Mut zur Freiheit
Camille Claudel, heute eine der bedeutendsten Bildhauerinnen sowie Rodins Muse und Schülerin, nahm sich die Freiheit, entgegen allen Konventionen ihrer Berufung zu folgen.
Bereits
als Jugendliche ist Camille besessen vom Modellieren. Nicht gerade das, was man
sich von einem Mädchen, geboren 1864, vorstellt. Weder ist es opportun, sich
gestalterisch an Materialien wie Ton oder Stein zu erfreuen. Für zarte
Frauenhände ist vielmehr angesagt, filigrane Spitzen zu häkeln oder luftigen Stoff
zu besticken. Da passen die tonverschmierten Hände und schmutzigen
Arbeitskittel von Camille wenig ins vorgeschriebene Bild. Ebenso wenig ist
vorgesehen, dass ein Mädchen ihre künstlerischen Ambitionen verfolgt statt ihr
Leben auf Familie und Haushalt auszurichten.
Camille beschließt trotzdem, Bildhauerin zu werden. Und zwar bereits mit 13 Jahren; diesem Entschluss bleibt sie bis an das Ende ihres Lebens in Freiheit treu.
Konsequent bis in den Wahnsinn folgt sie ihrem inneren Ruf. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Vater und ihrem Bruder, nicht aber von ihrer Mutter. Mit weiblicher Solidarität kann Camille nicht rechnen, viel zu sehr fürchtet die Mutter um Camilles Anständigkeit und ihren Ruf.
Grenze der Freiheit: Ausbildung
Die erste Grenze der Freiheit erfährt Camille bereits am Anfang ihrer Laufbahn. Wo kann sie studieren? An den öffentlichen Universitäten ist ein Kunststudium für Frauen nicht möglich. Schließlich findet sie die private Académie Colarossi in Paris. Eine der wenigen Kunstschulen, an denen auch weibliche Studierende zugelassen sind. Und wo außerdem Frauen nach nackten Modellen zeichnen dürfen. Etwas ganz und gar Ungehöriges in der schamhaften bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, in der man nicht einmal den eigenen nackten Körper ansehen durfte.
Freiheit in der Liebe?
1883 erkennt Auguste Rodin ihr Talent und nimmt sie als Schülerin auf. Als einzige Frau darf sie beim damaligen großen Bildhauer-Meister lernen. Es bleibt allerdings nicht lange bei dieser Rolle. Camille wird seine Muse ebenso wie seine Geliebte.
Die Geliebte eines wesentlich älteren liierten Mannes zu sein, grenzt Ende des 19. Jahrhunderts noch an einen Skandal. Camille nimmt sich diese Freiheit dennoch und zahlt einen hohen Preis dafür. Denn vor ihrer Familie und in der Öffentlichkeit muss sie ein Doppelleben führen.
Im Inneren hat sie aber wohl trotz all ihrem unangepassten Verhalten gehofft, Rodin würde sich einmal ganz konventionell für sie entscheiden. Denn als sie dafür jahrelang keine ernsthaften Anzeichen sieht, verlässt sie ihn schließlich 1898. Wie sehr die Tatsache, dass sie von Rodin schwanger war, dabei mitgespielt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ebenso wenig gesichert ist, ob sie das ungeborene Kind verloren hat oder abtreiben ließ. Es wäre jedenfalls ein sehr gefährliches und illegales Unterfangen zur damaligen Zeit gewesen.
In der Zeit mit Rodin entstanden viele erotische Paar-Skulpturen, in denen sie ihre aufwühlende Beziehung mit Rodin verarbeitete. Diese Tatsache trug in der Öffentlichkeit nicht gerade dazu bei, ihren Ruf als Frau und Künstlerin zu verbessern. Denn schon wieder nahm sie sich eine Freiheit, die für eine Frau nicht gestattet war. In einer Zeit, wo Frauen häufig noch unter einem Männernamen ausstellten, um überhaupt ernst genommen zu werden, waren erotische Skulpturen von einer Frau so gut wie inakzeptabel. So ist etwa belegt, dass ein interessierter Aussteller sie bat, die brisanten Stellen zu verhüllen.
Finanzielle Freiheit
Nach der Trennung von Rodin kämpft Camille Claudel mit Zähigkeit und Ehrgeiz um ihre künstlerische und finanzielle Unabhängigkeit. Sie mietet für sich alleine ein Atelier, in dem sie auch wohnt, und versucht sich mit dem Verkauf ihrer Skulpturen über Wasser zu halten. Denn ihre Familie entzieht ihr zu dem Zeitpunkt immer wieder die finanzielle Unterstützung angesichts ihres freien Lebenswandels, und von Rodin lehnt sie jegliche Unterstützung ab. Eine Frau hat zur damaligen Zeit nicht alleine zu leben. Und dass sich eine Frau von ihrer eigenen Arbeit ernähren kann, war selten der Fall. Camille setzt sich also in zweierlei Hinsicht über die Grenzen hinweg, die den Frauen damals gesteckt wurden. Es gelingt ihr allerdings mehr schlecht und recht sich selbst zu erhalten, sodass sie zuletzt verwahrlost und wie die KunsthistorikerInnen meinen, verrückt wird.
Wie sehr aber war sie wirklich wahnsinnig? Oder wie sehr war sie bloß eine Frau, die sich nahm, was sie für ihre künstlerische Berufung brauchte und damit die Grenzen des Normalen sprengte? Kunst bedeutet nun einmal Freiheit. Hat Camille nur dafür gesorgt, dass sie ihre Kunst leben kann und damit nicht entsprochen? Oder ist sie schließlich am gesellschaftlichen Korsett zerbrochen, das sie als Künstlerin und als liebende Frau erlebt hat?
Ende eines Lebens in Freiheit
Als ihr Vater stirbt, ist für ihren Bruder die Bahn frei, „die Verrückte“ wegzusperren. So verbringt Camille Claudel ihre letzten 30 Jahren in völliger Unfreiheit: hinter den Gittern einer psychiatrischen Anstalt. Dort hat sie nie wieder künstlerisch gearbeitet. Für eine Frau, die für ihre künstlerische Berufung vieles auf sich nahm, ein Skandal.