Caritas international: Wie kam es zu Ihrem Corona-Einsatz in Armenien?
Das war eigentlich Zufall. Anfang Juli hat mir ein Kollege, Dr. Titz vom Caritas-geführten Marien-Hospital in Erftstadt, eine E-Mail geschrieben. Über Caritas international hatte er gehört, dass dringend Notärzte für einen Hilfseinsatz in Armenien gesucht werden. Ein Team aus Rettungsspezialisten der Hilfsorganisation I.S.A.R. stand bereits in den Startlöchern. Allerdings hatten die noch nicht genug Ärzte an Bord. Als die Mail in meinem Postfach gelandet ist, habe ich kurz überlegt - und mich mit meiner Frau besprochen. Eigentlich wusste ich aber sofort: Da bin ich dabei! Das ist wie ein Reflex in meinem Beruf als Notarzt: Die Motivation anderen zu helfen, ist einfach immer da.
Ci: Wie haben Sie sich auf den Einsatz vorbereitet?Unser Team war top ausgerüstet. Wir waren 15 Fachkräfte. Sechs Notärzte wie ich, vier davon kamen über den Kontakt durch Caritas international. Aber mit dabei waren auch Ingenieure, Intensivpfleger, ein Atemtherapeut und ein Chemiker - den haben wir als Fachmann für Hygienekonzepte besonders gebraucht. Unser medizinisches Material, das wir mit einem Flieger der Bundeswehr nach Armenien transportiert haben, hat ein komplettes Hotelzimmer bis unter die Decke gefüllt. Sogar ein klappbares, mobiles Röntgengerät hatten wir mit dabei. Wir wollten für alle Fälle gewappnet sein. Auch wenn wir vorher durch die I.S.A.R. Germany geschult wurden, wussten wir ja nicht genau, was uns in Armenien erwartet und wo unsere Hilfe am dringendsten benötigt wird.
Ci: Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?Wir haben uns in Gruppen aufgeteilt und insgesamt vier Krankenhäuser besucht. Dort war die Lage, zumindest in der Hauptstadt Jerewan, weniger kritisch als erwartet. Die armenischen Klinken sind vergleichsweise gut ausgestattet. Allerdings hatte man bei Ausbruch der Corona-Pandemie nicht genügend Zeit, um sich auf die erste Welle vorzubereiten. Das System ist stark belastet. Als wir ankamen, waren die Klinken in Jerewan teilweise bis zum Anschlag voll mit COVID-19-Patienten. Man hatte sogar reine COVID-Krankenhäuser eingerichtet, um so die Infizierten von anderen Patienten zu trennen und eine weitere Durchseuchung der Krankenhäuser zu verhindern. Es gab auch eine eigene Telefonleitstelle, um all das zu koordinieren.
"Die armenischen Kolleginnen und Kollegen haben Tag und Nacht gearbeitet, teilweise nur drei Stunden pro Nacht geschlafen - und das oft in der Klinik, fernab von ihren Familien."Ci: Hört sich so an, als sei alles unter Kontrolle gewesen?
Niclas Puschner, Notarzt
Die armenischen Kollegen haben in der Tat schnell und besonnen reagiert. Allerdings hat das nur funktioniert, weil alle im Krisenmodus waren. Die Zustände, die ich in Jerewan erlebt habe, sind in keiner Weise mit unseren hier zu vergleichen! Die armenischen Kolleginnen und Kollegen haben Tag und Nacht gearbeitet, teilweise nur drei Stunden pro Nacht geschlafen - und das oft in der Klinik, fernab von ihren Familien. Die Leiterin der Klinik, in der ich eingesetzt war, hat berichtet, sie habe ihre beiden Töchter seit drei Monaten nicht gesehen. Noch beeindruckender fand ich allerdings die Tatsache, dass teilweise völlig fachfremde Ärzte plötzlich Corona-Patienten behandelten. Auf einer infektiologischen Station, beispielsweise, wurde uns eine Ärztin vorgestellt, die den ganzen Tag nichts anderes gemacht hat, als Corona-Patienten medikamentös einzustellen und Thorax-Röntgen-Bilder zu befunden (Röntgen des Brustkorbs, Anm. d. Redaktion). Irgendwann hat die Kollegin dann zu erkennen gegeben, dass sie eigentlich Fachärztin für Augenheilkunde ist. Sie hatte nur wenige Wochen Zeit, um sich in eine Materie einzuarbeiten, für die Andere semesterlang studieren. Das haben wir alle sehr bewundert! Die armenischen Kollegen, die ich kennengelernt habe, waren alle sehr mutig und solidarisch ihrem Volk gegenüber. Alle haben mitangepackt. Leider sind aber auch sehr viele, ähnlich wie in Norditalien, selbst an Corona erkrankt. Teilweise bis zu 50 Prozent der Belegschaft eines Krankenhauses.
Ci: Was konnten Sie und Ihr Team vor Ort bewirken?Wir haben zum Beispiel gemerkt, dass der korrekte hygienische Ablauf einer Pandemie-Bekämpfung noch nicht zu allen armenischen Kollegen vorgedrungen war. Hier konnten wir zum Beispiel sehr viel bewirken - indem wir den Kollegen nochmal klar gemacht haben, dass der Schlüssel zu unserem Erfolg in Deutschland unter anderem daran lag, dass wir rigoros strikteste Hygiene-Regeln eingehalten haben. Natürlich ist bei so einem Vorstoß Diplomatie gefragt. Aber die armenischen Kollegen haben unsere Vorschläge angenommen und sehr schnell umgesetzt. Schon nach 48 Stunden habe ich deutliche Verbesserungen in der Klinik bemerkt. Ich glaube aber auch, wir als deutsches Team hatten einen charmanten Vorteil: Wir gehören zu den Ländern, die mit am meisten von Corona verschont worden sind.
Mit im Gepäck: Eine große Portion Demut
Die Wahrnehmung in der Welt ist: die Deutschen, die haben es geschafft. Auf die sollten wir hören! Später haben wir erfahren, dass Teams aus anderen Ländern ein deutlich schwieriges Standing bei den armenischen Kollegen hatten als wir.
Ich habe aus Armenien vor allem eines mitgenommen: Eine große Portion Demut. Erst in Armenien habe ich, um ehrlich zu sein, verstanden, oder besser gefühlt, was für eine trügerische Krankheit COVID-19 ist. Die Einblicke dort auf den großen Intensivstationen haben sich mir eingebrannt. Es kann jeden treffen! Wir in Deutschland hatten einfach auch sehr viel Glück, dass wir uns nach den Ausbrüchen in Italien und Spanien auf das Schlimmste vorbereiten konnten. Dieser zeitliche Vorteil hat den Armeniern gefehlt. Durch meinen Einsatz in Armenien konnte ich viele wertvolle Informationen über die Krankheit sammeln, die ich dann zurück in Deutschland mit meinen Kollegen geteilt habe.
Ci: Herr Puschner, was braucht es für den erfolgreichen Kampf gegen die Corona-Pandemie?Für mich hat der Einsatz in Armenien nochmal bewiesen: Corona ist eine globale Bedrohung, die globale Lösungen braucht. Und nicht nur die Politiker, Forscher und Virologen, sondern auch wir Ärzte - jeder, der in Kliniken und dem Gesundheitssystem arbeitet, - müssen uns bemühen, über alle Grenzen hinweg Informationen zu teilen, voneinander zu lernen und uns gegenseitig zu unterstützen. Und das auf Augenhöhe! Nur so können wir die Pandemie besiegen.
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