Ungelogen, aber nicht mal in der Grundschule oder als Teenager hat mir ein Junge ein halbernstes „Ich liebe dich" offenbart. Und wenngleich ich mit heute 34 Jahren logisch weiß, dass viel mehr wiegt, seine Emotionen durch liebevolle Taten statt durch hohle Phrasen zu beweisen, bedauere ich sehr, dass ich nur aus Filmen, Romanen und von meinen Freundinnen weiß, dass Menschen das wirklich tun. Sich seufzend in die Augen schauen, „Ich liebe dich" hauchen und zufrieden weitermachen. Weil „Ich liebe dich" mehr ist als nur eine bloße Feststellung, sondern ein unumstößlicher Liebesschwur, der sich wie ein Schutzmantel um die Verliebten legt und ihnen auf Jahre die Widrigkeiten des Lebens vom knutschbefleckten Hals hält. Stimmt doch, oder? Denn ich weiß es leider nicht, weil ich nur einmal diesen magischen Moment erlebt habe, der bis heute nachhaltig meinen Glauben an Liebe erschüttert hat.
Als ich vor neun Jahren „Ich liebe dich", flüsterte, lag ich auf der behaarten Brust meines bisher einzigen festen Freundes, im Halbdunkel seines Schlafzimmers. Plötzlich und ohne Anlass verspürte ich diesen unbändigen, fast quälenden Wunsch, es endlich laut auszusprechen. Nachdem ich es oft gedacht hatte, zum Beispiel beim gemeinsamen Zähne putzen beim Blick durch den Spiegel in seine Augen. Ich wusste es einfach. Dass, was ich fühlte, war Liebe. Ungeplant und ungefragt gestand ich es ihm deshalb, schließlich trafen wir uns schon ein Jahr und irgendwie gehört es ja zu Beziehungen dazu, dachte ich immer, dass einer irgendwann „Ich liebe dich" ausspricht und die Liebe damit besiegelt. Tja.
Denn nachdem ich es gesagt hatte, bereute ich es sofort. Trotz Halbdunkel sah ich genau, wie er meinem Blick auswich. Ich merkte, wie sein Herz nervös und unregelmäßig pochte, mir selbst wurde kalt und mein Hals schnürte sich zu. Vielleicht gibt es keine bitterere Reaktion auf ein „Ich liebe dich", als eisiges Schweigen. Es wurde still in seinem Schlafzimmer, ich drehte mich auf den Rücken und irgendwann begann er leise zu schluchzen. Er weinte aber nicht vor Rührung, sondern, weil aus Selbstmitleid und Scham, dass er meine Gefühle nicht erwidern konnte. Er bekam diese vermeintlich simplen Worte „Ich dich auch" einfach nicht über seine Lippen. Nicht mal ein geflunkertes, halbernstes „Dito".
Erst viel später habe ich verstanden, dass der „Ich liebe dich"-Moment furchtbar gemein und fies sein kann. Es ist ein wegweisender und prägender Beziehungstest, den eine Seite unverhofft zückt, wie eine Überraschungsmatheklausur in der Schule oder eine unangekündigte Steuerprüfung. Nur noch schlimmer. Die verliebte Seite ist sich in ihrer emotionalen Rechtmäßigkeit absolut sicher und empfindet es deswegen als wunderbar befreiend und quasi lebensnotwendig, diese 12 Buchstaben endlich laut aussprechen zu dürfen. Ich! Liebe! Dich! Weil das Herz platzt vor Glück und diese drei Worte wie ein innerer Befreiungsschlag wirken. Ist bestimmt auch so, wenn die andere Seite daraufhin freudestrahlend „Ich liebe dich mehr!" säuselt und beide minutenlang in atemloses Rumknutschen versinken. Doch wenn „Ich liebe dich" das andere Herz nicht zum Hüpfen, sondern zum Stillstehen bringt und sich in den Augen statt Zukunftsplanung nur die innere Flucht spiegelt, verletzt ein „Ich liebe dich" beinahe wie ein „Es ist aus." Auch, wenn es gar nicht wirklich aus sein muss. Weil natürlich weiterhin die Hoffnung bestehen darf, dass der eine sich eben schneller verliebt hat, als der andere.
Die Beziehung mit meinem Ex-Freund endete deshalb ebenfalls nicht an diesem Abend. Es tat zwar unheimlich weh, doch er und ich verloren nie wieder ein Wort darüber und machten einfach so weiter, ohne etwas mit Worten zu besiegeln. Die Unsicherheit blieb trotzdem in meinem Hinterkopf, auch, wenn er mich weiterhin sehen wollte. Ich redete mir ein, dass Taten eben doch mehr wogen, als Worte. Bis er mich zwei Jahre später eines Abend auf dem Handy anrief. Es war der 8. März, der Weltfrauentag, als er zu mir aus heiterem Himmel „Ich liebe dich - nicht mehr" sagte. Wie ich reagierte? Wütend, enttäuscht und fassungslos. Ich stand gerade auf einem U-Bahnsteig inmitten von Menschen und weiß genau, wie ich ihm sofort „Wie kannst du sagen, dass du mich nicht mehr liebst, wenn du noch niemals gesagt hast, dass du mich liebst?" an den Kopf knallte. Autsch. Der feine Schnitt meines zwei Jahre alten, einseitigen „Ich liebe dich"'s riss in dem Moment zu einer blutigen Wunde bis auf die Knochen auf. Bis heute glaube ich, dass er mich nie liebte, aber er erst nach drei Jahren den Mut fand, es mir zu sagen. Und sich dafür dieser vermeintlich simplen Wortaneinanderreihung von „Ich liebe dich" + „nicht mehr" bedient hat. Weil es eben ein emotionaler Befreiungsschlag sein kann.
Seitdem bin ich ziemlich fröhlicher Single, weil mir wahnsinnig locker über die Lippen kommt, wie sehr ich guten Wodka liebe und wie wenig Wert ich auf gemeinsames Frühstück lege. Was großartig funktioniert, weil ich mich jahrelang nur mit Männern einließ, die ebenfalls von Beginn an klarstellten, dass sie „derzeit Liebesfasten betreiben", „sich momentan in niemanden verlieben können" oder in mir „eine Frau zum Kinderkriegen" sehen, aber „frühestens in zwei Jahren!". Auch das sind Gefühlsbekundungen, nur eben negative.
Dass sich kein Mann in mich verliebte, liegt deswegen zu gleichen Teilen an mir. Ich weiß nämlich sehr wohl, dass ich eine Menge Chancen vergeigt habe, einem liebenswürdigen Mann in meinem Arm zu gestehen, dass ich mich in ihn verliebt habe. Weil ich eigentlich viel zu romantisch für lieblose One-Night-Stands bin und Sex und Liebe so super trennen kann, wie jeder andere Mensch auch nicht auf Dauer. Weil ich nämlich niemals mit komplett Fremden schlafe, sondern immer nur mit Männern, die ich tendenziell als „Männer zum Verlieben" betrachte. Nur eben nicht für mich, rede ich mir ein, während wir „Liebe machen", ich heimlich an Liebe denke und ihn morgens ungefrühstückt heimschicke.
Und ja, auch als Single war ich oft traurig und litt in den vergangenen Jahren oft unter Liebeskummer. Um jeglicher Gefühlsduselei zu entgehen bin ich nur leider echt gut darin, mir Männer emotional auf Distanz zu halten, obwohl mein Kopf gerade auf ihrer behaarten Brust ruht. Ich bin leider echt gut darin, liebenswerten Männern rechtzeitig das Wort abzuwürgen, in dem ich mich über ihre Zuneigung amüsiere oder einfach nicht mehr auf schwülstige SMS reagiere. Richtig fies bin ich. Und nein, stolz bin ich darauf überhaupt nicht.
„Liebe ist immer für zwei, niemals für einen", sagte vor zwei Jahren ein alter Italiener zu mir. Er sagte mir nach wenigen Stunden Plaudern in seinem Ristorante, dass in mir ein Schock säße und es schwer für einen Mann sei, das zu erkennen. Dieser 75-jährige Italiener verstand nicht, wieso ich junges Ding meinen alten Schmerz nicht vergessen kann, wo wir alle doch nur ein Leben haben. Seitdem versuche ich, meine Sehnsucht danach, geliebt zu werden, nicht länger zu unterdrücken. Trotzdem habe ich weiterhin Männer getroffen und mich nicht getraut, ihnen zu sagen, dass ich eigentlich mehr als nur eine unverbindliche Affäre suche.
Scheiße, ich möchte geliebt werden! Ich wünsche mir sehr, dass ein toller Mann vor mir steht und mir in die Augen schaut und „Ich liebe dich" sagt, ohne damit panische Fluchtgedanken auszulösen oder ein dämliches Kichern. Ich will ein sauehrliches „Ich liebe dich auch" seufzen, ihm meine Zunge tief in den Hals stecken und keinen Kloß in meinem spüren, sondern nichts als pures Glück und wahnsinnige Erleichterung. Ich liebe es nämlich, verliebt zu sein! Und nach der Diagnose des alten Italieners gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es einen Mann da draußen gibt, der mit drei heilsamen Worten den Juckreiz auf meiner alten Narbe lindert. Richtig, vielleicht muss er es auch gar nicht laut aussprechen. Aber ich will keine Angst mehr vor seiner Reaktion haben, falls es mir doch irgendwann rausrutscht.