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Bei Anruf – losbrüllen

Wer kennt das nicht? Der Chef geht einem auf die Nerven, der Partner verstreut seine Kleidung in der ganzen Wohnung, und man möchte einfach mal seinen ganzen Frust abladen – aber wo? Zwei Werber aus Frankfurt haben jetzt eine Lösung gefunden. Ein Anruf bei ihnen genügt und man kann all seine Unlust durch die Telefonleitung schicken. Anonym und ohne Konsequenzen. Alexander Brandenburger und Ralf Schulte sind die Betreiber der Hotline Schimpf-los.de


Alexander Brandenburger, von Beruf Art-Director, sitzt in einem Café am Main. Die Sonne scheint, es ziehen Radler und Skater im Hintergrund vorbei. Es sieht alles danach aus, als genieße er seinen Feierabend. Da klingelt sein Handy. Der 38-Jährige steht auf, geht ein paar Schritte, meldet sich freundlich, aber bestimmt. "Du bist hier bei schimpf-los.de, Du kannst mich jetzt beschimpfen."


In den kommenden durchschnittlich ein bis zwei Minuten wird er sich von der Person an der anderen Leitung beschimpfen lassen und das ebenso, wie es dem Anrufer gefällt. Das darf dann ausfallend, vulgär werden und laut. Eine ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung? Nein, es ist eine Dienstleistung, die sich Brandenburger und sein Kollege Ralf Schulte (41) bezahlen lassen. 1,49 Euro pro Minute kostet es, sich seinen Frust von der Seele zu reden – besser gesagt, zu schreien. Ein teures Vergnügen. Ein angemessener Preis, finden die Gründer. "Es kostet heute ja schon ein Vermögen, wenn man sein Auto parkt", so Schulte. "Bei uns bekommt man einen Adrenalin-Kick dafür", führt Brandenburger weiter aus.


"Jeder Anrufer hat die Freiheit, uns so zu beschimpfen, wie es ihm gefällt. Es gibt keine Regeln", erklärt Schulte. Wie es sich für Werber gehört, befanden sich die beiden gerade in einer beruflich sehr stressigen Phase und hatten sich dann überlegt, ein Ventil für all jene zu finden, die mal gehörig Dampf ablassen wollen. So entstand schimpflos.de, die erste deutsche Schimpfhotline.


Besonderen Wert legen die beiden darauf, dass die Anrufe in einem anonymen Raum geschehen und die Anrufer keine Konsequenzen zu befürchten haben. Schließlich kennen sie die Person am anderen Ende der Leitung nicht. "Sonst sind Partner, Chef oder Freunde ja sauer auf dich, das gibt es bei uns nicht", sagt Schulte.

Schreien an der Haltestelle

Die beiden Betreiber haben die Erfahrung gemacht, dass es den Anrufern schwer fällt, ihrer Wut freien Lauf zu lassen. "Es gibt keine Kultur des Schreiens mehr. Die Leute können nicht einmal mehr richtig brüllen", berichtet Brandenburger. Wenn das der Fall ist, dann helfen die Hotline-Betreiber gerne mal auf die Sprünge. Dann kommt es auch schon mal zu besonders ungewöhnlichen Situationen. Denn Brandenburger und Schulte üben ihre ausgefallene Tätigkeit rund um die Uhr und überall aus: "Einem meiner Anrufer musste ich das Ganze dann mal vormachen. Da stand ich dann mit meinem Auto an einer Bushaltestelle, brüllte in mein Handy, und alle drum herum hielten mich für einen Wahnsinnigen", erzählt Brandenburger und grinst. Trotz der ungewöhnlichen Arbeitszeiten stehen die Freundinnen der beiden hinter ihnen. Auch als potenzielle Arbeitgeber sind sie gefragt. Manch einer im Bekanntenkreis hat sich sogar schon als Aushilfskraft beworben. "Wir haben bereits Angebote von einigen Leuten bekommen, die für uns arbeiten und sich gerne beschimpfen lassen möchten", sagt Schulte. Noch mussten die beiden allerdings nicht auf Unterstützung zurückgreifen und können die Anrufe alleine bewältigen.


Anfragen aus aller Welt

Anders ist das allerdings, wenn es um die Presse geht. Gerade weil das Geschäft der beiden Männer etwas skurril erscheint, ist das Medieninteresse groß. Nachrichtenagenturen aus der ganzen Welt berichten über die ungewöhnliche Dienstleistung. Die Anrufer kommen aber bisher ausschließlich aus Deutschland. Ob es vermehrt Anrufe wütender Aktienbroker oder gestresster Banker aus der Mainmetropole sind oder ob sich schnoddrige Berliner über den Verkehr in der Hauptstadt beklagen, wagen die beiden noch nicht zu beantworten: "Wir legen gerade eine Statistik an, aber das lässt sich noch nicht ablesen", sagt Brandenburger. Viele der Anrufer sind Männer – und natürlich haben sich am Anfang Freunde und Bekannte den einen oder anderen Scherz erlaubt.


Gar nicht lustig fand ein Pfarrer die Hotliner. So hatte er den Betreibern vorgeworfen, sie würden sich durch die Gesprächskosten bereichern, weil bei einem längeren Anruf beachtliche Beträge anfielen. Dem entgegnet Schulte: "Bei uns ruft keiner länger als ein paar Minuten an – der Vorwurf ist nicht wirklich begründet." Auch haben Kritiker bemängelt, dass die beiden keinerlei psychologische Ausbildung besitzen. Dabei sind Schulte und Brandenburger durchaus für den Ernstfall gewappnet: "Wir haben uns von einer Psychologin beraten lassen", verrät Schulte. Als Konkurrenz zur Seelsorge verstehen sie sich ohnehin nicht: "Wenn wir merken, dass jemand bei uns fehl am Platz ist, dann verweisen wir ihn an professionelle Stellen", sagt Brandenburger. Sein Kollege sieht die Arbeit am Telefon entspannt. "Wir nehmen das Ganze mit Humor", betont Schulte.