Hüttlingen - Das Geräusch der surrenden Fahrradkette mischt sich mit dem Wassergeplätscher des Kochers. Kerstin Abele liegt circa zehn Zentimeter über dem Asphaltboden in ihrem Handbike. Ihre braungebrannten Hände drehen die Pedale vor ihrer Brust, die zugleich Lenker sind. „Pass auf, dass du nicht einschläfst, so gemütlich wie du’s da hast“, ruft ein älterer Herr ihr lachend hinterher, als sie vorbeirauscht. „Was man sich hier alles anhören muss“, murmelt Abele und grinst. Man kennt sich hier in Hüttlingen. Und die rothaarige, zierliche Frau im Handbike sowieso.
Seit fast 15 Jahren fährt Abele Handbike - und das gar nicht mal so gemütlich, wie es für ihre Nachbarn vielleicht aussieht. Deutsche Meisterschaften in Köln, süddeutsche Meisterschaften im Schwarzwald, Marathons in Miami und New York oder Rennen auf der Formel-1-Strecke in Abu Dhabi. „Ja, ich bin ganz schön rumgekommen“, sagt die Leistungssportlerin. Ihr größter Stolz: Der Gesamtsieg beim European Handbike Circuit 2011, der größten Handbike-Rennserie in Europa. „Das ist so ein Wahnsinnsgefühl, wenn du nach so einem Rennen ausgepowert ins Ziel fährst“, sagt Abele und strahlt.
Vor fast 30 Jahren waren solche Erfolge noch undenkbar. 1988 verändert ein Fahrradsturz ihr Leben schlagartig. Ein Trümmerbruch im achten Brustwirbel durchtrennt Abeles Rückenmark. Seither ist sie querschnittsgelähmt. Neun Monate verbringt die heute 51-Jährige in der Klinik, kämpft sich danach zurück in den neuen Alltag im Rollstuhl.
Neue Perspektive durch Sport
Erst Jahre später kommt sie über einen Bekannten zum Rennrollstuhlsport und mit dem Sport kommen auch die Perspektiven zurück in ihr Leben. „Ich habe einmal trainiert und das war, als hätte es einen Schalter umgelegt. Plötzlich ging es aufwärts“, erinnert sie sich. Rennrollstuhl fährt sie wegen eines Bandscheibenvorfalls in der Halswirbelsäule nicht mehr. Heute ist das Handbike ihr ständiger Begleiter.
Wenn Abele sich aus ihrem Rollstuhl in das Handbike hebt, spannen die Oberarmmuskeln unter ihrem gelben Trikot. Handschuhe überstreifen, Helm auf, kurz die Pulsuhr checken und los geht’s durch die Hüttlinger Innenstadt, am Kocher entlang Richtung Abtsgmünd. In der Vorbereitungszeit für die Wettkampfphase rauscht die Landschaft dann bei Geschwindigkeiten von 30 Kilometer pro Stunde an ihr vorbei – und das 20 bis 30 Kilometer lang.
Seit Dezember fährt Abele im Sinsheimer „adVida-Handbike-Team“. Als eine von zwei Frauen unter 18 Männern. „Im Team zu fahren hat viele Vorteile. Im Rennen können wir uns unterstützen“, so Abele. Im Windschatten eines anderen Fahrers spart sie 20 Prozent ihrer Kraft. Einzelkämpferin ist sie trotzdem. Ein Mannschaftssport wie Rollstuhlbasketball kam für sie nie in Frage. „Wenn ich beim Handbiken einen Fehler mache, dann ist das einzig und allein mein Fehler, damit kann ich besser umgehen“, erklärt sie.
Kraft und Ausdauer
„Außerdem ist es mir sehr wichtig, beim Sport draußen in der Natur zu sein“, beschreibt Abele die Faszination Handbike, „aber auch die Kombination aus Kraft und Ausdauer.“ Denn die Fitness, die sie sich beim Training erarbeitet, kommt ihr auch im Alltag mit dem Rollstuhl zugute.
Einen festen Trainingsplan verfolgt die Handbikerin nicht. „Als Querschnittsgelähmte ist jeder Tag anders, ich muss auf meinen Körper hören“, sagt Abele, „und dann gibt es natürlich einfach Tage, da muss ich mir ganz schön in den Hintern treten.“ Wenn der Kocher dann aber neben ihr plätschert und der Wind ihr die Neckereien der Nachbarn hinterher trägt, hat sich das Losfahren noch immer gelohnt.
Wie schnell Kerstin Abele mit ihrem Handbike unterwegs ist, sehen Sie im Video auf www.schwaebische.de/Abele
In unserer Serie „Übern Tellerrand“ blicken wir über eben diesen und stellen Sportarten vor, die sonst weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Wenn Sie auch eine eher unbekannte Sportart ausüben, melden Sie sich gerne in der Redaktion unter
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