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Amazon-Retouren: Warum gibt es Erstattung ohne Rücksendung?

Amazon-Paket: „Bei Bedarf ergreifen wir Maßnahmen.“ (Foto: Getty Images)

Retouren sind für Onlinehändler wie Amazon teuer, manche Produkte wollen sie daher gar nicht erst zurückhaben – erstatten den Kaufpreis aber trotzdem. Aber Vorsicht: Bei zu vielen Rücksendungen sperrt dir Amazon das Konto.    

Ich besitze eine Lampe aus Argentinien, für die ich einen Adapter bei Amazon bestellt habe. Leider den falschen. Für den argentinischen Stecker ist er zu schmal. Macht nix, denke ich mir und stecke den Adapter zurück in die Verpackung. Retoure. Auf Amazon gebe ich an, dass ich den Artikel zurücksenden möchte. Der Grund: „Irrtümlich bestellt“. Mein Fehler also.


Amazon-Retouren: Warum gibt es Erstattung ohne Rücksendung?

Gekaufte Artikel von Orange-Autorin Charleen: Zweimal erstattet Amazon den Kaufpreis, ohne die Ware zurückzufordern. (Foto: Screenshot)

Die Antwort kommt prompt direkt auf dem Portal. „Sie müssen diesen Artikel nicht zurücksenden. Ihre Gutschrift wurde veranlasst.“ Ungläubig starre ich auf den Bildschirm. Bitte was? Ich muss den Artikel nicht zurücksenden? Nein. Und mein Fall ist keine Ausnahme.

Dazu muss man wissen: Wenn wir etwas im Internet bestellen und als Retoure zurückschicken, ist das bei den meisten großen Händlern kostenlos. Doch die Unternehmen selbst kostet die Retourenflut viel Geld. Bei Amazon lassen sich Produkte innerhalb von 30 Tagen zurückschicken.


Amazon-Retouren: 10 Euro Kosten pro Sendung

Laut einer Studie des EHI-Instituts zahlen Onlinehändler pro Rücksendung etwa zehn Euro. Das liegt zum einen an den Versandkosten und zum anderen an einer aufwendigen Prüfung der zurückgeschickten Waren. Und die Daten-Analysefirma Appriss hat ermittelt, dass allein die US-Einzelhändler im vergangenen Jahr 351 Milliarden Dollar Einnahmen durch Rückgaben verloren. Macht mehr als 11.000 Dollar pro Sekunde. Tick. Tack. Weg.

„Da manche Händler bei bestimmten Artikeln ganz auf die Neuvermarktung verzichten, bittet konsequenterweise fast ein Drittel der Händler seine Kunden teilweise sogar, einzelne Artikel gar nicht zurückzusenden“, sagt EHI-Expertin Hilka Bergmann.


Denn eine Rücksendung von Artikeln, die ohnehin nicht aufbereitet und wiedervermarktet werden können, würde unnötige Kosten verursachen. Dazu gehört anscheinend auch der Adapter, den ich bei Amazon bestellt habe. Ihn zurückzuschicken würde Amazon oder den Zwischenhändler womöglich mehr kosten als er wert ist.

Der größte Aufwand bei Retouren bestehe darin, die zurückgeschickten Artikel zu prüfen. Kleidung etwa müssen speziell geschulte Mitarbeiter an mehreren Stellen auf Gebrauchsspuren untersuchen, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Elektronikgeräte müssen komplett getestet werden: Funktionieren sie noch richtig? Erst dann geht’s zurück ins Sortiment. Die befragten Händler geben die Kosten für die Prüfung einer Retoure im Durchschnitt mit zehn Euro an.


Retouren kosten nichts? Manche Händler ändern bereits ihre Rückgabebedingungen

Wenn du zum Beispiel eine Hose zurücksendest, landet sie zunächst in einem Zwischenlager. Dort öffnen die Mitarbeiterinnen das Paket und untersuchen die Hose auf Flecken und Gebrauchsspuren. Dann entscheiden sie, ob der Händler die Hose weiterhin als neuwertiges Produkt verkaufen kann. Wenn nicht, wird sie aussortiert und geht an Restpostenhändler. Manche Produkte werden aber gar nicht erst neu vermarktet.


Geschenkt: Für diese Produkte von Amazon musste ich keinen Cent bezahlen.


Ein paar Tage nach meiner Bestellung später landen die 4,98 Euro für meinen Adapter tatsächlich auch wieder auf meinem Konto. Andere Kunden machen ähnliche Erfahrungen. Ein Nutzer schreibt in einem Online-Forum, er habe über Amazon einen Heimtrainer im Wert von 400 Euro gekauft. Die Mechanik funktionierte, allein der Computer sei defekt gewesen. Zurückhaben wollte Amazon den Trainer aber nicht. Er könne das Gerät behalten oder entsorgen, hieß es von Amazon.


Selbst entsorgen oder behalten: den Heimtrainer will Amazon nicht zurück (Foto: Screenshot)


Bei zu vielen Retouren sperrt Amazon Nutzerkonten

Eine ähnliche Erfahrung machte Daniele, den ich bei meiner Recherche in einer Amazon Facebook-Gruppe kennenlerne. Die Schrauben, die Daniele bestellt hat, waren dagegen voll intakt. Das einzige Problem: Er hatte die falschen bestellt, sie waren ihm zu klein. Trotzdem gab der 25-Jährige als Grund für die Rücksendung an, das Produkt entspreche nicht der Beschreibung auf der Website.

Danieles Bestellung bei Amazon: Diese Schrauben im Wert von weniger als zehn Euro bekam er geschenkt. (Foto: Screenshot)


Denn: „Je nachdem, welchen Grund man angibt, muss man die Kosten für die Rücksendung sogar selbst tragen“, erklärt der bekennende Online-Shopper. Seit acht Jahren kauft er schon bei Amazon. Dass Amazon Produkte im Wert von über 20 Euro nicht zurückhaben will, ist selten. Ist ein Produkt aber defekt oder übersteigen die Kosten für Versand und Produktprüfung den Wert eines Produkts, verzichtet Amazon häufiger auf die Rücksendung, so die Erfahrungen der Nutzer.


Aber Vorsicht: Amazon lässt sich nicht betrügen und sperrt bei zu vielen Rücksendungen kurzerhand das Konto, wie Der Guardian berichtete. Kunden, die häufig gekaufte Produkte zurücksenden, schickt Amazon Mails: „Wir freuen uns über Ihr Interesse an unserem Angebot. In den letzten Monaten haben Sie jedoch eine außergewöhnlich hohe Anzahl der bestellten Artikel wieder an uns zurückgesendet“, hieß es in einer Mail an einen Kunden.


Zu viele Retouren bei Amazon? „Bei Bedarf ergreifen wir Maßnahmen“

72 Bestellungen habe er in diesem Jahr gemacht, zehn Produkte davon gingen wieder an Amazon zurück. Das könne darauf hindeuten, dass der Kunde mit dem Einkaufserlebnis unzufrieden sei, heißt es in der Mail weiter. Dann bittet Amazon den Kunden um ein Feedback. Hinter den versöhnlichen Worten steckt eine deutliche Warnung: Dein Kaufverhalten hat Konsequenzen.


Auf meine schriftliche Anfrage, in welchen konkreten Fällen der Onlinehändler keine Rücksendung verlangt, will Amazon keine Antwort geben. Auch zum Sperren von Nutzerkonten im Fall eines Missbrauchs äußert sich Pressesprecher Tobias Goerke nur verhalten: Es gäbe seltene Fälle, in denen jemand den Service über einen längeren Zeitraum missbrauchen würde.


Ab wie vielen Rücksendungen Amazon aber von Missbrauch spricht, ist nicht klar. In diesem Fall, heißt es weiter in dem Statement, „ergreifen wir bei Bedarf Maßnahmen.“  Also im Klartext: keine Bestellungen mehr, kein Amazon Prime und auch keine Kindle-Bibliothek mehr. Das Konto wird gesperrt.


Vor zwei Jahren hatte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalens gegen dieses Vorgehen geklagt und vor dem Oberlandesgericht Köln Recht bekommen. Wenn das Konto gesperrt wird, muss der Nutzer weiterhin Zugriff auf seine bereits bezahlten Produkte haben. Dazu zählen eben E-Books, Musik und Filme.


Wie kulant ist Amazon?

Daniele hat keine Angst, dass Amazon sein Konto wegen zu vieler Rücksendungen schließen könnte. Er ist Stammkunde und will den Onlinehändler nicht betrügen: „Ich will die Sachen ja wirklich zurückgeben.“

Seiner Meinung nach ist Amazon der kulanteste Händler überhaupt. „Wenn du auf Amazon etwas kaufst und damit nicht zufrieden bist, schreibst du der Service-Abteilung und bekommst entweder eine Rückerstattung oder eine Rücksendemöglichkeit.“


Amazon kennt unsere Wunschlisten, inspiziert unseren Einkaufswagen und notiert sich ganz genau, wie oft wir reklamieren und zurückschicken. Anhand all dieser Daten hat der Onlinehändler einen ziemlich guten Eindruck von meinem Kaufverhalten. Mit jedem Klick durchleuchtet Amazon uns, sich selbst lässt das Online-Kaufhaus jedoch selten in die Karten blicken, wie meine Recherche zeigt.


Kommt die irrtümliche Bestellung ein paar Mal vor, drückt der Onlinehändler vielleicht ein Auge zu, beim zehnten Mal muss ich die Rücksendung vielleicht selbst zahlen, im schlimmsten Fall schmeißt Amazon mich raus. Das wäre dann das Hausverbot beim größten digitalen Kaufhaus.

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