Vor Mareike Lemke auf der Werkbank steht eine circa 80 Zentimeter große Skulptur. Ein Frauenkörper aus Lindenholz. Das Gesicht ist bis ins Detail ausgearbeitet, zart und mit gesenktem Blick. Fast so, als wäre die Lindenholz-Frau traurig über ihren linken Arm. Wo er sein sollte, mündet die Schulter der Figur in einen Holzklotz. Mit Klöpfel und Beitel trägt Lemke das Holz ab, um den Arm heraus zu arbeiten. Zwischen den Schlägen streicht sie mit dem Fingern über das Holz.
In wenigen Tagen schon wird die Figur in Lemkes Ausstellung im Fuggerschloss stehen. Bis dahin gibt es noch einiges zu tun. Grundierung, Acryl-Farbe und ein Lack, der feine Risse entstehen lässt: Wenn sie fertig ist, soll die Skulptur eine Porzellan-Optik haben.
Treibholz und ein TeppichmesserIn den letzten Monaten hat Mareike Lemke viel Zeit in ihrer Werkstatt verbracht. Bis in den Abend schienen die Lichter durch die Fenster des kleinen Holzhauses neben der alten Kaplanei, wo Lemke mit ihrem Partner wohnt. Hier auf den Steintreppen vor der Kaplanei aus dem 17. Jahrhundert entdeckte die 37-Jährige ihre Liebe zur Holzbildhauerei. „Wir waren am Bodensee und hatten Treibholz gesammelt", erinnert sie sich. Daheim zurück setzte sie sich auf die Treppe und schnitze mit einem Teppichmesser ihre erste Figur. „Obwohl ich vorher nichts mit Holz zu tun hatte und als Hotelfachfrau gearbeitet habe, hat das etwas in mir ausgelöst", erzählt Lemke.
Sie beschloss eine klassische Ausbildung zur Holzbildhauerin zu machen, bewarb sich bei der Schnitzschule Elbingenalp und wurde angenommen. 2014 kam dann die eigene Werkstatt. Aus Holzklötzen entstehen hier Gesichter und Körper. „Der Mensch steht bei meiner Arbeit im Mittelpunkt", sagt Lemke. Oft auch seine Vergänglichkeit. Denn die Holzbildhauerin hatte selbst einmal einen schweren Autounfall. So zieht sich ein dicker Riss über das hölzerne Gesicht einer Kopfstudie. Bei einer anderen Studie mit dem Namen „Leben und Tod" zeigt die eine Gesichtshälfte die Konturen eines Skelettes.
Doch es entsteht nicht nur Nachdenkliches, Düsteres an Lemkes Werkbank. Im Gegenteil: Die blonde Frau mit dem breiten Lächeln baut gerne kleine Gags in ihre Werke ein. Eine solche Skulptur ist „Just right shoe". Die Dame mit der Zigarette in der Hand trägt einen weißen Schuh am rechten Fuß. Und dann gibt es noch jene Figuren, von denen Lemke spricht, wie von alten Freunden: Jean-Pierre und Paul. „Paul steht bei Ausstellungen meist vorne und begrüßt die Besucher."
Künstlerin oder Handwerkerin?Neben der Gestaltung eigener Stücke restauriert Lemke auch: die Locken der Jesus-Figur aus der Sankt Gallus Kirche in Kißlegg oder das Ohr eines Esels aus der Weihnachtskrippe. „Vor allem heute, wo vieles gleich weggeworfen wird, finde ich es schön, dass auch noch Dinge repariert werden", sagt sie. Ihre Freunde bezeichnen Lemke als Künstlerin, doch besonders bei ihren Restaurationsarbeiten sieht sie sich als Handwerkerin. „Dann nehme ich eher den Stil des Vorgängers auf."
Die Künstlerin Lemke hat derzeit ihre erste, große Ausstellung im Fuggerschloss Kirchheim. Ein Vorschlag von Fürstin Fugger von Glött. Nachdem Lemke sie einmal im Fernsehen gesehen hatte, schickte sie der Fürstin eine Mappe mit ihren Arbeiten. „Ich hatte gehofft, eine Führung durchs Schloss zu bekommen, die alten Meister zu sehen", erklärt Lemke. Es kam noch besser. Nun warten Paul, Jean-Pierre und die Dame mit dem weißen Schuh im Zedernsaal des Fuggerschlosses auf Besucher.
Die Ausstellung ist vom 6. bis zum 29. März im Fuggerschloss Kirchheim/Schwaben zu sehen. Vernissage ist am 8. März um 11 Uhr. Neben Werken von Mareike Lemke sind Bronzearbeiten von Gertrud Nein ausgestellt.
Wie Mareike Lemke arbeitet und wie ihr Hund dabei hilft, zeigt unser Video unter schwaebische.de/holzbildhauerin
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