"Drei Wochen war ich physisch an meiner neuen Schule, dann kam der erste Lockdown und alle mussten nach Hause, digital unterrichten. Mir blieb kaum Zeit, meine 200 Schülerinnen und Schüler persönlich kennenzulernen. Auch zu den Kolleginnen und Kollegen hatte ich noch keine engen Kontakte geknüpft. Wenn ich zu Hause saß und mit einer Aufgabe nicht klarkam, traute ich mich nicht, sie anzurufen. Obwohl ich gerade mit meiner achtjährigen Ausbildung fertig war, fühlte ich mich wieder wie ganz am Anfang: total überfordert.
"Es ist echt schwer, dem momentanen Druck über Monate standzuhalten."
Im Dezember 2019 habe ich mein Referendariat mit dem zweiten Staatsexamen abgeschlossen. Zum darauffolgenden Halbjahr bekam ich eine Planstelle als Deutsch- und Geschichtslehrerin an einem Gymnasium in Bayern. Als junge Lehrerin so schnell verbeamtet zu werden - und dann auch noch mit meiner Fächerkombi - ist eher selten. Auch deswegen möchte ich in der aktuellen Krise mein Bestes geben. Aber es ist echt schwer, dem momentanen Druck über Monate standzuhalten.
Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern leidet in der Pandemie
Anfang März musste ich mir über ein einziges Wochenende das Unterrichten über Mebis beibringen, so heißt die digitale Lernplattform, die wir in Bayern für den Onlineunterricht benutzen sollen. Keiner von uns wurde im Studium auf diese Art von Unterrichten vorbereitet. Schon in den ersten Wochen wurde Mebis gehackt und macht seitdem nur Probleme. Ich bin mit der Digitalisierung groß geworden, aber das hat selbst mich überfordert. Um durchzuhalten, sage ich mir immer wieder: Wenn du das hier überstehst, kann dich nichts mehr umhauen.
Wertschätzung ist wichtiger als Geld
"Es ist eine Frechheit, damit zu argumentieren, dass Unterricht in der Coronakrise ›ausgefallen‹ sei."
Zurzeit wird viel über die Probleme der Schüler und Eltern in der Coronakrise diskutiert. Aber auch wir Lehrer sind am Limit. Unser Kultusminister hat jetzt endlich beschlossen, die Anzahl der Schulaufgaben und damit den Notendruck in diesem Schuljahr zu reduzieren. Dass die Faschingsferien gestrichen werden sollen, empfinde ich allerdings als persönliche Beleidigung. Es ist eine Frechheit, damit zu argumentieren, dass Unterricht in der Coronakrise ›ausgefallen‹ sei. Es sind faktisch nur zwei Schultage vor Weihnachten weggefallen, den Rest haben wir durchgearbeitet.
Auch von Freunden höre ich immer wieder blöde Sprüche - nach dem Motto: ›Cool Tessa, die Schulen haben zu, dann hast du jetzt ja noch mehr Ferien.‹ Das Bild, das über Lehrer vermittelt wird, entspricht einfach nicht der Realität. Normalerweise arbeite ich 50 Stunden die Woche, seit Corona sind es bestimmt zwei Stunden mehr pro Tag. Eine Aufwandsentschädigung wie die viel diskutierte Corona-Prämie für Schulleiter und Lehrer habe ich dafür nicht bekommen. Mit rund 3600 Euro netto verdiene ich aber sowieso schon gut. Statt Geld würde ich mir mehr Wertschätzung für meinen Beruf wünschen - gerade jetzt.
Das Schlimmste ist der Wechselunterricht
An das digitale Unterrichten habe ich mich inzwischen gewöhnt. Wovor ich regelrecht Panik habe, ist die Rückkehr zum Wechselunterricht. Vor Weihnachten lief es an meiner Schule nämlich so: Die eine Hälfte der Klasse, also 15 Schüler, saßen vor mir im Klassenzimmer; die andere Hälfte war über den Computer zugeschaltet. Während ich unterrichtete, musste ich also die Tafel und mich live streamen. Im Klassenraum präsent zu sein, aber auch die Bildschirme ständig im Auge zu behalten - meldet sich jemand, hat jemand Rückfragen? -, das war anstrengend. Wenn Mebis abstürzte, mussten wir auf Microsoft Teams ausweichen oder E-Mails schreiben. Wenn auch noch das Internet hakte, blieb nur noch das private Telefon.
An meiner Schule gibt es Akademikerkinder mit iPad und eigenem Laptop, mit ihnen habe ich auch von zu Hause regelmäßig Kontakt. Mit denjenigen, die keinen eigenen Computer haben, schlechtes Internet oder insgesamt weniger Unterstützung, ist es schwieriger. Die bleiben manchmal tagelang dem Videounterricht fern. Ich rufe dann bei ihnen zu Hause an - solange, bis ich jemanden erreiche. Die Situation zermürbt mich, weil ich das Gefühl habe, meiner Fürsorgepflicht schlechter nachkommen zu können.
Ich möchte junge Menschen inspirieren und sie ein Stück weit beim Erwachsenwerden begleiten, deshalb bin ich Lehrerin geworden. Über die Distanz ist das sehr schwierig.
"Die Anerkennung der Schülerinnen und Schüler ist, was meiner Arbeit ihren Wert gibt."
Von Anfang an habe ich mir viel Zeit für meine Schüler genommen und nicht aufgehört zu fragen: Wie geht es euch? Was kann ich tun, um die Situation erträglicher zu machen? Sie respektieren mich, weil ich ihre Anliegen ernst nehme. Im Sommer haben sie mich sogar zu ihrer neuen Vertrauenslehrerin gewählt. Darauf bin ich mächtig stolz. Die Anerkennung der Schülerinnen und Schüler ist, was meiner Arbeit ihren Wert gibt.
Klar habe ich mir den Einstieg in meinen Traumberuf anders vorgestellt, aber ich kann der Situation auch Positives abgewinnen. Zum Beispiel hat die Coronakrise mich letztlich mit meinen neuen Kolleginnen und Kollegen zusammengeschweißt. Lehrer sind normalerweise keine Teamplayer, aber im letzten Jahr kam es oft vor, dass vor allem ältere Kollegen bei mir an die Klassenzimmertür klopften und fragten: ›Tessa, kannst du mal kurz auf meinen Computer gucken?‹ Junge und alte Lehrer begegnen sich seit Corona mehr auf Augenhöhe."
* Die Protagonistin möchte anonym bleiben, ihr Name ist der Redaktion bekannt.
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