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Freundinnenschaft / F.A.Z Magazin

06.05.2019 · Seelenverwandte sucht man sich aus, anders als wirkliche Verwandte. Beste Freundinnen kann man überall kennenlernen - auf dem Schulhof, im Internet, im Zoo. Gemeinsam erzählen sie uns aus ihrem Leben.

Diese vier haben sogar einen gemeinsamen Song: „Le vent nous portera" von Sophie Hunger. „Der gefällt uns allen", sagt Frauke Gembalies. „Der Wind wird uns tragen" - für die Freundschaft der vier gibt es kaum einen stimmigeren Titel. Oft ist die Clique weit verstreut. Doch der Wind trägt sie seit 20 Jahren immer wieder zusammen. Die Freundinnen kennen sich aus Düsseldorf, wo sie alle lange lebten. Dass sie sich begegneten, hält Höke für einen „absoluten Glücksfall". Sie leitet mit ihrem Mann die Galerie Sies + Höke, Hornemann mit ihrem Mann Alexander die Schmuckmanufaktur Georg Horne-mann. Gembalies und Iliadis kommen aus der Mode, mit dem Label Gembalies entwerfen sie gemeinsam Kollektionen. Die Frauen verbindet „zum Beispiel die Liebe zu Schönem und Schöngeistigem", sagt Iliadis. Theater, Kunst, Mode, Musik. „Abgesehen von gemeinsamen Interessen haben wir schon viel miteinander erlebt, Höhen und Tiefen gemeistert. Zwischen uns gibt es keine Tabuthemen", sagt Höke. Mit ihren Familien und Partnern verbringen sie seit vielen Jahren die Sommer auf Sardinien, in Häusern gleich nebeneinander. Zum Glück verstehen sich auch die Kinder und Männer untereinander.

Sheila Marquez und Shanay Hall haben sich ausgerechnet im Zoo kennengelernt. Das war vor einigen Jahren in New York, und weil die Spanierin Marquez und die Australierin Hall damals als Models arbeiteten, gab es gleich Gemeinsamkeiten. Seitdem auch Sheila Marquez das hundefreundliche New York gegen das kinderfreundliche Berlin eingetauscht hat, treffen sie sich regelmäßig. Das liegt nicht zuletzt an ihren Kindern. „Natürlich hat man auch Freundinnen, die keine Mütter sind", sagt Shanay Hall. „Aber wenn Sheila anruft und mir davon erzählt, wie müde sie ist, dann weiß sie, dass ich sie wirklich verstehe." Hall, die mittlerweile nur noch gelegentlich vor der Kamera steht, arbeitet seit drei Jahren als Doula, als Geburtsbegleiterin. Anders als eine Hebamme ist eine Doula keine medizinische Helferin, sondern eine emotionale Stütze, eine Beraterin, die auch nach der Entbindung die junge Mutter noch länger begleitet. „Eine Doula ist wie eine Freundin", sagt Shanay Hall. „Tatsächlich bin ich mit den meisten meiner Kundinnen auch befreundet." Als Sheila Marquez zum zweiten Mal schwanger wurde, war klar, dass Hall in dieser Zeit eng an ihrer Seite stehen und bei der Hausgeburt dabei sein würde. Sie beide kennen den Umstand, weit weg von ihren Familien zu leben. „Mir war es deshalb wichtig, dass außer meinem Partner noch jemand dabei ist, dem ich vertrauen kann", sagt Marquez. Der Geburt beizuwohnen, das habe ihre Freundschaft weiter gestärkt, sagt Hall: „Du teilst einen der wichtigsten Momente deines Lebens miteinander." Jetzt erwartet Hall ihr zweites Kind. Auch das werden die Freundinnen gemeinsam erleben.

Nelly ist mit Ginggan befreundet, sie haben sich auf dem Reiterhof kennengelernt. Auch Zora ist Ginggans Freundin. Nelly und Zora sehen sich heute zum ersten Mal, „aber wir haben schon mal miteinander telefoniert, und das heißt was, ich telefoniere sonst nie", sagt Nelly. Ginggan weiß, dass sie sich auch gut verstehen werden. Sie sagt: „Wir alle drei lieben Pferde" - und alle fangen an zu lachen. Das sind Ginggan, Nelly und Zora, zwischen 14 und 15, zwischen Kindheit und Erwachsensein, denen das Elternwort Pubertät nie gerecht werden kann, außer, wenn es bedeuten soll, dass man beinahe jeden Tag die Chance hat, etwas zum ersten Mal zu tun. „In den vergangenen zwei Jahren ist wirklich so viel passiert", sagt Ginggan. Vor allem mit Jungs. Der erste Kuss, der „noch nicht so toll" war, der aktuelle Freund, mit dem das schon besser gehe. Die schwindelerregende Zeit erleben sie gemeinsam, sie reden über Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Träume. Nelly sagt: „Ginggan ist eine aufgeschlossene Person und kommt selbstbewusst rüber. Aber sie vertraut Menschen zu schnell." Und Ginggan sagt: „Nelly ist wie ein Turm, in dem man erst die Tür finden muss." Mit Zora erlebt sie „total verrückte Sachen, wir lachen die ganze Zeit".

Drei Jahre lang waren die Freundinnen auch Mitbewohnerinnen, erst vor kurzem sind sie jeweils mit ihren Partnern zusammengezogen. Trotzdem sprechen sie noch immer von „ihrer Wohnung". Bawa, in Edinburgh geboren und in den Vereinigten Staaten aufgewachsen, und die Kanadierin Flatley lernten sich in Stockholm kennen, wo sie gemeinsam bei einem Modelabel arbeiteten, Bawa im Designteam, Flatley im Studio-Management. Über Umwege landeten beide erst in Berlin und dann in einer Wohngemeinschaft. Die war für sie nicht bloß ein geteiltes Dach über dem Kopf, sondern auch ein kreativer Ort. „Im ersten halben Jahr hatten wir beide nicht viel zu tun", sagt Flatley. „Wir arbeiteten in unseren Zimmern an unseren Projekten." Yasmin Bawa entwickelte in dieser Zeit einen sogenannten Hanf-Beton, aus dem sie heute organisch anmutende Möbel und Gefäße entwirft. Ihre ersten Arbeiten, die auf dem Fußboden ihres Zimmers entstanden sind, hat Flatley spontan fotografiert, darüber entdeckte sie für sich die Fotografie. „Das Schöne ist, dass ich meine Ideen nie erklären muss", sagt Bawa.

Wann genau sich Teresa Bücker und Kübra Gümüsay das erste Mal begegneten, können beide nicht mehr sagen. „Vermutlich war es vor ein paar Jahren im Internet", sagt Bücker. Beide Frauen sind Journalistinnen, Feministinnen und Netz-Aktivistinnen. Bücker arbeitet als Chefredakteurin beim Online-Magazin „Edition F". Gümüsay ist Ko-Gründerin von Eeden, einem feministischen Kreativspace in Hamburg. Als Referentinnen sprechen sie regelmäßig auf Konferenzen und debattieren in politischen Talkshows. Beide finden, dass man die Themen Feminismus und Rassismus nicht voneinander trennen kann, weil sie sich verschränken und verstärken. So unterscheide sich beispielsweise der Sexismus gegenüber einer schwarzen Frau von dem, den eine weiße Frau erlebe. Dass sich Gümüsay und Bücker bei so vielen Überschneidungen irgendwann über den Weg laufen mussten, war klar. Dass sie gemeinsam für ihren Aktivismus einstehen würden, eigentlich auch. „Erstmals bewusst zusammengearbeitet haben wir nach den Ausschreitungen der Kölner Silvesternacht, als wir mit anderen Feministinnen den Hashtag #ausnahmslos gegen Sexismus und Rassismus initiierten", sagt Gümüsay. Teresa Bücker lernte sie dabei als eine Person kennen, die „sehr herzlich ist, gut zuhören und Probleme aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann. Egal wie zermürbend und kraftraubend die Arbeit manchmal ist, sie behält immer eine Besonnenheit, die guttut." Aus der gegenseitigen beruflichen Anerkennung heraus hat sich eine Freundschaft entwickelt. Als Gümüsay im vergangenen Jahr eine schwere Zeit hatte, war Bücker auch privat für sie da. „Ich glaube, du bist die erste, die ich angerufen habe", sagt Gümüsay.

Ein Fototermin während der Schwimmzeiten lässt diese Damen des Charlottenburger Damenvereins Nixe so kalt wie das Wasser im großen Becken. Zehn Minuten, länger dürfen die Aufnahmen im Stadtbad wirklich nicht dauern, sie wollen auf ihre Bahn. „Wir haben ja nur eine Stunde", sagt Kathrin. Das Training ist ihnen heilig. Einige kommen einmal die Woche, andere, wie Ewa, sogar dreimal, wenn sie es schaffen. Der Vereinssport ist eine Konstante und sozialer Anker im Leben der Frauen, oftmals bereits seit der frühen Kindheit. Claudia ist seit 44 Jahren Mitglied, Kathrin seit 48. Am Vereinsschwimmen schätzen die Nixen, „dass man eine feste Bahn hat, etwas Kontrolle und die Motivation durch die anderen", sagt Ulrike. „Und natürlich, dass man quatschen kann", sagt Ewa. Einige der Frauen sind auch privat befreundet, andere freuen sich über die sportliche Verbundenheit und den Austausch während des Trainings. Wie es den Kindern oder Enkelkindern der anderen geht, weiß hier jede. Ohnehin schwimmen bei den Nixen nicht selten mehrere Generationen von Frauen und Mädchen einer Familie. Dass die Vereinssatzung bis heute nur Frauen zulässt, zaubert bei einigen der Damen ein stolzes Lächeln aufs Gesicht. Frauenschwimmvereine gibt es nicht viele. 2018 feierten die Nixen Jubiläum, 125 Jahre gibt es den Verein nun. Die Gründung im Jahr 1893 blieb nicht ohne Protest der männlichen Öffentlichkeit. Schwimmsport für Damen existierte bis dato nämlich nicht. Dass Frauen in Deutschland heute selbstverständlich ihre Bahnen ziehen, ist auch dem Mut und Einsatz der allerersten Nixen zu verdanken.

Wenn man die beiden so anschaut, Martine QuiPique mit ihren unzähligen Tätowierungen, Piercings und den kurzen Haaren, wie sie vertraut den Arm um ihre Freundin Julie De Cuyper legt, dann kommt man nicht umhin, an Yin und Yang zu denken. An Gegensätze, die sich anziehen. „Wir sind schon sehr unterschiedlich", sagt De Cuyper. „Wir kommen beide aus Belgien. Uns verbindet zumindest schon mal der gleiche Humor", entgegnet QuiPique trocken. „Außerdem bist du viel klassischer, als du aussiehst", sagt De Cuyper. „Und du viel verrückter", entgegnet QuiPique. Die Freundinnen verbindet das Interesse an Piercings und Schmuck, selbst wenn der Zugang jeweils ganz anders ist. Für De Cuyper, die aus einer Schmuck-Familie kommt, erzählen die Stücke persönliche Geschichten. Als sie vor vier Jahren nach Berlin zog, baute sie mit Juuls Juuls einen Onlineshop für Echtschmuck auf und entwirft seither eigene Basics. Über Facebook lernte sie die Piercerin QuiPique kennen, mit der sie sich gleich verstand.

Schon auf dem Gymnasium waren die Hip-Hopperinnen Gizem Adiyaman und Lucia Luciano befreundet. Auf dem Pausenhof machten sie zusammen Musik. Einmal nahmen sie sogar an einer schulischen Talentshow teil, „leider haben wir verloren", sagt Gizem Adiyaman und lacht. Ihrer Liebe zur Musik hat das keinen Abbruch getan, insbesondere nicht jener zu guten Beats: „Ich mochte schon immer Hip-Hop", sagt sie. „Lucia feiert die Mucke, aber fand den Vibe auf den Partys nicht so nice." Denn dass Frauen in Clubs regelmäßig blöd angemacht und angegrabscht werden, ist bis heute leider keine Seltenheit. So auch im männerdominierten Hip-Hop. Das war einer der Gründe, warum in Gizem Adiyamans Kopf die Idee zu einer Hip-Hop-Partyreihe wuchs, „bei der marginalisierte Gruppen im Vordergrund stehen", Frauen genauso wie Schwarze, transgeschlechtliche oder queere Personen. „Mir war sofort klar, dass ich das mit niemand anderem als Lucia machen kann", sagt Gizem Adiyaman. Längst haben sich die Events der Veranstalterinnen und DJanes, die als Hoe_Mies auch zusammen auflegen und beide 28 Jahre alt sind, in der Berliner Szene etabliert. Nach zwei Jahren ist aus der ersten Idee ein zeitintensiver Vollzeitjob geworden. „Dass wir uns und die jeweiligen Stärken und Schwächen schon so lange kennen, hilft gerade in Stresssituationen sehr", sagt Lucia Luciano.

Styling: Leonie Volk Haare und Make-up: Isabel Maria Simoneth Stylingassistenz: Pina Riederer Fotografiert am 9., 10. und 11. März in Berlin

Herzlichen Dank an Rea Mahrous, Anne Elfaza, die Berliner Bäder Betriebe und das Stadtbad Charlottenburg.

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