Vom Highsein zum Freisein
Model, Sexsymbol, Lebenskünstlerin: Uschi Obermaier spricht über ihren Neuanfang in Europa, das Alter, ihr geliebtes Pfeifchen – und darüber, warum sie keinen Mann mehr will. Interview: Celina Plag
— S-Magazin: Sie sind vor Kurzem an die Algarve
gezogen nach fast 40 Jahren in Los Angeles.Was hat
Sie zurück nach Europa gezogen?
— Obermaier: Mein Bauchgefühl. Auf meine
Intuition konnte ich mich schon immer verlas-
sen. Mir war klar: Ich brauchte ein neues Leben.
Dabei habe ich immer gesagt, ich bleibe bis zum
Ende in meinem Haus in Topanga.
— Was störte Sie an Ihrem alten Leben dort? — Es stagnierte. Und Stagnation bedeutet, nicht zu leben. Los Angeles hat sich verändert, die Stadt ist wahnsinnig teuer geworden, die Leute werden immer aggressiver. Dazu Trump, die Wald- brände – das hat mir Angst gemacht. Und der Verkehr, ich möchte nicht so viel Zeit im Stau verbringen. Die meisten Europäer ziehen zurück, wenn sie älter werden. Ich selbst habe mich nie irgendwo richtig verwurzelt gefühlt, ich bin ein Freigeist. Es war also Zeit für einen Neuanfang.
— In der tiefsten Provinz in Portugal? Warum
nicht etwa in Ihrer Heimatstadt München?
— In Topanga war ich umgeben von wunderbarer
Natur. Ich suchte nach einem Ort mit kalifornischem Klima; Deutschland war da keine Option.
Ich war auch viel zu lange fort. In Portugal hatte
ich Bekannte. Hier ist alles einfacher, wilder, nicht
so glattgebügelt. Ich komme mit Englisch und ein
wenig Spanisch ganz gut durch. Und als ich mein
Haus, umgeben von Obsthainen und Olivenbäu-
men, zum ersten Mal sah, wusste ich: Das ist es.
— Neuanfänge hatten Sie einige in Ihrem Leben.
— Ich hatte schon so viele Leben im Leben! Und ich hatte auch besonderes Glück. Der Krieg war vorbei, als ich geboren wurde. Aids noch nicht da, als ich jung war. In den 60ern und 70ern veränderte sich alles nonstop, auch wir. Eine unglaubli- che Ära, alles schien möglich. Und alles war neu: Mode, Musik, Standpunkte, die Lebensentwürfe. Ich konnte mich neu erfinden, zog nach Berlin, später nach Hamburg. Und reiste viel. Eigentlich war jede Reise wie ein Neuanfang.
— Sie sind, ob als Fotomodell oder privat, viel herumgekommen, Ihr neues Haus ist voller Erinnerungen: eine afrikanische Maske, ein gerahmter Farn aus dem hawaiianischen Regenwald, es läuft marokkanische Musik.
— Ich war immer neugierig auf die Welt. Deshalb habe ich meinen ersten Job als Model für die legendäre Zeitschrift »Twen« überhaupt erst be- kommen: Für ein Shooting in Afrika sagten alle anderen Modelle aus Angst vor der Exotik ab, die Bezahlung war auch nicht gut. Ich hörte »Afrika« – und war sofort dabei! Reisen ist immer Abenteuer. Die Luft riecht anders. Auch später, als ich mit meinem damaligen Partner, dem Bockhorn, im Bus durch Asien gefahren bin, von Land zu Land, von Kultur zu Kultur. Das war aufregend.
— Mit Dieter Bockhorn, damals bekannt aus dem Hamburger Nachtleben, waren Sie mehr als zehn Jahre liiert und haben die Welt bereist.
— Wir waren sogar in Afghanistan, ein tolles Land damals. Manche Frauen trugen Minirock, andere Burka. In der Wüste hörten wir nachts oft die Kamele und Esel der Nomaden an unserem Bus vorbeiziehen. Alles war fremd, neu, wunderbar bunt! Die Frauen waren wunderschön und reich geschmückt – wie aus einem Modemagazin. Deutschland kannte ich nur als ein einziges Grau. Wir brauchten nicht viel. Der Bockhorn hatte sein Café in Eimsbüttel. Und ich habe noch hier und da als Fotomodel gearbeitet.
— Nach Ihrer Modelkarriere waren Sie auch
als Schmuckdesignerin tätig.
— Ja, aber eine Geschäftsfrau war ich nie. Rente bekomme ich auch keine. Aber dadurch, dass
ich mein Haus in LA gut verkauft habe, kann ich
mir alles leisten, was ich will. Ich konnte das neue
Haus nach meinen Wünschen renovieren, eine
Fußboden- und Wandheizung einbauen. Das reicht
mir zum Glück, ich brauche keinen Rolls-Royce.
— Sie leben minimalistisch. Ihre Teller sind bunt zusammengewürfelt. Vor unserem Besuch haben Sie extra Gläser angeschafft, weil sie nur zwei Stück hatten.
— Ich bin genügsam. Geld ist mir nicht wichtig, aber es sollte immer ausreichend da sein. Nur so kann ich frei bleiben. Es gab Zeiten, in denen ich nicht viel hatte. Als der Bockhorn verunglückt war, bin ich bei einem älteren Paar in Los Angeles untergekommen, das mich wie eine Tochter be- handelt hat. Aber ich habe immer den Spruch von John Lennon im Kopf, der sagte, was immer ihm gefällt, kaufe er sofort. Ohne nachzudenken. So wollte ich auch leben. Dazu gehört für mich eine Badewanne mit Blick nach draußen.
— So eine Wanne haben Sie hier in Ihrem neuen Zuhause.
— Hatte ich auch schon in Topanga, von dort
konnte ich auf ein Bergplateau schauen wie in einen Wildtierpark: Es gab Klapperschlangen, Kojoten, Eulen und Habichte. Einige Tiere kamen
bis ans Haus, sie haben gespürt, dass ich ihnen nichts
tue. Die Eidechsen tummelten sich gern auf meiner
Veranda. Kojoten und wilde Hunde sind mir zu-
gelaufen. Einige von ihnen habe ich adoptiert,
Eidechsen sogar dressiert.
— Wie trainiert man eine Eidechse?
— Ich hatte dafür Mehlwürmer gekauft und sie den Eidechsen hingeworfen. Irgendwann haben sie mir aus der Hand gefressen. Ich habe auch mit ihnen gesprochen.
— Was haben Ihnen die Tiere erzählt?
— Sie geben mir Zeichen. Mein Totem-Tier ist zum Beispiel die Eule. Meine erste intensive Begegnung mit einer Eule hatte ich einige Monate nach Bockhorns Motorradunfall. Es war eine dieser California Great Horned Owls, die mich auf einem Waldspaziergang anstarrte. Kurz durch- zuckte mich der Gedanke, ob das der Bockhorn sei. Wir blickten uns tief in die Augen, bis die Eule den Kopf herumdrehte und mir damit signali- sierte: Geh, zieh weiter, lebe dein Leben. Eulen stehen für mich für Neuanfänge. Insofern passte das gut. Mir sind dann noch oft welche begegnet.
— Haben Sie je Angst?
— Nein. Mit dem Bockhorn habe ich die Angst verloren und verstanden: Angst macht nur schwächer. Er hat mir beigebracht, alles, was mich ängstigt, mit den Blicken zu sezieren. Außerdem habe ich ja nun meine Hündin Lulla.
— Brigitte Bardot bezeichneten Sie früher als Ihr Vorbild. Von ihr stammt der Satz: »Meine Jugend und meine Schönheit schenkte ich den Männern. Jetzt widme ich meine Weisheit und meine Erfahrung den Tieren.«
— Schön. Das kann ich gut verstehen. Mit den Männern bin ich durch!
— Warum denn das?
— Jeder Mensch möchte einen Partner, um sein Leben zu teilen. Trotzdem kenne ich nicht viele, die ihr ganzes Leben zusammenbleiben. Die Liebe hat Schattenseiten: Schmerz, Angst, Verlust. Sie ist ein großes Chaos. Es heißt nicht umsonst: Leidenschaft.
— Sagte Keith Richards deshalb über Sie: »Uschi ist das beste böse Mädchen, das ich kenne.«? — Ach, der Keith hat so einiges über mich gesagt. Den Satz von ihm mag ich am liebsten. Zumindest haben alle meine Männer nie ganz aufgehört, mich zu lieben.
— Rainer Langhans, Jimi Hendrix, Keith Richards,
Mick Jagger – war eine große Liebe dabei?
— Der Jimi und der Mick waren eher Affären. Keith
und auch der Bockhorn waren wichtige Männer
für mich. Ein paar Mal habe ich heftig geliebt.
Meinen Traummann habe ich allerdings erst mit
50 getroffen. Es war eine heimliche Liebe über viele
Jahre, er war vergeben. Letztlich hat es nicht funktioniert. Heute bin ich happy und brauche keinen
Mann für ein erfülltes Leben. An den Punkt zu
kommen, mit mir selbst zufrieden zu sein, hat
allerdings Jahre gedauert.
— Vergehen die Gefühle oder altern sie mit?
— Ich kann die Liebe jederzeit abrufen. Wenn ich alte Bilder anschaue, ist das Gefühl wieder da – so fantastisch, herrlich, stark. Von diesen Erinnerungen kann ich zehren. Wenn ich etwa daran denke, wie ich mit dem Mann meines Lebens in Jamaica war. Er sitzt auf der Terrasse, ich liege in der Sonne. Es passiert im Grunde nichts, aber ich schaue ihn an und weiß: Jetzt ist alles per- fekt. Das ist der Moment, den mir keiner nimmt. Aber nothing is forever.
— Glauben Sie, dass jeder Mensch ein Kontingent an Liebe und Leidenschaft hat?
— Absolut! I am loved out. Ich habe alles gegeben, alles erlebt. Wie will man das toppen? Ab jetzt
müsste ich mich wiederholen. Womit wir wieder
bei den Neuanfängen wären: Die Liebe habe ich
gehabt, jetzt ist es eben etwas anderes. Mein Land.
Meine Tiere. Mein Haus. Meine Freunde. Und ein
gutes Essen. Wenn ich schon keinen Sex mehr habe,
dann brauche ich abends was anderes Leckeres.
— Gar keinen Sex?
— Nur mit mir selbst. Das ist eh gut, ich weiß, was ich will. Sowieso ist Sex nicht gleich Sex. Für mich muss Liebe dabei sein. Mit jeder Faser.
— Bis heute bezeichnen Sie Medien wie DER
SPIEGEL als »Sex-Ikone« oder »schönstes Gesicht der Studentenrevolte«. Stört Sie das?
— Anfeindungen stören mich, sind aber selten
geworden. Heute gehen keine Frauen mehr auf
mich los in der Straßenbahn und beschimpfen
mich als Schlampe, weil ich einen kurzen Rock
trage. In den Sechzigern ist das noch passiert. Ich
habe versucht, mir das nicht zu Herzen zu nehmen,
und mir immer das Recht herausgenommen, zu
tun, was ich wollte! Mir ging es um meine Freiheit.
Eine Frau, die in allen Lebenslagen tut, was sie will,
provoziert eben. Auch heute noch. Ich habe das
noch nie verstanden. Es fängt ja schon mit der
Erbsünde an. Dass man in der Religion mit Angst-
und Schuldgefühlen beladen wird, finde ich unfair und habe ich nicht akzeptiert, mit 18 bin ich aus
der Kirche ausgetreten. Ich habe mir nichts auf-
zwingen lassen. Meine Mutter haben die gesellschaftlichen Erwartungen gefesselt, das hat mich geprägt. Ich will, dass es mir gut geht und ich machen
kann, was ich will. Ich bin lieber egoistisch.
— Sie wären also nicht gern Mutter gewesen? Von Dieter Bockhorn waren Sie ja schwanger. — Das Kind habe ich verloren. Darüber war ich sehr traurig. Mit 18 hatte ich auch eine Abtreibung. Im Krankenhaus ließen sie mich für den vor- ehelichen Sex leiden, der Eingriff wurde ohne Betäubung durchgeführt, ich hatte wahnsinnige Schmerzen. Ich glaube, damals ist etwas in mir kaputtgegangen. Trotzdem wäre ein Kind nicht das Richtige für mich gewesen.
— Bereuen Sie etwas?
— Meine Eitelkeit, denn die hat einmal ein Leben gekostet. Der Bockhorn hatte in Indien für mich einen Papagei geschossen. Aus den bunten Federn wollte ich etwas Schönes machen. Später habe ich erfahren, dass Papageien, wenn sie ihren Part- ner gefunden haben, ihr Leben lang zusammen- bleiben. Dass nun ein Papagei wegen mir gestorben ist und der andere alleine war, werde ich mir nie verzeihen. Darüber könnte ich heute noch heulen.
— Sie sind im vergangenen Jahr 75 geworden.
Wie kommen Sie mit dem Alter klar?
— Ich war immer stolz auf mein Alter, auch, weil
alle Lebensphasen wichtig waren. Meine größte
Liebe habe ich in einem Alter gefunden, wo die
meisten Menschen das Thema abschreiben. Da
fing es bei mir erst richtig an. Entsprechend fühlt
sich 75 nicht nach Endpunkt an, im Gegenteil.
Ich möchte nicht irgendwann auf mein Leben blicken und denken, hätte ich doch nur dieses oder
jenes getan. Ich probiere alles aus. Ich möchte
immer enthusiastisch und dankbar bleiben. Wer
dankbar ist, ist gut drauf.
— Experimentieren Sie noch mit Drogen wie früher, als es bei Ihnen zum Frühstück Heroin mit Apfelsaft gab? Den SPIEGEL-Lesern zeigten Sie 1967, wie man einen Joint baut.
— Diese Geschichte hat mich bekannt gemacht. Ein Spaß war das aber nicht. Nachdem sie veröffentlicht wurde, haben mich die Sicherheitsbeamten jedes Mal am Flughafen gefilzt. Ich hatte aber nichts, oder sie haben es nicht gefunden!
— Welche Laster haben Sie noch?
— Drogen nehme ich nicht mehr, ich habe alles, was mich interessierte, ausprobiert. Einiges war schön, aber nicht gesund auf Dauer. Ein Pfeifchen gönne ich mir nach wie vor – irgendwas muss der Mensch ja rauchen. Allerdings konsumiere ich das Gras immer pur. Gras mit Tabak zu mischen, ist wie Champagner mit Wasser zu strecken: barbarisch!
— Auch DER SPIEGEL feiert in diesem Jahr
sein 75. Jubiläum. Wer ist besser gealtert?
— Ich denke, wir sind beide ganz gut durchgekommen – und wissen noch, wie es geht.
— Von Ihnen existieren sehr viele Fotos. Macht es die ständige Konfrontation mit Ihrem jüngeren Selbst schwerer, das Altern zu akzeptieren?
— Bei den alten Bildern denke ich mir meistens: Was hatten wir es schön! Ich bin auch lucky dran, musste nie viel für meine Figur tun. Die Veränderungen des Körpers waren trotzdem schwer zu akzeptieren. Ich war halt eine sehr schöne Frau und habe auch davon gelebt. Aber auch mit 20 hatte ich Tage, an denen ich mich beschissen fühlte. Bei unserem Fotoshooting habe ich meinen Bauch eingezogen und die Arme eher bedeckt. Immer noch wundere ich mich über meine Brüste! Im Alter sind sie plötzlich explodiert – wo das kein Mensch mehr braucht.
— Sie wurden von den großen Modefotografen des letzten Jahrhunderts wie Helmut Newton oder Peter Lindbergh fotografiert. Bei unserer Modestrecke standen Sie vor der Kamera einer Frau. Wie fühlt sich das im Vergleich an?
— Das waren ja früher alles Männer, es ging viel mehr um Sex. Das ist wie ein Flirt für den Moment. Bei diesem Shooting ging es nie drum, mich zum Objekt zu machen, vielmehr um gegenseitige Unterstützung.
— Sie waren zeitweise Deutschlands bestbezahltes Model. Mit Ihren Gagen haben Sie die Kommune 1 durchgefüttert. Unser Shooting sagten Sie direkt zu – ganz ohne Honorar.
— Ich hatte Lust darauf. Wenn ich etwas mache, dann nur, weil ich Spaß daran habe. Alles andere hat für mich noch nie funktioniert.
— In Modestrecken sieht man Frauen Ihres Alters
eher selten. Schmerzt Sie das?
— Sie werden unsichtbar. Aber Gott sei Dank tut
sich da momentan was. Ich selbst bin ein großer
Fan von Patti Smith, bei der Alter keine Rolle zu
spielen scheint. Aber sie hatte auch nie ihres Aussehens wegen Erfolg. Ich ertappe mich leider
selbst manchmal dabei, wie ich bei Frauen denke:
Die sah früher besser aus! Bei Männern hingegen
akzeptiert man Falten. Es heißt, Männer werden
mit dem Alter besser – wie Käse.
— Sie selbst hatten auch Liaisons mit deutlich
jüngeren Männern. Wie schauen Sie auf den alternden Männerkörper?
— Wenn ich jemanden liebe, ist mir ein Bäuchlein
egal. Ich verstehe allerdings nicht die Verzweiflung mancher Frauen in meinem Alter, die unbedingt noch einen Mann haben wollen und sich
mit schlimmen Knackern einlassen, nur damit
einer da ist. Ich hatte Affären mit älteren und
jüngeren Männern, einer war 27 Jahre jünger als
ich. Für eine Weile war das witzig. Bis wir an einen
Punkt kamen, wo ich mich wie seine Mutter fühlte. Wir saßen wie in einem Boot, er zappelte vorne herum. Und ich schimpfte und sagte, pass auf,
du fällst noch ins Wasser! Da wusste ich, dass
funktioniert nicht. Da genieße ich lieber mit
Freunden mein neues Leben.
— Haben Sie für Ihr neues Leben Wünsche?
— Ich würde gerne mal wieder auf Safari gehen. Ich glaube wirklich, dass Afrika die Wiege der Menschheit ist. Das klingt zwar kitschig, aber diese wilden Tiere in Freiheit zu sehen ist einfach unbeschreiblich. Ich will auch Europa entdecken, wenn die Pandemie vorbei ist. Venedig, Rom, Prag. Mehr von Portugal und Spanien sehen. Ich habe viele Freunde und Freundinnen in München, die ich öfter besuchen möchte. Und ich möchte in meinem Garten Aprikosen und Feigen vom Baum pflücken, das ist mein Paradies. Ich hoffe, ich bleibe gesund. Aber selbst wenn ich morgen umfalle: Es wäre okay. Es hat sich alles gelohnt.