Christin Hartard

Journalistin. Video. Text. Foto., Ravensburg

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Alle ziehen an einem Strang

Was die meisten nur von Kindergeburtstagen kennen, betreiben Julian Maier (vorne) und seine Vereinskollegen als Sport. Bis 1920 war Tauziehen noch eine Olympische Sportart. Foto: Hartard

Aalen - Die Brillengläser sind beschlagen, der Kopf rot, der Blick konzentriert: Julian Maier stemmt sich mit aller Kraft gegen das sicher zehn Zentimeter dicke Seil in seinen Händen. Hinter ihm stehen die Vereinskameraden, denen es auch nicht besser geht. „Pull, pull, pull“, ruft Julian rhythmisch. Die Jungen und Mädchen graben ihre Schuhe in den matschigen Boden und bewegen sich im Gleichschritt nach hinten. Dann ist es geschafft. Die acht Mann auf der anderen Seite des Taus geraten ins straucheln und fallen um.


Vor fast 100 Jahren war Tauziehen noch eine olympische Disziplin – und wer einmal beim Training des Tauziehclubs Eiche Affalterried zugesehen hat, weiß warum: Anderes als beim Seilziehen auf Kindergeburtstagen oder zur Bierzeltgaudi, hat der Tauzieh-Sport nichts mit unkontrolliertem Gereiße zu tun. „Klar, Kraft braucht man, aber es geht eben auch um Taktik und Teamgeist“, sagt Julian Maier, Sportwart beim Tauziehclub. Dass das so ist, wissen die wenigsten.Wenn der 19-jährige Zerspanungsmechaniker-Azubi im Betrieb von seinem Hobby erzählt, erntet er meist ungläubige Blicke. Das gibt es als echte Sportart? Ja, gibt es und der Tauziehclub Eiche zieht sogar in der Landesliga Württemberg/Bayern. 2007 holten sie hier den Titel in der 720-Kilogramm-Klasse.


Jugend am Tau

Eine Mannschaft mit acht Mann zusammenzustellen, die es auf annähernd 720 Kilogramm Maximalgewicht bringt: für Maier dieser Tage eine Herausforderung. Denn seit einigen Jahren stehen nicht mehr die stämmigen, älteren Herren am Seil, sondern vor allem die Jugend – und die bringt eben nicht so viel auf die Waage. Als Sportwart ist Julian Maier im Tauziehclub der Herr über die Kilos, in einer Excel-Tabelle wird alles dokumentiert. „Das Gewicht sollte sich in der Wettkampf-Phase nicht allzu stark verändern“, so Maier.


Seil auf, spannen und los!

120 Mitglieder hat der Verein, davon 24 Aktive. Unter ihnen sind nicht nur Männer. Jessica Kleindienst ist seit einem Jahr dabei. Hergelockt hat die 17-Jährige die Neugierde. Fußball, Volleyball und Turnen: Jessica hat schon viele Sportarten ausprobiert. „Beim Tauziehen muss man relativ viel Kraft in sehr kurzer Zeit einsetzen, das fasziniert mich“, sagt sie. „Man geht jedes Mal an seine Grenzen“, stimmt Mayer ihr zu.


Ungewöhnlicher Gegner

Damit es beim Training auch mal Zeit zum Verschnaufen gibt und nicht immer Mannschaft gegen Mannschaft antreten muss, hat sich der Verein einen weiteren Gegner zugelegt. Einen Stahlkorb befüllt mit Steinen. Der wird auf dem Trainingsgelände in Affalterried über einen Flaschenzug von den Tauziehern nach oben gehievt. Doch bevor es an den nächsten Zug geht, macht eine Dose mit Baumharz die Runde. Maier reibt seine Hände gründlich mit der gelben, pampigen Masse ein. „So können wir das Tau besser halten“, erklärt er. Denn Handschuhe sind verboten. Dann heißt es wieder: „Seil auf Spannen, fertig“ - und auf geht’s.


Stahlplatten statt Kufen

Die Regeln sind einfach: beide Hände am Seil, keine Handschuhe, kein Absetzen. Wer die gegnerische Mannschaft zuerst über die Vier-Meter-Markierung am Tau zieht, gewinnt. Für den richtigen Stand tragen Maier und die anderen spezielle Hartschalen-Schuhe, die aus Hockey-Schuhen hergestellt werden. „Die Kufen werden abgemacht und stattdessen eine Stahlplatte an der Sohle befestigt.“ Wichtigstes Hilfsmittel nach dem Training: der Spachtel. Denn von den Schuhen ist dann vor lauter Erde und Matsch meist nicht mehr viel zu sehen.


Wer beim Tauziehen zuerst umpurzelt, sehen Sie im Video auf www.schwaebische.de/Tauziehen.


In unserer Serie „Übern Tellerrand“ blicken wir über eben diesen und stellen Sportarten vor, die sonst weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Wenn Sie auch eine eher unbekannte Sportart ausüben, melden Sie sich in der Redaktion unter t.laemmerhirt@schwaebische.de.

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