einem "gefällt mir" unter seinem Foto Eindruck zu schinden oder schnell mein eigenes Profilfoto zu ändern, all das funktioniert in einer Bar eben nicht. "Mir ist egal, was du bei Facebook machst. Ich freu mich, dich zu sehen. Und jetzt erzähl mal, wies dir ohne Facebook so geht." Mein Ego verspürt seit zwei Monaten kein Verlangen mehr, sich online auszutoben, schliesslich kann man sich den Facebook-Leitspruch prima auch offline einverleiben: "Verbinde dich mit den Menschen in deinem Leben und lass sie teilhaben." (Lesen Sie auch: "Wenn das Handy ausgepiepst hat")

Clara Ott, 33 Jahre, lebt als freie Journalistin und Romanautorin in Berlin. Sie schreibt neben Clack.ch für verschiedene Frauenmagazine und veröffentlichte 2012 ihren Debütroman "Aufrüschbar", in dem die Protagonistin Lotte erklärte Facebook-Gegnerin ist.

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(Erstellt: 31.01.2013, 21:10 Uhr)

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