Clara Ott

Journalistin & Buchautorin, Berlin

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Attraktive Arschlöcher | Ihr Online-Magazin - clack.ch

Sind Arschlöcher männlicher?

Vor sechs Jahren lernte ich den ersten dieser Typen kennen, die ich rückblickend in die ziemlich eindeutige Kategorie "attraktive Arschlöcher" einordnen kann. Damit meine ich einen Charaktertyp, einer dieser faszinierenden, selbstverliebten Charmeure mit Sixpack, der Langfristigkeit seiner gutlaufende Karriere für wichtiger als die Laufzeit einer Liebesbeziehung erachtet. Ein smarter Macho, der eher wenig Spaß an Gesprächen über Gefühle hat, dagegen leidenschaftlich über sein Sportprogramm doziert. Also einer dieser Herren, die in jeder Bar von Frauenaugen ausgezogen und von Ex-Freundinnen über Jahre angeschmachtet werden und die ganz genau wissen, dass sie nur mit der buschigen Augenbraue zucken müssen und schon mehr Telefonnummern kriegen, als ihrer Libido lieb ist.

Nennen wir meinen Ersten der Einfachheit halber Chris. Natürlich machte Chris mir von Beginn an sehr ehrlich und direkt klar, dass er weder plane, sich in mich zu verlieben, noch mich zu heiraten, seinen Freunden oder Eltern vorzustellen oder je Alltag, Wohnung oder Zukunft mit mir zu teilen. Natürlich verliebte ich mich trotzdem sofort in den Gedanken, Chris grundlegend ändern zu können. Er weckte meinen Ehrgeiz, die erste Frau seit langem in seinem Leben zu sein, die ihm wieder vor Augen führt, wie herrlich Liebe sein kann. Schließlich war Chris seit zehn Jahren Single, mit 34 Jahren im besten Alter und ich, damals 28, wollte ihm beweisen, dass man Sex und Liebe einzeln genießen kann, aber eigentlich niemals wirklich trennen. Ich setzte folglich alles daran, dass Chris mehr Gefallen an mir fand, als nur an meinen Körper. Und selbstverständlich war der Sex mit ihm unglaublich, seine Grübchen waren umwerfend und ich hatte über zwei Jahre dank dieses "attraktiven Arschlochs" ein sehr ausgeglichenes Sexleben. Was war ich verliebt! Und was war ich unglücklich.

Es gibt Arschlöcher und die Netten

Wieso ich Chris als "Arschloch" bezeichne? Wieso, wenn ich seinen Charakter doch von Beginn an für seine Ehrlichkeit und Authentizität schätzte? Wieso ich dennoch jeder Frau abraten müsste, mit Männern wie Chris Nummern, Küsse oder Hoffnungen auszutauschen? Vielleicht, weil meine Antwort lautet, dass äußerlich höchst anziehende Männer lebensgefährlich sein können. Sie wissen exakt, dass sie mit ihren optischen Überlegenheiten alle "netten" Geschlechtsgenossen und alle physiognomisch unterlegenen Herren locker ausstechen. Sie wissen, dass sie einen Kern haben, der uns Frauen fasziniert. Sie strahlen diese Aura der Unergründlichkeit aus und geben sich nonchalant als Männertyp, der ständig auf der Jagd ist, rastlos und gierig und getrieben von sich selbst. Wir Frauen, unbewusst von unserem Urzeitdenken gesteuert, spüren diese charmanten Egoisten in der Masse der aufopferungswilligen Kerle unmittelbar auf. Letztere interessieren uns nicht, weil wir es sind, die sich gern aufopfern. Wer möchte einen Mann, der überfürsorglich, mitfühlend, verständnisvoll und vor allem leicht zu erobern ist? Ich weiß, wir sind manchmal so dumm. Vor Liebe.

Denn auch wir Frauen tragen einen niederen Jagdinstinkt in uns. Doch im Gegensatz zu dem der Männer wie Chris bezieht er sich nicht auf das triebgesteuerte Streuen unserer Gene durch das Flachlegen möglichst vieler Sexpartner. Wir wollen Männer innerlich bekehren und zu liebenswürdigeren Geschöpfen machen. Wir suchen uns attraktive Arschlöcher, die einen guten Genpool bezüglich Statur, Bartwuchs und Männlichkeit besitzen, aber bei denen charakterlich noch Optimierungsbedarf herrscht. Da greift der weibliche Jagdinstinkt. Wir brauchen nur einen Strohhalm des Lichtblicks bei ihm sehen und schon wittern wir Besserung für seine geschundene Seele. Er opfert sich mit Übestunden für seine Firma auf? Er geht fünfmal die Woche ins Fitnessstudio, um sich stark zu fühlen? Er glaubt, keine Zeit für eine Liebesbeziehung zu haben? Seine Ex hat ihn für seinen besten Freund verlassen? Und so weiter. Alles, was diesen Mann an kleinen und großen Krisen umgibt, schreckt uns nicht ab, sondern weckt erst recht unser Helfersyndrom. Wir tun alles, um diesem Mann einen Teil unseres Optimismus, unserer Lebensfreude und unserer Zeit zu schenken. Wir investieren viel, um Verständnis für ihn aufzubringen und lassen alles stehen und liegen, wenn er uns sehen will.

Wirklich, das ist kein Affront gegen diese Art von Männern. Ich habe nach Chris, von dem ich mich nach zwei Jahren löste, mindestens zehn weitere solcher Typen geküsst. Mit manchen hatte ich nur One-Night-Stands, um mich selbst zu schützen. Mit anderen hatte ich sporadisch Sex, über Monate verteilt, in denen ich jedoch via Sms Anteil an ihrem überzeugten Single-Leben nahm. Immer wissend, nicht die einzige Frau an ihrer Seite zu sein, die ihnen beweisen will, wie schön das Leben zu zweit doch wäre. Ich gerate auch jetzt immer wieder an solche unerreichbaren Männer, die ihre Schönheit, ihren Sexappeal und ihren Status benutzen, ohne Frauen offensichtlich ausnutzen zu wollen. Ganz ehrlich, ich unterstelle den meisten nicht mal böswillige Absichten mit dem, was sie tun. Es ist einfach so, dass sie leichtes Spiel mit uns Frauen haben, die natürlich auch einem gewissen Typus angehören.

Wer will eigentlich was?

Wir sind mehr oder minder charakterfest, meistens selbstbewusst und viele haben selber eine Handvoll Verehrer an der Angel. Aber alle diese netten Männer reizen uns eben nicht. Wir suchen Herausforderungen und Aufgaben, als hätten wir nicht schon genug zu tun mit unserem eigenen Leben. Wir verhalten uns keineswegs vorbildlich oder nachahmenswert, aber es liegt in unserer Natur. Viele Frauen wie ich verwechseln Liebe manchmal mit Daseinsfürsorge. Wir wollen da sein für einen Mann, wir wollen gebraucht werden, wir wollen Sex, aber wir wollen vor allem Nähe. Und dafür machen wir Abstriche bei Verlässlichkeit, Treue, Kompromissbereitschaft - oder bei seinen Gefühlen. Liebe, das ahnen wir, wird schwer mit so einem Chris. Aber wer wie ich eine gewisse Bindungsscheu oder Verlustangst in sich trägt, dem ist so ein Chris sehr recht. Weil Chris alles wir, nur keine Bundung oder etwas verlieren, weil er nichts besitzen will, außer seiner Freiheit.

Und was wollen wir, aufopferungswillig hängend in einer emotionalen Schieflage? Wir ziehen irgendwann die Notbremse. Sofern uns ein Chris nicht genervt zuvorkommt. Das kann nach Wochen, Monaten oder manchmal erst nach Jahren passieren. Bei Chris und mir dauerte es zwei Jahre, bis mein anfänglicher und sehr naiver Optimismus, ihn umbiegen und verliebt in mich zu machen, in nichts als Frust umschlug. Ich erkannte, dass er sich nicht ändern wollte und vor allem nicht für mich. Weil er wie seine Artgenossen Spaß auf seiner Jagd hatte, obwohl er nicht explizit auf der Jagd nach weiblicher Beute war. Die erlegte er einfach nur nebenbei, wie ein hungriger Löwe, der durch die Steppe läuft und hier und da Appetit verspürt. Hier eine grazile Gazelle, da ein niedliches Kaninchen. Ich war sehr leichte Beute für einen Mann wie ihn. Doch in Wahrheit war er immer auf der Suche nach einem gleichstarken Löwenweibchen. Kerle wie Chris wollen eine Frau, die ihm ebenbürtig erscheint und die in auf Augenhöhe in seine Schranken weisen kann. Die wie er eiskalt ihre Emotionen kontrollieren kann. Die wie er eine Aura besitzt, die beim Betreten einer Bildfläche Staunen und offene Münder verursacht. Die anbetungswürdig ist und unerreichbar und damit eine "attraktive Arschloch-Dame".

Jeder für sich

Mit solchen Frauen nämlich gehen solche Männer irgendwann ernsthafte Liebesbeziehungen ein. Manche zerfleischen sich in ihrer Liebe, weil sich niemand von beiden an den anderen anpassen will. Keiner dieser "attraktiven Arschlöcher" sieht ein, sich auch nur ansatzweise ändern zu müssen oder Kompromisse einzugehen. Beide fühlen sich weiterhin überlegen und kämpfen darum, ihr bisheriges Dasein weiterzuführen, trotz vermeintlich einengender Beziehung. Das ist ihr Verständnis von "Daseinsfürsorge": Jeder für sich, eine Win-Win-Situation mit zwei Siegern. Oder zwei Verlierern, je nachdem.

Das Fazit meiner Anlyse? Es gibt keine Erkenntnis. Ich werde weiterhin fasziniert von diesen vielschichten Männern sein, weil sie mich emotional herausfordern, mir meinen Schlaf und meine Nerven rauben und ich werde leider weiter von zu netten Gazellenmännern gelangweilt sein. So lange, wie ich es aushalte, der Liebe hinterherzujagen. Denn davor, das erkenne ich bei jedem dieser Löwen wie Chris einer war, habe ich wirklich noch größeren Respekt. Als vor attraktiven Arschlöchern.

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