128 Flüchtlinge leben in Leutkirch in Asyl-Unterkünften. Die Familien sind in der Sudetenstraße untergebracht. Hier wohnt auch Ahmad Aarabi mit seiner Frau und den drei Kindern. Wenn Ahmad Aarabi Gäste in dem Raum begrüßt, der seit Mai sein Zuhause ist, entschuldigt er sich, blickt sich verlegen um und zuckt mit den Achseln. Das Zimmer, in dem sich das Leben der Familie abspielt, ist vielleicht 16 Quadratmeter groß. Auf dem Boden liegt ein gemusterter Teppich, zwei Sofas bieten Gelegenheit zum Sitzen, und unter dem Fenster steht der Esstisch, ein alter Röhrenfernseher läuft. Neben der Tür steht ein Hochbett. Hier schlafen die Eltern. Die drei Kinder haben ein separates Zimmer. Küche und Bad teilen sich die Aarabis mit einer anderen Familie.
Ahmad Aarabi arbeitete in Libyen als Apotheker, seine Tochter Makieh studierte Medizin, der Sohn Ingenieurswissenschaften. Die syrische Familie pendelte lange Zeit zwischen Libyen und ihrem Heimatland, wo sie ein Haus besitzt. Doch dann begann der syrische Bürgerkrieg, und auch in Libyen waren die Aarabis als Syrer nicht mehr willkommen. „Ich hatte Angst zur Uni zu gehen", erklärt die 19-jährige Makieh Aarabi in gebrochenem Deutsch. Im Mai kam die Familie über das Mittelmeer nach Deutschland und beantragte Asyl. Die Eltern und der neunjährige Sohn wissen bereits: sie dürfen bleiben. Jetzt wartet die Familie darauf, dass auch die Anträge der beiden älteren Kinder bewilligt werden.
Ehrenamtliche helfenVor allem die jüngeren Kinder sollen von den Sorgen der Eltern so wenig wie möglich mitbekommen. Susanne Heckelsmüller organisiert deshalb zusammen mit anderen ehrenamtlichen Helfern Spiel-Nachmittage. An diesem Mittwoch basteln die Kinder Deko-Kugeln aus Papierstreifen. „Welche Farbe möchtest du?", übersetzt Abdulrahman, der neunjährige Sohn der Aarabis, für einen syrischen Jungen, der erst vor wenigen Wochen nach Deutschland gekommen ist. Vier Kinder sitzen an dem Tisch im Spielzimmer, alle besuchen die Schule.
Nur eine ZwischenstationAuch Gurmeet S. (Name von der Redaktion geändert) hätte gerne die Schule besucht, als er damals mit 22 Jahren in Leutkirch ankam. Doch dafür war er zu alt. Der heute 24-Jährige lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester ein Stockwerk über den Aarabis. Ein Räucherstäbchen steckt in der Wand der Wohnung. Dünne Nebelschwaden durchziehen die Luft. Die Sudetenstraße sollte für die Familie eigentlich nur eine Zwischenstation sein. Sie flohen aus Afghanistan, weil sie dort einer religiösen Minderheit angehörten, den Sikhs. „Wir wurden von den Taliban unterdrückt und verfolgt", sagt der 24-jährige Gurmeet, der mittlerweile gut Deutsch spricht. Er erzählt von getöteten Verwandten, ständiger Angst und davon, dass er in Afghanistan als Sikh nie zur Schule gehen konnte. Schließlich wagte die Familie die Flucht, ein pakistanischer Schlepper brachte sie nach Deutschland.
Zweieinhalb Jahre sind seitdem vergangen. Zweieinhalb Jahre, in denen die Familie nicht viel tun konnte. Vor kurzem wurde der Asylantrag zum zweiten Mal nicht bewilligt. Wie genau der Beschluss lautet, wie es weiter geht, sie wissen es nicht. Auch weil die Briefe vom Amt für die Flüchtlingsfamilie schwer zu verstehen sind. Ein Anwalt kümmert sich deshalb um das Asylverfahren. „Familie S. ist so was, wie der ruhende Pol im Haus", sagt Priska Wunden vom Helferkreis Asyl. Neuankömmlinge finden Rat bei der Familie, die schon so lange im Haus wohnt. Gurmeet zeigt ihnen die wichtigen Orte in der Stadt, das Rathaus, Supermärkte. „Guide", nennt der junge Mann sich scherzhaft. Und in seiner Funktion als „Reiseführer" hat er gut zu tun, denn neue Familien kommen zur Zeit häufig an. „Es ist viel los", sagt Priska Wunden.
„Ich will wieder arbeiten"In der Wohnung von Familie Aarabi übertönt Kindergeschrei die Gespräche im Wohnzimmer, als Abdulrahman und ein anderes Mädchen aus dem Haus von der Bastelstunde zurückkommen. Beide sind aufgeregt, jedes Kind hat ein Päckchen mit Geschenken bekommen. Stifte, einen Pulli, Schokolade und ein Lego-Auto: Abdulrahman strahlt. Es sind solche Momente, die Familie Aarabi ihre Sorgen für kurze Zeit vergessen lassen. „Ich will wieder arbeiten", wünscht sich Ahmad Aarabi für das neue Jahr. „Und auch meine Kinder wollen weiterstudieren". Vielleicht in Stuttgart oder Karlsruhe. Nur warten, das wollen sie nicht mehr.
Zum Original