Wenn der Wind günstig steht, weht einem hier im weitläufigen Industriegebiet in Berlin-Marzahn schon von weitem der Duft von verbranntem Holz entgegen. Es ist ein vertrauter Geruch, harzig und waldig, wie man es von Lagerfeuern kennt. Auf dem Hinterhof eines ehemaligen Archivgebäudes wirft Tobias Beck, 28, gerade einige Holzscheite oben in den rund zwei Meter hohen Schlund eines Feuerturmes und wartet darauf, dass unten heiß glühende Holzkohle heraus plumpst. Glut heißt auf Englisch " ember", genau wie das Pop-up-Restaurant, das Beck hier betreibt. Jede heiße Speise des Menüs wird über der Feuerglut zubereitet.
Seit dem vergangenen Sommer bauen Beck und seine Kollegen, Gastgeber und Sommelier Hatim Zubair, 38, und Souschef Paul Gerber, 26, ihre feurige Outdoorküche an wechselnden Orten der Hauptstadt auf. Einmal pro Woche verköstigen sie die Gäste an einer langen Tafel mit allem, was sie über ihrer eigens hergestellten Holzkohle grillen, backen, räuchern und garen. Mal in ihrem selbst gebauten Ofen nach Infernillo-Vorbild, mal auf einem kleinen Shichirin-Grill. Manchmal, wie jetzt, zünden die Köche auch ein offenes Feuer an, um die eine oder andere Zutat direkt in den Flammen zu rösten. Alles also, wofür man etwas mehr tun muss, als "wie ein Boomer den Gashahn des Weber-Grills aufzudrehen", sagt Beck.
Mit einem herkömmlichen Grillabend unter Freunden oder einem Besuch in einem traditionellen Grillrestaurant hat das, was es im Ember gibt, sowieso wenig zu tun: Statt Nackensteak und Alufoliengemüse stehen auf der regelmäßig wechselnden Karte zum Beispiel Fregola Sarda mit Holzkohleöl, Eigelb und wildem Bärlauch, auf Asche gekohlte Kartoffeln in Salzkruste mit einer Soße aus geräucherten Zitronen oder gebrannter Mandelkuchen. Deutsche Grillkultur? Wird hier höchstens noch zitiert. Das Konzept fällt in die Kategorie Fine Dining, die Speisen des achtgängigen Menüs sind geschmacklich wie die Preise: gehoben.
Die Dinnerserie von Ember ist derzeit nicht das einzige Gastrokonzept, das sich auf das über offenem Feuer oder mit eigens hergestellter Holzkohle spezialisiert. Seitdem die Netflix-Serie Chef's Table aus dem Koch Francis Mallmann, der in Patagonien traditionelle argentinische Grilltechniken im wahrsten Wortsinn wieder aufflammen lässt, so etwas wie einen Feuergott gemacht hat, poppt das sogenannte Wood Fire Cooking oder Open Fire Cooking in Spitzenrestaurants von Singapur über Lissabon bis London auf. Neuerdings auch in Berlin.
Kochen mit offenem Feuer ist eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit. Die Fähigkeit, Feuer zu machen und für sich zu nutzen, hat dem Menschen einen entscheidenden Vorteil in der Evolution verschafft. Aber Arbeiten mit Flammen und Glut in der gehobenen Gastronomie? Das klingt erst einmal so absurd, als wenn Modedesigner verkündeten, ab jetzt nur noch Fellkleider von selbst erlegten Tieren zu verkaufen. Ist aus dem letzten Schrei in den feinen Küchen ein Urschrei geworden?
Man rufe sich bloß die auf Glanz polierten Edelstahlküchen mit ihren hochtechnologischen Utensilien vor Augen. Dort brauchen Köchinnen und Köche nur noch auf ein Display zu tippen, um exakt die Temperatur zu bekommen, die es benötigt, um auf die Millisekunde genau gegarte Gerichte von Sous-vide-Steaks bis zu Molekularsoßen zuzubereiten. Sie gleichen sterilen Lebensmittellaboren, die mit dem, was man als Normalsterblicher unter Kochen versteht, sowieso kaum noch etwas zu tun haben. Zumal in einer Zeit, in der selbst in heimischen Küchen die teureren Kühlschränke automatisch wissen, was wann nachzukaufen wäre, und der Braten in der Röhre selbst nach sich guckt.
Die absolute Kontrolle der Spitzengastronomie steht im Kontrast zur ungezügelten Natur des Feuers, das rußt und kohlt, Dreck hinterlässt und mit seinen Flammen um sich züngelt; dessen enorme Temperaturen schwer zu kontrollieren sind. Beim Team Ember sieht man den Kontrast bereits an ihrer Uniform: Anstelle der sonst so rein weißen Westen und gestärkten Kochhauben tragen sie eine robuste dunkelblaue Workwear-Jacke mit passender Hose. Es ist Kleidung, die zeigt, dass in ihr körperlich hart gearbeitet wird. Kleidung, die vor fliegenden Funken schützt und in der man schwitzen und sich schmutzig machen darf. In der man sich sogar auf die Brust klopfen und stolz ausrufen könnte: "Ich habe Feuer gemacht."
Warum fasziniert die raue Kraft des Feuers plötzlich eine Branche, die sonst so feinmotorisch vorgeht? Starke Kerle, die das Feuer bezwingen: Steht das Aufflammen des archaischen Feuerkochens für das maximale Aufbäumen traditioneller Männlichkeitsbilder in der Spitzenküche, die ohnehin nach wie vor eine Männerdomäne ist?
Es passt ganz gut, dass die Soziologin Jana Rückert-John das Grillen bis heute eng verknüpft mit traditionellen Männlichkeitsbildern sieht. Auch wenn das "bis zu einem gewissen Grad Klischee ist". Dass das Holzfeuerkochen auch in der Spitzengastronomie Anklang findet, wo beispielsweise die Frauenquote von Küchenchefinnen in Sternerestaurants immer noch im einstelligen Prozentbereich herummäandert, wundert sie daher kaum. Zumal es beim Grillen oft um den Konsum von Fleisch geht - und der ist ebenfalls männlich konnotiert.
Auf den ersten Blick scheint das Bild des feuermachenden Urmannes auch auf das Team Ember zu passen. Ob Beck als Kind mal gezündelt hat? Der Koch lächelt verschmitzt und sagt: "Was Rabauken eben so machen!" Ob er sich schon mal verbrannt habe? Beck und sein Kollege Gerber schauen sich an, krempeln die Ärmel ihrer Arbeitsjacken hoch und zeigen fast stolz einige ihrer Narben an Armen und Händen. Bei Gerbers Mutter hätten sie sich anfangs mit Lavendelöl eingedeckt: "Das hilft super bei Verbrennungen." Obwohl die mit der Zeit viel seltener passierten.
Auf den zweiten Blick ist hier aber doch vieles an dem archaischen Bild bloß Klischee. Zum Beispiel das mit dem Fleisch. Beck, der als Quereinsteiger in der Gastronomie landete, lernte sein Handwerk tatsächlich beim Großmeister des Holzfeuerkochens, Francis Mallmann - seines Zeichens so etwas wie die stereotype Verkörperung des archaischen Feuermachers. Nach Argentinien sei Beck jedoch gerade nicht gegangen, "um die fetten Steaks zu braten", sondern um den Umgang mit Feuer und die verschiedenen alten Kochtechniken zu verstehen. Die Karte des Ember zeigt, dass es ohnehin nicht automatisch um Massen von Fleisch gehen muss, sondern dass aus den Flammen auch feine, um die Ecke gedachte Speisen wie eine Soße aus geräucherten Zitronen entstehen können.
(Auszug)
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