Es ist Nachmittag, kurz nach 16 Uhr. Etwas zu spät, aber dafür mit einem umso breiten Lächeln im Gesicht betritt Yassar das Klassenzimmer der Anton-von-Gegenbaur-Schule. Kursleiterin Hedi Waniek drückt er erst einmal kräftig. Yassar gehört hier im Fortgeschrittenen-Kurs zu den bekannten Gesichtern. Sechs junge Männer sitzen bereits im Klassenzimmer, jeder hat ein Kärtchen mit einem Symbol-Bild in der Hand. Auf einem sind Messer und Gabel zu sehen. „Ich muss mit Löffel essen", sagt einer der Flüchtlinge. Ein verstohlener Blick auf die Rückseite des Kärtchens verrät die gewünschte Antwort: „Hier kann man essen und trinken."
Gesellschaftliche VerantwortungSeit Juni 2014 bietet das Netzwerk Asyl den Flüchtlingen Deutschunterricht an. Momentan beteiligen sich 18 Ehrenamtliche. Sie unterrichten vor allem Syrer, Gambier, Eritreer und Afghanen. Hedi Waniek vom Netzwerk Asyl koordiniert den Unterricht. „Als die Asylbewerber in meine Siedlung gekommen sind, habe ich einfach eine gesellschaftliche Verantwortung gespürt und wollte helfen", sagt Waniek. „Einen offiziellen Sprachkurs kann das natürlich nicht ersetzen." Und doch ist der Unterricht des Netzwerks gerade für die Neuankömmlinge sehr wichtig.
Einer von ihnen ist Mohammed. Er ist an diesem Mittwoch zum dritten Mal beim Unterricht. Der 34-jährige Syrer kam im Dezember mit dem Schiff nach Deutschland. Begrüßung, Wegbeschreibungen, Einkaufen: In der Klasse lernt er das Wichtigste, um im Alltag zurecht zu kommen. „Der, das, die, es", sagt Mohammed und zeigt auf die Gegenstände um sich herum. „Deutsch ist schwierig." Eine keine Erleichterung: Sein Lehrer Wolfgang Braun spricht Arabisch und kann so übersetzen, wenn etwas unklar ist.
„Wir bemühen uns hier sehr um einen integrativen Unterricht, der auch Werte und Kultur vermittelt", sagt Waniek. So erklärte sie den Flüchtlingen zu Fasnet beispielsweise, was der Gumpige Donnerstag ist. Und wenn es zum Thema passt, wird der Unterricht in die Stadt oder den Supermarkt verlegt.
Willkommene AbwechslungOb im Klassenzimmer oder draußen: Für Yassar ist der Unterricht eine willkommene Abwechslung zum Leben in der Unterkunft in der Oderstraße. Seine Frau und die drei kleinen Kinder musste er in Syrien zurücklassen, bald sollen sie nachkommen. Bis dahin sind die Mitarbeiter des Helferkreises für ihn eine Art Familie. „Gott sei Dank haben wir Hedi und die anderen", sagt Yassar.
„Hattet ihr viel Arbeit im Büro?" steht auf dem Arbeitsblatt der fortgeschrittenen Klasse. Sätze wie diese haben für Yassar noch keinen Bezug zu seinem Leben in Deutschland. Doch mittlerweile hat der Syrer eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Mit ihr wächst die Hoffnung, bald arbeiten zu können. Mit einer Arbeitsstelle würde man ihn auch als Flüchtling eher akzeptieren, sagt er. Außerdem sei der Arbeitsalltag sicher der beste Weg, um Deutsch zu lernen.
Kein AnspruchAsylbewerber haben keinen Anspruch auf einen Deutschkurs. Die Sozialbetreuer vor Ort melden dem Landratsamt, wenn ein Asylbewerber Interesse hat. Dieses Jahr können im Landkreis Ravensburg 73 000 Euro für Sprachkurse für Asylbewerber ausgeben werden. „Die Mittel reichen jedoch nicht, um jedem einen Kurs anzubieten", sagt Karin Winkler, Integrationsbeauftragte des Landratsamts. Wichtig sind daher auch die Unterrichtsangebote von Ehrenamtlichen wie dem Netzwerk Asyl. Einen Integrationskurs des Bundesamts für Flüchtlinge und Integration - zu dem auch Deutschunterricht gehört - dürfen Flüchtlinge erst besuchen, wenn sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen haben. (ch)
Zum Original