Neulich in einem Grillrestaurant, Familienbestellung am Nebentisch
Vater: "Sucht euch alle was aus, heute zahle ich."
Teenagersohn: "Was für ein Steak ist denn ein Ladies Cut?"
Mutter: "Ich glaub, das ist das Gleiche wie ein Gentlemen's Cut, nur etwas kleiner."
Sohn: "Ach so ... bin ich jetzt 'ne Lady, wenn ich 'nen kleines Stück Fleisch esse, oder was."
Kellner kommt.
Kellner: "Was darf's denn sein?"
Teenagertochter: "Für mich das große Steak bitte."
Kellner (zieht die Augenbrauen hoch): "Sie meinen den Gentlemen's Cut?"
Vater (stolz zur Tochter): "Schau mal, was du für einen Appetit entwickelt hast!"
Mutter: "Für mich nur die Fitness-Pfanne."
Vater (klopft Sohn auf die Schulter): "… und ein Ladysteak für den jungen Gentleman hier."
Ob Ladysteak und Gentlemen's Cut, Skinny Bitch und Herrengedeck: Gegenderte Angebote finden sich auf Speise- und Getränkekarten immer mal wieder. Meistens haben sie eines gemeinsam: Essen, das weiblich bezeichnet oder gelesen wird, ist kleiner und leichter, weniger fettig und oft kalorienreduziert. Männlich konnotiertes Essen ist im wahrsten Wortsinn mächtiger, also größer, schwerer, deftiger. Hinter solchen Begriffen verbirgt sich mal wieder die traurige Erkenntnis, dass an Frauenkörper immer noch andere Maßstäbe angelegt werden als an Männerkörper. Frauen sollen schlank sein und dafür weniger und leichter essen — und letztlich weniger Raum einnehmen. Männer sollen groß und stark sein – sie dürfen und sollen sogar Raum einnehmen. Das extragroße Steak? Völlig okay, sich was zu gönnen. Ein Mann, der sich vegan ernährt? Pussy!
300 Gramm Männlichkeit
Insbesondere Fleisch gilt bis heute als traditionell männlich, auch, weil wohl kein anderes Produkt stärker assoziiert wird mit dem archaischen Kraftprotz, der seine Zeit zwischen Jagen, Feuermachen und Sich-auf-die Brust-Trommeln aufteilt. Besonders männlich? Das Cowboy-Steak, in dem noch ein Knochen steckt. Selbst im Jägerschnitzel überlebt, wenn nicht der eigene Jagdinstinkt, so doch eine Zeit, in der Diäten Gehaltschecks für Männer mit politischen Machtpositionen waren und für Frauen Ohnmachtsanleitungen in Illustrierten. Geschlechterrollen? Zumindest auf Menükarten klar binär definiert. Nur konsequent, dass als Gegenstück zum Fleisch der leichtere Fisch und das Gemüse als bekömmliche, feminine Lebensmittel gelten. Dafür braucht man nicht mal derbe Sprachbilder, es geht auch subtiler: Wenn am Tisch jemand gedämpften Fisch mit Gemüse bestellt und jemand anderes das 300-Gramm-Steak, kann man sich sicher sein, welcher Teller automatisch der Frau hingestellt wird und welcher dem Mann. Dasselbe gilt für Bier und Weißweinschorle.
Interessant ist, dass ausgerechnet beim Fleisch überhaupt verschiedene Größen angeboten werden — mal abgesehen von Kinder- oder Seniorentellern gibt es das bei keinem anderen Gericht. Der männliche Hunger ist Standard, die Frau wird zum Sonderfall. Sie braucht ein Angebot, das auf ihr Anderssein zugeschnitten ist. Das normale Steak ist für den normalen Menschen: den Mann. Da dürfte es kaum jemanden wundern, dass Männer in Deutschland im Durchschnitt täglich etwa doppelt so viel Fleisch- und Wurstwaren verzehren wie Frauen.
Noch getoppt wird das beim ebenfalls für Männlichkeit stehenden Bier: Sechsmal so viel wie die Damen trinken davon die Herren. Dass ein Herrengedeck aus Schnaps und Bier besteht, was bekanntlich nicht nur trunken macht, sondern laut Volksweisheit auch eine Mahlzeit ersetzt: Auch das passt ins Bild. Laut einer US-amerikanischen Studie gelten wiederum Frauen, die das kalorienreiche Bier trinken, als unweiblich und sexuell verfügbar. Ein "weiblicher" Drink? Wie wäre es mit dem Longdrink Skinny Bitch, der ausschließlich aus Wodka, Wasser und einem Spritzer Zitrone besteht und als besonders zucker- und kalorienarm gilt. Klar, Frauen sollen eben skinny sein. Eine Bitch bleibt die betrunkene Frau aber trotzdem.
Bubbles für die Ladies' Night
Auch hinter Farbtönen verstecken sich oft gegenderte Speisen. Die Yogurette, die Fitnessmaus unter den Schokoriegeln, ist nicht zufällig rosa. Ebenso wie einige der zuckersüßen Prosecco-Produkte, die gezielt ein weibliches Publikum ansprechen. Bei den neuen veganen Süßigkeiten von Katjes, die entweder mit einer weiblichen Heldin, einem friedliebenden Hippie-Jungen oder einem kunterbunten Einhorn beworben werden, schließt sich der Kreis. Letzteres zeigt: Problematisch sind gegenderte Speisen, ob durch sprachliche oder farbliche Zuschreibungen, eben auch, weil schon Kinder durch sie mindestens indirekt verschiedene Essweisen anerzogen bekommen. Mädchen lernen früh, dass Verzicht – nicht nur auf Fleisch – zum Frausein dazugehört. Jungs lernen, dass vegane Gummibärchen zumindest nichts für tobende Racker sind.
Darunter leiden am Ende alle. Denn auch Jungs und Männer werden damit eben in antiquierte Rollenbilder gezwängt, wenn es andersherum als unmännlich gilt, weniger oder kein Fleisch zu essen oder am liebsten Prosecco zu schlürfen. Am besten wäre es, gegenderte Produktzuschreibungen einfach abzuschaffen. Neutrale Farben und Wörter tun es doch auch. Eine kulinarische Faustregel kann man übrigens bei Kindern lernen. Die lautet? "Jeder isst so viel er kann, nur nicht seinen Nebenmann. Und wir nehmen's ganz genau: auch nicht seine Nebenfrau."
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