Seit ihrem Bestseller "Ein ganz halbes Jahr", dem erfolgreichsten Roman des vergangenen Jahres, hat Jojo Moyes für die Bestsellerliste ein Abo. Ihr neuer Roman "Weit weg und ganz nah" (Rowohlt, 510 S., 14,99 Euro) steht seit Erscheinen auf Platz eins. Die 44-Jährige kennt es auch anders: Zehn Jahre lang war sie bloß eine Schriftstellerin von vielen, Stofflieferantin für den Massenmarkt. Clara Ott, die selber Liebesromane schreibt, hat mit ihr ein Gespräch unter Fachfrauen geführt.
Die Welt: Ihr neuer Roman ist ein Mix aus Roadtrip, Gesellschaftsstudie, Ratgeber für alleinerziehende Mütter und Liebesgeschichte. Was war denn Ihre Hauptintention beim Schreiben?
Jojo Moyes: So wie Sie es zusammenfassen, hatte ich wohl keine klare Vorstellung. Aber ich wollte immer schon einen Roadtrip schreiben und einen Haufen Menschen auf engem Raum zusammenpferchen. Das kennt jeder aus eigener Erfahrung, wenn er im Flugzeug sitzt. Am Ende weiß man einfach alles über seine Sitznachbarn.
Die Welt: Sie spielen gern mit dem "Ich liebe dich, aber ich kann dich eigentlich nicht leiden"-Muster.
Jojo Moyes: Es ist die Unterschiedlichkeit, die ich zeigen will. Mein Ehemann ist das genaue Gegenteil von mir. Er ist Ingenieur, schreibt über Technologiethemen, von denen ich nichts verstehe und die er mir immer sechsmal erklären muss. Wir sind seit fünfzehn Jahren verheiratet und begreifen die meiste Zeit nicht, was im anderen vorgeht. Das finde ich spannend. Je besser wir uns kennenlernen, desto mehr verstehen und schätzen wir unsere Gegensätzlichkeiten. Und unsere Kinder haben mich, die italienisch angehauchte, temperamentvolle Mutter und ihn, den ruhigen, logisch denkenden Vater. Wahrscheinlich mag ich gegensätzliche Charaktere deshalb so gern.
Die Welt: Ed, der Mann im neuen Roman, ist aber nicht gerade ein Traumtyp.
Jojo Moyes: Man hat mir geraten, ihn liebenswürdiger zu gestalten, aber ich habe gesagt, dass viele Menschen auf den ersten Blick nicht nett wirken, und versichert, dass Ed als Mensch wachsen würde.
Die Welt: Ihre Heldin Jess ist gleich sofort eine starke Frau.
Jojo Moyes: Aber sie erreicht einen Punkt, an dem sie zusammenbricht. Mich faszinieren Geschichten, in denen Menschen starke Entwicklungen durchmachen. Einer muss immer Überlebenswillen zeigen und der andere auf Crashkurs sein.
Die Welt: Vor allem alleinerziehenden Müttern dürfte Ihr neues Buch gefallen. Jess ist taff und hat bis auf ihre Finanzen alles im Griff.
Jojo Moyes: Ich kenne viele starke Frauen, die Schlimmes erlebt haben, aber für ihre Kinder weiterhin stark sein wollen. Es gibt viel Heldenhaftigkeit unter uns Frauen, die nicht anerkannt wird, weil wir nur Frauen sind. Ich wollte in diesem Buch eine Frau zeigen, die kein schwieriges Verhältnis zu ihren Kindern hat, wie man es oft zu sehen bekommt. Im ganzen Buch streitet sie kein einziges Mal mit ihnen. Sie liebt sie, obwohl ihr Leben nicht immer einfach ist. Überall sonst sieht man dauernd Eltern und Teenager streiten, Türen zuknallen und "Ich hasse dich!" rufen, aber das wollte ich nicht. Ich habe selber zwei Kinder im Teenageralter und hatte früher Angst davor, wie sie wohl in der Pubertät sein würden. Jetzt muss ich gestehen, dass sie die meiste Zeit einfach okay sind. Sie haben ihre Probleme, aber die meiste Zeit brauchen sie einfach jemanden, der ihnen sagt, dass alles gut wird.
Die Welt: Als Schriftstellerin sind sehr diszipliniert und stehen jeden Morgen um sechs Uhr auf. Sind Sie eine strenge Mutter?
Jojo Moyes: Überhaupt nicht! Ich bin eher die, die von der Schule angerufen wird, weil sie Termine oder Briefe vergessen hat. Aber meine Kinder wissen, dass ich sie sehr liebe, und ich sage es ihnen auch ständig. Allerdings bin ich konsequent, was Hausarbeit betrifft, und alle haben ihre Aufgaben und feste Bettzeiten. Ich bin keine "Mach doch, was du willst"-Mum. Ich selbst bin Einzelkind, meine Eltern sind geschieden, daher betrachte ich es als einen meiner größten Erfolge, drei Kindern ein glückliches, ruhiges Zuhause zu bieten.
Die Welt: "Ein ganzes halbes Jahr" war in Deutschland der erfolgreichste Roman des vergangenen Jahres. Wieso sind Sie ausgerechnet hier so beliebt?
Jojo Moyes: Ich habe absolut keine Ahnung! Verraten Sie es mir.
Die Welt: Vielleicht, weil es einen Mangel an intelligenter Frauenliteratur gibt. Viele Schriftstellerinnen setzen lieber auf die chaotische Mittdreißigerin, die Prosecco trinkt, ihren Mr. Right sucht und mit ihren Freundinnen seine SMS analysiert.
Jojo Moyes: Diese vorhersehbaren Geschichten sind okay, aber ich bin Feministin und stehe dazu. Bei allem, was ich schreibe, frage ich mich, was meine sechzehnjährige Tochter denken würde, wenn sie es liest. Ich möchte über vorbildliche Frauen schreiben und nicht über solche, die sich Gedanken über ihr Aussehen oder den Mann an ihrer Seite machen. Obwohl das natürlich Nebenthemen sein dürfen, aber wichtiger ist mir, was diese Frauen aus ihrem Leben machen, was sie Gutes bewirken. Es ist mir wichtig, dass in meinem neuen Buch ein zehnjähriges Mädchen das Mathegenie ist und ich keinen Jungen aus ihr gemacht habe. Ich wollte zeigen, in welchem Zwiespalt sie geraten wird, wenn sie sich später auch mal mädchenhafter zeigen will. Außerdem wollte ich, dass Jess eine handwerklich begabte Frau ist, die mit einer Bohrmaschine umgehen kann. Mir ist das alles wichtig, weil ich nicht über Designerhandtaschen schreiben mag, von denen ich auch gar nichts verstehe. Gerade heute wurde ich ausgelacht, als ich stolz erzählt habe, dass mein Mann einen neuen Traktor gekauft hat. Ich bin so gespannt darauf, weil ich noch nie in meinem Leben auf einem Traktor gefahren bin.
Die Welt: Stört es Sie, dass Ihre Bücher trotzdem in die Schublade Frauenschmöker gepackt werden?
Jojo Moyes: Unbedingt. Aber nur, weil es auch kommerzielle Literatur für Frauen ist, bedeutet es ja nicht, dass es keine Qualität haben darf. Ich habe nie behauptet, Hochliteratur zu verfassen. Aber man kann hoffentlich nie vorhersehen, wie sich meine Geschichten entwickeln.
Die Welt: Es fällt auch nicht gerade leicht, Ihre Bücher wieder zuzuklappen und sie einfach zurück ins Regal zu stellen.
Jojo Moyes: Genau das schreiben mir wirklich viele meiner Leser. Junge Frauen schreiben mir, dass ich sie ermutigt habe, ihren Job hinzuschmeißen oder mit ihrem Freund Schluss zumachen. Gerade da denke ich oft, "Oh je, hoffentlich haut das auch hin." Aber viele wollen mir einfach ihr Leben erzählen. Ich musste jemanden einstellen, der mir beim Beantworten der E-Mails und Briefe hilft. Aber die persönlichen beantworte ich selber.
Die Welt: Nicht leicht! Ihre Bücher sind in 31 Sprachen übersetzt.
Jojo Moyes: Ein Hoch auf Google Translate! Ich packe da alle E-Mails rein und reime mir zusammen, worum es geht.
Die Welt: Empfinden Sie Ihre Popularität manchmal auch als Druck?
Jojo Moyes: Ich werde jetzt fluchen, verzeihen Sie, aber ich sage mir immer: "Don't fuck it up." Ich versuche, ruhig zu bleiben und weiter so viel von mir in die Bücher zu stecken wie bisher. Es hat sich definitiv etwas verändert, weil die Leute jetzt nach und nach alle meine alten Romane entdecken. Jemand hat mir geraten, ich sollte nicht auf das "Weiße Rauschen" hören, Neider ignorieren und nicht so viel im Internet surfen. Ich versuche, mich daran zu halten. Aber eigentlich hat sich mein Leben in den letzten Jahren nur wenig verändert. Wir wohnen seit fünfzehn Jahren in demselben Haus in Essex, meine Kinder gehen auf dieselben Schulen, und ich habe dieselben Freunde. Es sind einfach ein paar neue dazugekommen.
Die Welt: Sie haben mal gesagt, dass Sie nie "für den Markt" schreiben werden.
Jojo Moyes: Das kann man ja auch gar nicht, oder?
Die Welt: Nur, wenn man auf sichere Themen wie Sex und Vampire setzt.
Jojo Moyes: Genau, aber schauen Sie sich die ganzen Bücher und ihre Kopien doch an! Man weiß, ohne sie gelesen zu haben, dass in allen dasselbe steht. Diese Art von Büchern strahlen das doch schon aus und ich finde, sie verströmen einen unangenehmen Geruch ...
Die Welt: Gibt es denn Themen, die Sie für sich ausschließen?
Jojo Moyes: Ich würde über alles schreiben, solange ich es in mir fühle. Wenn ich eins über die Jahre gelernt habe, dann, dass ich davon besessen sein muss, sonst funktioniert es nicht. Sonst käme ein langweiliges Buch heraus.
Die Welt: Und wie finden Sie Ihre Figuren?
Jojo Moyes: Sie tauchen plötzlich vor meinem inneren Auge auf. Jess und Ed waren einfach da. Manchmal ist es so schwer, jemanden zu skizzieren, es funktioniert einfach nicht. Dann lässt man Menschen aufeinanderprallen und es wirkt wie ein schlechtes Blind Date und überhaupt nicht lebendig. Solche Charaktere muss man wieder rausschmeißen und jemand Neues erfinden. Mit viel Glück kann man die Figuren dazu bringen, etwas zu bewegen. Das ist das Verrückte am Schreiben für mich, immer noch. Bei jedem neuen Buch fange ich wieder von vorne an und frage mich bei der ersten leeren Seite, wie ich es das letztes Mal eigentlich geschafft habe.
Die Welt: Sie haben lange als Journalistin für den "Independent" gearbeitet. Machen Sie das noch manchmal?
Jojo Moyes: Nein, denn letztes Jahr musste ich wirklich lernen, Abstriche zu machen. Meine Familie und meine Bücher kommen zuerst und alles andere kommt danach, seien es nun meine Freunde oder Reisen. Der Tag hat nur eine gewisse Anzahl von Stunden, ich habe letztes Jahr so hart gearbeitet und war so viel unterwegs, dass ich beinahe krank geworden wäre. Letzten November, als alle meine Bücher so gut liefen, habe ich gemerkt, dass ich trotzdem nicht glücklich war und es nicht richtig genießen konnte. Ich war müde und habe mir zu viele Verpflichtungen aufgeladen. Wie als Freelancer, wo man heute alle Aufträge annimmt, weil morgen vielleicht kein neuer mehr reinkommt. Ich habe immer "Ja, ich mache das" gesagt. Am Ende hat mich meine Agentin gestoppt. Ich saß gerade in ihrem Büro, als die nächste Anfrage reinkam. Hinterher hat sie mir erzählt, wie ich sichtlich zurückgewichen wäre. Ich konnte einfach nicht mehr. Aber dieses Jahr geht es mir viel besser, weil ich mehr Unterstützung habe und sich mein Mann mehr um die Kinder kümmert als bisher. Und ich fühle mich nicht schlecht, seit ich das Neinsagen gelernt habe. Wenn es trotzdem schiefgehen sollte, dann ist es so, aber ich muss diesen Weg weitergehen.
Die Welt: Ihre Karriere wird durch den Hollywoodfilm noch mehr Fahrt aufnehmen.
Jojo Moyes: Ich hoffe, Sie haben recht. Ich bin 44, wissen Sie. Ich habe viele Schriftsteller gesehen, die angefangen haben, von sich in der dritten Person zu reden. So was wie "Jojo Moyes sagte ..." So will ich nicht werden. Wenn ich es versauen sollte, dann bitte nicht, weil ich eine Idiotin oder Diva geworden bin.
Die Welt: Die Bestseller kann Ihnen niemand mehr nehmen.
Jojo Moyes: Ach, ich wollte einfach immer Bücher schreiben. Drei hatte ich bereits fertig in der Schublade, ehe ich den ersten Verlagsvertrag bekam. Ich war besessen davon, ein einziges Buch zu veröffentlichen, um es mit meinem Namen darauf ins Regal stellen zu können. Als ich das geschafft hatte, wollte ich natürlich das nächste schreiben. Damals sah es in der englischen Buchbranche nicht gerade rosig aus, meine Bücher haben sich nicht gut verkauft, aber ich habe immer darauf gehofft, eines Tages davon leben zu können. Es war eine heikle Angelegenheit, aber ich wollte nie etwas anderes. Was hätte ich auch sonst gekonnt? Jetzt ist es alles viel mehr geworden, als ich mir je hätte erträumen können. Ich wache immer noch manchmal morgens auf und fürchte, dass mir jemand auf die Schulter tippt und flüstert: "Schade, leider die falsche Jojo Moyes."
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