1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Schulz wählt bewährte Schiene: Im Festzelt nichts Neues

Von Christian Bartlau, Vilshofen

Viel Hype um wenig: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz begeistert beim Politischen Aschermittwoch die Genossen im Festzelt, bietet viel Gefühl - aber wenig Inhalte. Der angekündigte Meilenstein für den Wahlkampf ist es nicht.

Für einen kurzen Moment roch es nach Revolution, als würde Angela Merkel noch heute aus dem Amt geputscht, von einem Dutzend entschlossener Jusos. "Hoch die internationale Solidarität", skandierten sie, ein alter Schlachtruf, den man heute eigentlich nur noch auf Demonstrationen der radikalen Linken hört. Er verhallte schnell.

Eine Revolution hat sich ohnehin niemand vom Politischen Aschermittwoch der SPD versprochen, wohl aber ein deutliches Signal für eine Zeitenwende. "Das wird ein Meilenstein für meine Kandidatur", hatte Kanzlerkandidat Martin Schulz am Vorabend seines Auftritts gesagt. Euphorisiert hatte die SPD Bayern vermeldet, das größte Festzelt aller Zeiten sei mit 5000 Menschen komplett belegt, die Warteliste lang. Ein inoffizieller Wahlkampfauftakt sollte es sein, es wurde: ein souveränes Heimspiel ohne Überraschungen.

Der Hype um Martin Schulz, der die Partei aus dem Umfrage-Tal geführt hat, er ist gut sichtbar an diesem Morgen, an dem die ersten Zuschauer schon vor 8 Uhr auf den Einlass warten. Mitglieder der Jugendorganisation Jusos verteilen Buttons mit dem Konterfei von Martin Schulz im Obama-Look, jeder Zweite hier steckt sie an die Jacke. "Er vertritt einfach die Themen, die an der Basis wichtig sind", sagt Andreas Merzbacher. Er kommt aus Gundelsheim in der Nähe von Bamberg und ist gemeinsam mit 70 Genossen aus dem Bezirk angereist, zum ersten Mal brauchten sie einen Doppelstock-Bus. Für Merzbacher ist es schon das vierte Mal, die Atmosphäre fasziniere ihn, sagt er: "Wahlprogramme kann man auch zuhause lesen. Es ist wie beim Fußball: Im Stadion ist es besser als vor dem Fernseher." Auf der Bühne hat die Blaskapelle eingepackt, der Bundestagsabgeordnete Christian Flisek spricht das Grußwort, es dauert lang, sehr lang. Jeder Gewerkschaftssekretär will erwähnt, kein Ortsgruppenleiter ausgelassen werden. Zum Schluss redet Flisek noch über Schwimmbäder, die dringend saniert werden müssen. Noch muss die große Politik warten.

"Seehofer erträgt man nur besoffen"

Wie gut ein Redner beim Politischen Aschermittwoch ankommt, hört man nicht am Applaus. Den zu erheischen, ist kein Kunststück, ein derber Seitenhieb auf den politischen Gegner reicht für gewöhnlich. Florian Pronold, scheidender Landesvorsitzender, weidet die etwas skurrile Äußerung von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer aus, "gefühlt" seien beim Aschermittwoch der Christsozialen mehr Menschen. Er habe so eine Ahnung, warum die CSU sich immer verzähle, sagt Pronold: "Weil man die Rede vom Seehofer nur besoffen erträgt, dann sieht man doppelt."

Die etwas feinere Klinge beherrscht Christian Kern, der sich schmunzelnd als die "Vorband" von Martin Schulz vorstellt. Der österreichische Bundeskanzler redet viel über die Bedrohung von rechts, über die AfD in Deutschland und die FPÖ in Österreich. Im Umgang mit den Rechtspopulisten habe die SPÖ 30 Jahre Vorsprung, sagt Kern. "Und ich kann Euch sagen: Die starten im Tigerkostüm und enden immer als Bettvorleger." Ein Spruch, den selbst Fips Asmussen wahrscheinlich aus Altersgründen aus dem Repertoire gestrichen hat, in der speziellen Atmosphäre des SPD-Klassentreffens aber zündet er. Als Kern fertig ist, springt ein kleiner Junge auf die Bühne, sieben Jahre alt, und schwenkt eifrig ein Fähnchen. Florian Pronold hat den Jungen in seiner Rede eigens erwähnt, unter großem Applaus. Danach saß er neben Kern und Schulz auf der Bierbank in der ersten Reihe. Eine Geschichte, die die Medien lieben. Und deswegen auch eine Geschichte, die die Politiker lieben.

Meinungsforscher Thomas Petersen vom Allensbach-Institut hat kürzlich darüber geschrieben, warum die SPD neuerdings so gut abschneidet in den Umfragen. Seine These: Die "Martin-Schulz-Festspiele" in den Medien tragen einen großen Teil bei. "Wir nennen so etwas Medienecho-Demoskopie", schrieb Petersen. Eine Euphorie, die sich selbst füttert - etwas besseres kann einer Partei nicht passieren. Unter der Hand erzählen SPD-Vertreter in Vilshofen, dass die einfach wartet, wie weit sie auf dem Schulz-Zug kommt, ohne neue Kohlen in den Ofen zu schaufeln. Erst dann beginnt der richtige Wahlkampf.

"Es müssen Änderungen her"

Auch in Vilshofen rollt der Schulz-Zug noch aus, allen Ankündigungen zum Trotz, hier und heute beginne der Wahlkampf. Natürlich ist der Kanzlerkandidat der richtige Mann für dieses Format, ein Wohlfühl-Redner bei einem Wohlfühl-Event. Einer, der die Zuhörer auch mal in den Arm nimmt, wie es Rhetorik-Professor Olaf Kramer im Interview mit n-tv.de ausgedrückt hat. Natürlich ist Schulz ein guter Redner, was man, wie erwähnt, nicht am Applaus erkennt - sondern an der Stille dazwischen. 5000 Menschen lauschen dem Hoffnungsträger der Sozialdemokratie, vereinzelt vernimmt man sogar leise Ordnungsrufe. "Psssssst."

Schulz präsentiert die SPD als Bollwerk gegen die Rechtspopulisten in Deutschland und anderswo, und Europa als Garant des Friedens. "Mit mir", ruft er unter großem Applaus, "gibt es kein Schlechtreden der EU." In diesem Moment ist die EU nirgendwo außerhalb von Brüssel so beliebt wie in Vilshofen. So richtig laut wird es, als er den Gottseibeiuns des Zeltes angreift: Horst Seehofer, der sich gerne mit Feinden der Demokratie wie Viktor Orban schmücke. Pfiffe, Buhrufe, ein leichtes Spiel.

Mehr zum Thema

Die SPD-Anhänger bekommen, wofür sie hier sind - aber kein Stück mehr. Das Manuskript wirkt wie mit Copy and Paste zusammengeschustert. Wenn man es positiv formulieren würde, wäre es ein Best-of, das Schulz zum Besten gibt. Als er sich gegen den Vorwurf verwehrt, er rede das Land schlecht, macht er das mit den altbekannten Bildern, die er schon so oft für die soziale Ungerechtigkeit bemüht hat: Mit der hart arbeitenden, allein erziehenden Mutter, mit den Menschen, die ihre Eltern pflegen müssen und mit der Bäckerei an der Ecke, die mehr Steuern zahlt als Starbucks.

"Endlich sagt mal einer: So passt das alles nicht mehr", sagt Johann Schmidt. Der Kleinunternehmer kommt aus Regenstauf in Nordbayern, wie seine Reisegefährten am Tisch hält er die Agenda 2010 für historisch richtig. "Aber jetzt müssen Änderungen her." Welche, darüber scheint er genauere Vorstellungen zu haben als Schulz selber, vor allem die Eindämmung der Leiharbeit liegt ihm am Herzen: "Ich selber brauche diese Leute, aber eigentlich müsste man die doch besser bezahlen als die regulären Arbeiter." Ein Vorschlag, den man sich im Wahlprogramm von Martin Schulz vorstellen könnte, in einem knackigen Slogan verpackt. Der Politische Aschermittwoch hat gezeigt: Von so einem Programm ist Martin Schulz noch weit entfernt.

Quelle: n-tv.de

Themen
Zum Original