Passen moderne Frauenpolitik und christliche Werte zusammen? Ja, kommentiert unsere Redakteurin Carolin Henkenberens. Es braucht aber mutige Vorreiterinnen und Veränderungen in der CDU.
Ein Kommentar von Carolin Henkenberens
Es war eine einfache Frage, die Angela Merkel gestellt wurde. Ein schlichtes „Ja" oder „Nein" als Antwort hätte gereicht. Kurz und klar. Stattdessen wiegte die Kanzlerin ihren Kopf zur Seite, nahm das Mikrofon von ihrer linken in die rechte Hand, lächelte verlegen und setzte dann, als das Publikum längst zu lachen begonnen hatte, zu einer sehr langen, sehr schwammigen Antwort an. Ab diesem Moment musste sich die Welt eingestehen: Die erste weibliche Kanzlerin Deutschlands ist gar keine Feministin.
Die überraschten Medienreaktionen auf diese wenig überraschende Reaktion Merkels waren ein Lehrstück dafür, wie sehr der Irrglaube verbreitet ist, dass eine Frau, die es an die Spitze geschafft hat, automatisch Feministin sein müsse. Merkels Auftritt auf dem Podium der Weltfrauenkonferenz im vergangenen Jahr ist aber vor allem deshalb interessant, weil er zeigt, wie schwer sich konservative Politikerinnen mit dem Bekenntnis zum Feminismus oft tun. Irgendwie wollen sie es, aber irgendwie auch nicht. Passen Feminismus und konservative Politik also überhaupt zusammen?
Seit jetzt schon 70 Jahren versucht eine Vereinigung für die Frauen in der CDU, die Frauen-Union, einen Spagat zwischen Tradition und Emanzipation hinzubekommen. Die Frauen-Union will gleiche Rechte, mehr berufliche Aufstiegsmöglichkeiten. Aber eben auch das bürgerlich-konservative Familienbild mit der Frau als Mutter wahren. Der Umsturz der Machtverhältnisse? Lieber sanfte Veränderung. Politik mit angezogener Handbremse.
Frauen-Union kann Erfolge aufweisenErfolge kann die Frauen-Union (FU) bei ihrer Verrenkung aber durchaus verbuchen: Sie hat 1996 in der Partei das Frauenquorum von einem Drittel für Ämter und Mandate durchgeboxt, hat für die Quote in Aufsichtsräten, die Mütterrente und „Nein heißt Nein" gekämpft. Doch männerdominiert ist die CDU immer noch. Bei Themen wie der „Ehe für alle" oder der Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen, zeigt sich außerdem: Die Frauen-Union macht Politik für Wenige. Für heterosexuelle, christliche Frauen.
Es fehlen moderne, mutige Vorreiterinnen an der CDU-Spitze. Frauen wie einst Rita Süssmuth. Die heute 81-Jährige verstand sich schon Mitte der 80er-Jahre als Anwältin für Frauen und betonte zugleich ihre katholische Identität. Die eher zufällig in die Politik gerutschte Hochschulprofessorin fühlte sich in der CDU wohl, weil sie da noch viel bewegen konnte. Dass die Hälfte den Frauen gehört, ist für sie Selbstverständlichkeit. 1988 wurde Süssmuth von Helmut Kohl auf den Posten der Bundestagspräsidentin verschoben. Die Familienministerin war ihm zu unbequem geworden.
Merkel gilt noch immer als "Kohls Mädchen"Die CDU setzt auf ein Vorbild, das bislang keines sein will: Angela Merkel. Die Kanzlerin sei ein Signal, dass Frau alles kann, sagte die FU-Vorsitzende und Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz im November dieser Zeitung. Ohne Zweifel taugt Merkel als Vorbild für Mädchen und Frauen. Nur sollte Merkel ihre Rolle auch so verstehen. Dass sie vor der Bundestagswahl betonte, genau so viele Frauen wie Männer ins Kabinett holen zu wollen (was aufgrund der CSU misslang), war ein erster Schritt. Jetzt muss sie nachlegen. Denn als Beispiel dafür, dass Gleichstellung erreicht ist, dass Frau alles (in der CDU) erreichen kann, nein, dafür taugt Merkel beim besten Willen nicht.
Bis heute wird Merkel als „Kohls Mädchen" beschrieben. Kohl förderte sie. So wie Rita Süssmuth von Heiner Geißler als gute Rednerin entdeckt und dann als Ministerin empfohlen wurde. Ursula von der Leyen dürfte ihre Blitzkarriere auch ihrem Vater Ernst Albrecht zu verdanken haben.
In Parteien entscheiden Netzwerke oder Förderer sehr stark, wer es nach oben schafft. In konservativen Parteien scheint der Effekt noch größer als bei linken Parteien, in denen basisdemokratische Entscheidungen und Transparenz eine wichtige Rolle spielen. Einige würden sagen: vieles tot diskutiert wird. Wenn in einer Partei Frauen nach oben kommen, die gute Verbindungen haben, hat das rein gar nichts mit gleichen Chancen zu tun. Diese Strukturen muss die CDU auch ändern, wenn sie mehr Frauen in ihrer Partei will, wie Merkel am Samstag betonte.
Die CDU wird nie eine Partei der Feministinnen sein. Das muss sie auch nicht. Aber sie sollte beweisen, dass sich christliche Werte und moderne Frauenpolitik nicht widersprechen müssen, dass Traditionen nicht wichtiger sind als Menschenrechte. Peter Altmaier hat vorgemacht, was andere sich vielleicht nicht trauten. Er sagte: „Ja, ich bin Feminist." Geht doch!
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