Lange gesucht und endlich gefunden: In der Serie "Ode an ein Ding" feiern wir jede Woche völlig subjektiv ein Produkt. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 44/2022.
In meiner Familie wird Liebe durch Wärmflaschen ausgedrückt, vielleicht kommt daher meine Obsession. "Ich setz' mal Wärmflaschenwasser auf", ist die Antwort meiner Mutter auf alle kleinen und großen Lebensdimmer, von Liebeskummer über Erkältungen und Arbeitsstress bis zur prekären Lage der Frau. Wenn ich heute meine Eltern besuche und ins Bett gehe, dann weiß ich, dass dort schon jemand eine Wärmflasche platziert hat, die nur auf mich wartet. Ein idealer Partner ist so wie meine Wärmflasche. Oder wie meine Mutter.
Von Anfang September bis Ende Mai ist die Wärmflasche bei mir im Dauereinsatz, denn meine Füße fühlen Kälte weitgehend Kälte-unabhängig. Im Homeoffice stelle ich sie auf ihr ab, denn mit fröstelnden Zehen kann ich nicht denken. Nachts schlafe ich mit der Wärmflasche an den Füßen ein und wache mit ihr im Arm auf. Manchmal binde ich sie mir, quasi als Geborgenheit-to-go, zum Spazierengehen auf den Rücken. Es gibt wenig, was mir selbst bei regelmäßiger Wiederholung so unverzüglich Glücksmomente beschert wie eine frisch gebrühte Wärmflasche. Knutschen vielleicht noch. Oder Rubbellose.
Meine Wärmflasche ist ein Standardmodell aus der Drogerie, mal rot, blau oder pink. Ich verzichte bewusst auf Schonbezüge, für mich kann es nicht heiß genug sein. Sie kostet um die fünf Euro und wird, wenn sie alle paar Jahre kaputtgeht, einfach ersetzt. In meinem Haushalt ist sie damit so etwas wie eine monarchische Herrscherin. Die Wärmflasche ist tot. Lang lebe die Wärmflasche.
In der Süddeutschen Zeitung habe ich gelesen, es sei dumm, " wenn öffentlich affektiertes Wärmflaschen-Dasein zu wenig realem Umdenken" in puncto Energiesparen führt. Das hat mich persönlich verletzt. Für ein frierendes Land sind Wärmflaschen natürlich kein marie-antoinettiger Heizungsersatz. Aber wer so kalt sein will, den Wert einer Wärmflasche in Zeiten der Energiekrise über Preise zu definieren, bitte: Bei einem Strompreis von derzeit etwa 37 Cent/kWh kostet ein im Wasserkocher erhitzter Liter rund 4,4 Cent. Wer wie ich neun Monate im Jahr einmal täglich damit eine Wärmflasche füllt, kommt auf Energiekosten von etwa zwölf Euro im Jahr. Das ist, im Verhältnis zu anderen Freuden wie einem Rubbellos, ein ziemlich fairer Deal.
Über Wärmflaschen gibt es übrigens überraschend wenig Literatur, obwohl sich schon unsere Vorfahren an erhitzten Steinen und Bettpfannen wärmten. Dafür haben wir einen deutschen Hobbywärmflaschenexperten, Günter Holtmann. Seine digitale Datenbank, schreibt er auf seiner Website, umfasse umgerechnet 50.000 Din-A4-Seiten Inhalt rund um die Kulturgeschichte der Wärmflasche. Sein Angebot, diese Datenbank dem hiesigen Stadtarchiv zu übergeben, scheitere bislang an den fehlenden technischen Voraussetzungen zur Archivierung virtueller Daten.
In der Hauptstadt ist man weiter. Auf der Website der Staatlichen Museen zu Berlin finden sich einige Abbildungen historischer Wärmflaschen. Die waren nicht immer rechteckig. Eine sieht aus wie drei aneinander geklebte Kugeln, wie eine Tripple-Faszienrolle für den Nacken oder ein Schaschlikspieß mit Fleischbällchen, nur aus Gusseisen. Da die Wärmflasche kurz nach 1945 zum Einsatz gekommen sei, wäre sie laut der digitalen Objektbeschreibung vielleicht aus alten Munitionsteilen gefertigt worden. Kalte Not macht erfinderisch, denke ich, und dass Menschen zu wärmen sowieso die einzig sinnvolle Benutzung von Waffen ist. Egal, in welcher Jahreszeit.