Clara Ott

Journalistin & Buchautorin, Berlin

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Artikel

Winterschlaf für Singles | Ihr Online-Magazin - clack.ch

Es ist nicht alles so kalt und grau, wie man manchmal denkt.

Kaum schwindet der Sommer mit seinen allerletzten Spätsommerzügen, da beschleicht uns Singles diese leichte Panik. Dass der kalte, triste Winter unsere eh schon abgeklärten Herzen schockfrieren lässt und wir wieder frustriert und mit Schwipps bei unseren Eltern unter'm Weihnachtsbaum liegen, weil die Gefühle dieses Jahr schon wieder nicht für eine ernsthafte Beziehung gereicht haben. Es ist nichts neues, dass man vom flirtwilligen Frühling über den unbeschwerten Sommer hinüber prima durch das Leben hüpfen kann, ohne Mädchen und Jungen an seiner Seite. Aber kaum naht die Herbstspaziergangssaison, packt uns die Panik. Oder Sie etwa nicht?

Innerhalb der vergangenen vier Wochen haben sich drei Männer bei mir gemeldet, mit denen es schon lange vor dem Sommer vorbei war. Doch wie die Grille in dieser uralten Fabel, die den ganzen Sommer über lustig gesunden hat, und im Winter hungrig zur fleißigen Ameise kommt, um zu schnorren, so nähern sich nun wieder Singles untereinander an. Wir strecken unsere Grillenfühler aus, gucken nach rechts und links und eben auch nach hinten, um alle Möglichkeiten auszukosten, dass es diesen Winter viel besser wird, als in allen Eiszeiten bisher. Natürlich habe ich brav geantwortet, aber eigentlich will ich weder Grille noch Ameise sein. Sondern glücklich!

Winter adé, scheiden tut weh

Kurze Vision: Wie schön wäre mal ein Winter ohne Wärmflasche, weil er jeden Abend im Bett liegt uns die Füße (und das Herz) wärmt? Wir erfreulich wäre die Aussicht darauf, nicht alle mit Tee auf dem Sofa zu liegen, und sich depressiv eine Packung Marzipankartoffeln reinzuschieben, sondern ihn damit zu füttern? Wie herrlich wäre es, wenn es diesen Advent keinen Chaoscountdown zu den schlimmsten Tagen des Jahres gäbe, sondern ein Highlight nach dem nächsten, bei denen unsere Augen mehr leuchten, als alle funkelnden Weihnachtslichterketten zusammen? Wie umwerfend der Gedanke, endlich befähigt zu sein, diesen furchtbaren, jedes Jahr im Supermarkt ermahnenden Pärchenkalender in Herzform für 30 Euro kaufen zu dürfen? Wie, das finden Sie alles schlimm?

Megakitsch vs. Melancholie

Stimmt ja, aber man kann nicht rechtzeitig damit anfangen, sich die alljährliche Frustration frühstmöglich einzudämmen. Und dagegen ist mir gerade eine weitere Vision gekommen. Im September sollten sich alle Singles in ihrem Bekanntenkreis umschauen und „Überwinterungsgemeinschaften" gründen! Alle Singles sollten gemeinsam „Winterschlaf" machen und sich gegenseitig in der härtesten aller Singles-Saisons beistehen! Und dazu bräuchte es nicht viel! Hier mal spontan aus dem Ärmel geschüttelt ein Live-Brainstorming für Sie:

Pyjama-Parties! Wir könnten ja lediglich alle in braver Löffelchenstellung schlafen, weil bei Minus 15 Grad nichts gemütlicher ist, als menschliche Wärme. Wieso schmeißen wir also nicht mal eine Pyjama-Party und übernachten - wie damals als Teenager! - beieinander? Alternativ könnte ein Duzend Singles ein Dinner veranstalten und am Ende des Abends müssen je zwei miteinander heimgehen. Viel Potential für Spiel, Spaß und Schlaf, oder? Ist nix? Okay, wie wäre es mit dem Abschaffen der

Sonntagsödnis! Vor und nach den Adventssonntagen warten ca. 20 schlimme, einsame Sonntage auf uns Singles. Sie alle mit Fitnessstudio, Schnulzenfilmen, Brunchen oder verkatert rumzubringen ist doch auch keine Lösung. Besser wäre es, einen ganzen Tag mit einer Person verbringen! Wie ein echtes Pärchen! So mit allem, vom gemeinsamen Zähneputzen, über Frühstück bis zum „Tatort". Zusammen essen, gemeinsam im Wald spazieren, schweigend Zeitung lesen, anregende Gespräche führen. Wie, das finden Sie jetzt albern? Okay, dann schlage ich folgendes vor:

Kurztrips planen! Aber selbstredend nicht alleine. Überlegen Sie mal, wenn wem Sie es ein ganzes Wochenende in Madrid, Helsinki oder Istanbul aushalten würden. Mit wem Sie gern mal London erkunden würden oder in Athen ins Museum gehen würden. Und dann buchen Sie für jeden einzelnen tristen Wintermonat (Oktober, November, Dezember, Januar, Februar) eine Reise und freuen sich. Das kann Ihre beste Freundin sein, ein lustiger Cousin oder Ihr kleiner Bruder. Hauptsache, Sie kommen mal raus. Jeden Monat! Wie, zu teuer? Okay, dann einfach eine günstige

Affäre suchen! Klar, ist die abgedroschene Übergangslösung, mit der wir seit Jahren die Winter überleben. Aber deshalb doch nicht minder effektiv! Handy checken, Ex-Lover anrufen. Mein Handy klingelt auch gerade schon wieder. Wie, bei Ihnen gibt es keinen potentiellen Winterschlafkandidaten? Mmh, okay, dann vielleicht einfach

Temporäre Mitbewohner suchen! In Zeiten horrender Mieten von Berlin bis Zürich könnten Sie schon mal darüber nachdenken, Ihre eigenen vier Wände für eine Weile unterzuvermieten und fröhliches Couchsurfing zu betreiben. Gerade in der dunklen Jahreszeit bringt es Ihnen unterhaltsame und abwechslungsreiche Abwechslung, wetten? Einen Monat hier, eine Woche da, ein Wochenende dort. Wie, darauf haben Sie keine Lust, weil Sie Ihr eigenes Bett brauchen? Na gut, dann eben ein

Rollentausch! Haben Sie nicht schon mal mit Kumpels in Bar so getan, als führten Sie ein anderes Leben? Haben Quatschideen und Was wäre, wenn?'s durchgespielt und sich vorgestellt, wie viel besser das Leben wäre, wenn Sie jemand anderes wären!? Den Winter über könnten Sie sich das ja mal im Rahmen der Möglichkeiten vornehmen. Talentierter zu sein und Singen zu können! (Melden Sie sich im Chor an.) Tänzerin zu sein und elegant und beghert (Probieren Sie mal, auf der Straße zu tanzen.) Wie toll es wäre, wenn Sie in Paris geboren wären! (Sprechen Sie einfach nur noch Französisch.) wäre. Albern, sagen Sie? Oui, bien sûr, Sie haben so recht!

Inne halten: Singles haben es gut!

Denn seien wir mal kurz wieder Ernst. Den Winter finden wir Singles ja erst schlimm, seit wir alleine in unseren Wohnungen hocken und uns einbilden, dass zu zweit alles schöner wäre. Dass der andere uns ständig nur wärmt und uns Kakao macht und die Wollsockenfüße massiert. Dass wir zusammen nicht bei Minus 15 Grad frieren, wenn sich der Weg zum Bäcker wie das Besteigen des Mount Everests anfühlt. Wenn wir im Geschenkestress sind und als Single ausklammern, dass wir sonst auch für seine Familie und für ihn ein Präsent besorgen müssten. Dass wir vergessen, in aller frösteligen Jammerei, dass es eigentlich, Hand auf's kalte Singleherz, doch eigentlich super ist, dass wir durch den Winter ohne Beziehungsstress kommen. Weil wir tolle Freunde haben, mit denen wir was unternehmen können, aber die uns auch mal einen Sonntag auf dem Sofa vegetieren lassen, ohne, dass wir uns für unseren Kater oder PMS rechtfertigen müssen. Weil Singles keine halben Menschen sind, sondern doppelt so liebenswürdig. Sie sind beschützenswerte Wesen, die unfreiwillig oder mit voller Absicht alleinstehend sind und in dieser Phase, die selten ein Leben lang dauert, halt gut für sich selbst sorgen müssen.

Also, kümmern Sie sich gut um sich. Kaufen Sie sich einen Cashmerepullover, Chai-Tea, eine Wärmflasche, haufenweise Bücher und Filme und dann Augen zu und ab durch den Winter. Er wird nicht ohne Grund die besinnliche Zeit genannt, wo man sich auf niemanden anderes als sich selbst besinnen sollte.

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