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Künstlerin Cemile Sahin zeigt die Menschen, die sie inspirieren / F.A.Z Quarterly

Die gefeierte Künstlerin Cemile Sahin zeigt uns die Menschen, die sie inspirieren.

7. Januar 2021 Fotos: TEREZA MUNDILOVÁ Protokolle: CELINA PLAG


Cemile Sahin, 30, Künstlerin

Es gibt einfach Dinge, an denen man arbeiten muss. Das sind so Sachen wie Identitätspolitik, das wird oft missverstanden, auch von den Deutschen. Ständig wird ein Opfermythos kreiert, nur weil Leute von woanders herkommen. Das finde ich schrecklich und falsch. Wir leben in einer globalisierten Welt, da sollte man sich nicht so an Herkunft festbeißen, was nicht bedeutet, dass ich mich verleugnen muss. Ich möchte auch nicht, dass mein Kurdischsein als Katalysator für meine Kunst gelesen wird. Ich bin doch nicht Künstlerin, weil ich Kurdin bin. Und ich bin auch nicht Kurdin, weil ich Künstlerin bin.


Nazanin Noori, 28, Theater- und Hörspielregisseurin, Musikproduzentin

Obwohl ich mich politischen Ideologien verweigere, verstehe ich mich als politische Regisseurin. Ein Beispiel: Auf einer Bühne kann ich eine Falschinformation glaubhaft inszenieren und im nächsten Moment enthüllen. Bestenfalls findet dann so etwas wie Selbstreflexion beim Publikum statt. Ich will niemanden belehren, ich kommentiere das Spiel vor allem durch Sound. Alle Ebenen müssen sich intermedial bedingen. Außer Heiner Goebbels und Ben Frost interessieren mich leider wenige Regiepositionen. Wäre die Theaterwelt diverser und offener, würde sie mehr Künstler*innen mit radikaleren Ansätzen anziehen.


Soleen Yusef, 33, Drehbuchautorin, Regisseurin

Ich beschäftige mich viel mit dem Thema Integration. Manchmal habe ich das Gefühl, dass in Deutschland damit in Wahrheit Assimilation gemeint ist, die totale Aufgabe der Identität. Weil man ansonsten immer anders bleiben wird. Bis zu meinem neunten Lebensjahr habe ich in Kurdistan gelebt. Ich bin kurdisch, aber auch deutsch aufgewachsen. Da sind immer zwei Herzen, die in einem pochen. Berlin ist meine Heimat seit über zweiundzwanzig Jahren. Eine reiche Stadt. Reich an Menschen und an politischer Vergangenheit. Wenn es einen Ort gibt, wo Diversität in Deutschland gelebt wird, dann hier. Die Stadt heißt alle willkommen. Ich fühle mich besser zu sagen: Ich bin Berlinerin. Als zu sagen: Ich bin deutsch.


Liesel Burisch, 33, Künstler*in

Viele meiner Arbeiten haben das geheime Ziel, den Betrachter vor sich selber zu entlarven. Nicht auf eine boshafte Art, sondern auf eine intime. Wie positioniert er sich im Prozess seiner Dekolonialisierung und in seinem Wissen um weißes Privileg? Wie in Bezug auf Sexualisierung und Objektivierung nackter Körper? Häufig behandle ich in meiner Kunst Themen, die mich bewegen. Dabei stelle ich mich und meine eigene Unsicherheit indirekt selbst zur Schau. Es geht um hyperkomplexe Fragestellungen, bei denen es mir schwerfällt, eine Antwort zu finden, vielleicht weil es nicht „die eine“ gibt. Mir ist es jedoch wichtig, sich einer Debatte nicht zu verweigern.

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