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Wege in die Politik: Geht's auch ohne Ochsentour? #JungMachtPolitik

Wege in die Politik Geht's auch ohne Ochsentour?

Sie sind die Zukunft - doch bestimmen noch nur selten mit. Nur wenige jungen Menschen wollen in die Politik, denn der Weg nach oben ist lang und beschwerlich. Manche nehmen ihn trotzdem auf sich.

Er ist der jüngste Abgeordnete im hessischen Landtag. Und man sieht ihm auf den ersten Blick an, dass er einer neuen Generation von Politiker*innen angehört. Psychedelisch-bunter Pulli, Vollbart, Sneaker. Zuallererst bietet er das "Du" an. "Der Durchschnitt der jungen Abgeordneten hier im Haus bringt schon neuen Schwung in die Flure. Das ist deutlich zu spüren", sagt der 23-jährige Grünen-Politiker Lukas Schauder.

Schwung braucht es - die Politik fordert oftmals aber auch einen langen Atem. Sich langfristig zu verpflichten wollen viele junge Menschen jedoch nicht.

Black Lives Matter, Fridays for Future und Proteste gegen die sogenannten Upload-Filter haben tausende junge Leute auf die Straßen der Großstädte getrieben. Politik machen heißt für sie vor allem für Umweltschutz und Gerechtigkeit zu sprechen, streiten, streiken. Für Jens Borchert Ausdruck einer neuen politischen Kultur: „Das Engagement hat sich verändert und ist tendenziell kurzfristiger, punktueller und themenspezifischer geworden", sagt der Politikwissenschaftler an der Goethe-Universität Frankfurt. In Parteigremien diskutieren, sich um Wähler*innen bemühen und Plakate kleben: Diese Ochsentour erscheint vielen offenbar zu langwierig. "Wenn man für eine Sache brennt, muss man dafür auch Zeit investieren", sagt Miriam Dahlke. Wie Schauder sitzt auch sie für die Grünen im hessischen Landtag.

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Nur 11 von 137 Abgeordneten sind unter 35

Wären dort nur Menschen, die - wie Schauder und Dahlke - jünger als 35 sind, gäbe es eine klare Mehrheit: Die Fraktion der Grünen stellt den größten Junioren-Anteil. Bei der SPD sind es immerhin noch zwei, bei CDU und FDP keine Parlamentarier*innen.

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"Bessere Ergebnisse als geplant sorgen für Plätze für die Jungen", weiß auch Wiebke Knell, mit 38 Jahren jüngste FDP-Abgeordnete im hessischen Landtag. Auf diesen Sitz musste sie jahrelang warten. Nachdem sie mit ihrer ersten Kandidatur mit 21 Jahren gescheitert war, brauchte sie noch vier weitere Anläufe. Ein Grund: „Die vorderen Listenplätze sind hart umkämpft auf Parteitagen." Nur Ausnahmetalente kämen schnell nach oben.

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Junge Menschen haben es in Parteien oft schwer

"Die Parteien in Deutschland sind sehr stark überaltert. Junge Leute haben dadurch auch Probleme, sich durchzusetzen", erklärt Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut. Parteien seien gewachsene Organisationen mit hierarchischen Strukturen. In diese vorzudringen sei für Jüngere oft schwierig. "Diejenigen, die erfolgreich den Weg in die Politik bestreiten, fangen typischerweise alle relativ früh an", sagt Borchert. Denn der Beruf sei komplex und es brauche schlicht Zeit, ihn zu erlernen. Klassischerweise fällt der Startschuss für die Politik-Karriere in der Kommunalpolitik, den Parteijugenden sowie in politischen Hochschulgruppen. Besonders die Junge Union werde von der Parteiführungen von CDU und CSU als wichtiges Rekrutierungsfeld gesehen, sagt Borchert.

Als politischer Nachwuchs der CDU fühlte sich der 32-jährige Yannick Schwander jedoch nicht immer wertgeschätzt. "Vor zehn Jahren war das sehr extrem der Fall. Je jünger man ist und je mehr man mit den älteren Parteimitgliedern unterwegs ist, desto eher hat man das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Das ist ein Problem." Bei Schwander sei das nun jedoch nicht mehr so, denn er habe sich "erste Sporen verdient" und gelernt, sich durchzusetzen.

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"Unser Motto ist 50 Prozent Politik und 50 Prozent Party"

Yannick Schwander hat schon viel Zeit investiert. Seit 13 Jahren engagiert er sich in der CDU, ist stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union in Hessen. "Unser Motto ist 50 Prozent Politik und 50 Prozent Party, das leben wir auf jeder Veranstaltung. Es ist ein Klischee, dass wir immer nur die Karriere im Sinn haben", sagt er. Leben kann der Pressesprecher der Stadt Bad Vilbel von seiner politischen Arbeit bislang nicht. Er könne sich aber schon gut vorstellen, Politik im Hauptberuf zu betreiben. "Aber das, was ich jetzt mache, meine ehrenamtliche kommunalpolitische Aktivität, die erfüllt mich auch schon sehr."

Doch sollte der rasche Aufstieg in ein politisches Amt überhaupt das Ziel sein? „Für mich geht es in der Politik nicht um den schnellsten Weg - so funktioniert Politik auch nicht. Es geht vielmehr um Überzeugung. Und wenn man die nach außen trägt, ist das auch der schnellste Weg", sagt etwa der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen in Hessen, Niklas Hannott.

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Der 24-Jährige hat früh angefangen. Er ist mit 16 Jahren in die FDP-Jugendorganisation eingetreten. „Ich kann in meiner aktuellen Position dafür sorgen, dass junge Leute eine politische Lobby erhalten und stärker vertreten sind, sei es in Wiesbaden oder Berlin."

Hochschulgruppen: Engagement abseits der Parteien

Damit Studierende zwischen Dekanat, Präsidium und Lehrenden eine Lobby bekommen, engagieren sich junge Menschen auch in der Hochschulpolitik. Die Maschinenbaustudentin Helena Wolf sagt: "In der Hochschulgruppe ist es nicht das gleiche, wie wenn ich mich als junge Frau mit den alten sturen Männern in der Partei rumschlagen muss und dann von der Schriftführerin vom Ortsverein irgendwann in den Unterbezirksvorstand hocharbeite, um dann irgendwann im Bundesvorstand zu sitzen."

Wolf kennt beide Welten: Sie studiert an der Technischen Universität Darmstadt, wo sie auch zur Juso-Hochschulgruppe gehört und für diese sitzt sie auch im Bundesvorstand. Daneben ist sie in der Offenbacher SPD als Beisitzerin aktiv. Ganz ohne Wissen und Engagement bekomme man aber auch die Posten in den Hochschulgruppen nicht. Hochschulgruppen blieben für junge Politik-Talente jedoch meist eine Spielwiese zum Ausprobieren und Lernen.

Warum die Jungen trotzdem Chancen haben

"Der Hauptkonkurrent bei der politischen Karriere ist immer der Parteifreund oder die Parteifreundin", sagt Borchert. Das betreffe besonders Parteien, die Mandate abgeben müssten. Kleinere, jüngere und vor allem wachsende Parteien erlaubten tendenziell schnellere politische Karrieren, wie es auch bei den Grünen in Hessen zu sehen ist. Mittlerweile ist die Zahl der grünen U35-Abgeordneten so groß, dass sie sich in einer eigenen Chat-Gruppe organisieren: WhatsApp statt Wirtshaus, ein bundesweiter digitaler Stammtisch. Weil die Grünen bei vielen Wahlen deutlich an Stimmen gewonnen haben, sind auch mehr Plätze in den Parlamenten zu vergeben. "Wenn eine Wahl ansteht, muss man sich fragen: „Mache ich das jetzt?", weil man kann nicht nur fordern, dass sich was ändert, sich dann aber wegducken", sagt Dahlke. Dank der Umfrage-Hochs wächst die Zahl an jungen Mitgliedern bei den Grünen. Über Nachwuchs muss sich die Partei also wohl erstmal keine Sorgen machen. Im Bundestag sitzen derzeit aber trotzdem nur zwei Grüne unter 35.

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So verkrustet die meisten Parteistrukturen sein mögen, Politikwissenschaftler Jens Borchert beobachtet bessere Aufstiegschancen. „In den meisten Parteien ist es heute möglich, schneller Karriere zu machen, als das früher der Fall war. Wenn man lange genug da ist, führt eigentlich kein Weg an einem vorbei. Es erfordert eben nur diese Bereitschaft, erst einmal viel Zeit zu investieren."

Ob man also wie Helena Wolf über Hochschulpolitik seine Erfahrungen sammelt, innerhalb einer Jugendorganisation Druck auf die Alteingesessenen macht wie Yannick Schwander oder Niklas Hannott, oder als politischer Frühaufsteher schon mit Anfang zwanzig im Landtag sitzt wie Lukas Schauder: Nicht alle politischen Neulinge müssen mehr die beschwerliche Ochsentour auf sich nehmen, um mitbestimmen zu können.

Weitere Informationen

Die Autor*innen studieren am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Infos über das Projekt Jung. Macht. Politik. der Uni Mainz in Kooperation mit hr-iNFO gibt es . Fragen und Feedback? Gerne per Mail an jungmachtpolitik@hr.de !

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