Das Leben kriecht zurück in die Region Ninive im Nordwesten des Irak. Schafhirten treiben ihre Herden über die Felder. In kleinen Garagen entlang der großen Straße haben Kioske wieder geöffnet. Es gibt Cola, Süßigkeiten und, so unwirklich das scheint; Hüpfpferde für Kinder. Die leuchtende Farbe ihrer gelben, roten, pinken oder blauen Plastikhaut überstrahlt die grauschwarze Ödnis aus Trümmern. Ein anderer Händler verkauft Fahrräder für Kinder, auch eine Autowerkstatt bietet ihre Dienste wieder an.
Doch das Leben kriecht langsam. Während hier und da schon Spielzeug den Besitzer wechselt, ist andernorts noch alles zerstört. Kühe grasen zwischen zerborstenen Steinen, zusammengefallenen Betonplatten und verrosteten Tonnen. Jeder Schutthaufen ein Haus, eine Familie, viele Schicksale. Das Vieh schert sich nicht darum. Es sucht im ausgedörrten Sandboden nach saftigen Halmen, bewegt sich kauend durch das Nichts.
Ninive litt am meisten unter dem TerrorNinive ist laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) die Region im Irak, die am meisten unter dem Terror des Daesch gelitten hat: Von den etwa drei Millionen irakischen Binnenvertriebenen, die seit Anfang 2014 ihre Dörfer oder Städte verließen, kommt die Hälfte aus Ninive. Viele von ihnen suchten Schutz in der Autonomen Region Kurdistan, in den Regionen um Dohuk oder Erbil etwa, manche flohen nach Bagdad, in die Türkei oder nach Europa. Einige schafften es aber auch nur ein paar Ortschaften weiter.
Militärisch ist der Siegeszug der Terroristen im Irak weitgehend gestoppt, die meisten Orte sind befreit. Das im Juni 2014 von Abu Bakr al-Baghdadi ausgerufene Kalifat ist gescheitert. Doch der Daesch hat das Land und die Menschen verändert. Im Norden des Irak hat sich eine neue Art der Zeitrechnung verbreitet. Viele sprechen nicht vom Jahr 2017, sondern von der Zeit „danach". Sie unterteilen ihr Leben und die Geschehnisse in ihrer Heimat in die Zeit, bevor die Mörderbande kam und in die Zeit nach ihr. So, als sei die Uhr auf null gesetzt worden. Die Worte „vor Daesch" und „nach Daesch" sind eingegangen ins Vokabular.
„Bevor Daesch kam, hatten wir ein großes Haus", sagt Ali Omar*. Ein sehr schönes Haus, fügt der alte Mann eilig hinzu und macht mit seinen knochigen Händen ausladende, kreisende Gesten. Früher, bevor Daesch kam, da habe die Familie drei Geschäfte in der 25 000-Einwohner-Stadt Zummar besessen, Kleidung verkauft. Jetzt ist das Haus zerstört. Ihr Leben danach, es ist geprägt von Not.
„Die Situation jetzt ist deprimierend", sagt das Familienoberhaupt und blickt sich in dem halbdunklen Raum um, auf dessen Fußboden er Platz genommen hat und der seit drei Jahren das Wohn- und Schlafzimmer der Familie ist. Rot-schwarz gemusterte Orient-Teppiche dienen als Sitzgelegenheiten. Über ihm, an der Decke, surrt ein Ventilator. Es riecht nach feuchtem Lehm, Kabel hängen aus der Wand. Es ist angenehm kühl. Draußen sind es jetzt in der Mittagszeit 45 Grad. „In diesem Haus gibt es nicht genügend Platz für uns alle", klagt Omar. 33 Personen leben in drei Räumen. Zur Familie gehören neben ihm und seinen beiden Ehefrauen seine drei Söhne und deren Frauen samt 24 Kindern. Keines der Kinder geht zur Schule.
„Wenn es regnet", sagt der alte Mann, „weicht der Lehm auf. Wenn es dunkel wird, kriechen Schlangen und Skorpione ins Haus." Seit ihrer Flucht aus Zummar in ein 30 Kilometer entferntes Dorf ist die Familie auf Hilfe anderer angewiesen. Die Nachbarn geben ihnen Essen, bieten Gelegenheitsjobs auf ihren Feldern oder lassen die Omars an ihrem Brunnen Wasser schöpfen. Fließend Wasser gibt es nicht. Vielerorts hat Daesch Pumpen gestohlen oder zerstört. Das Wasser, das vom Tigris kommt und im Mossul-Damm gestaut wird, gelangt nicht in die Dörfer.
„Die Region Ninive war vorher schon sehr arm", erklärt Benyamin Bedi, Sicherheitsexperte der Deutschen Welthungerhilfe (WHH). „Doch jetzt haben die Menschen oft nicht einmal mehr ihr Haus, haben Verwandte verloren, keine Schulen." Es gibt oft keine Krankenhäuser und Strom nur über Generatoren. Die WHH verteilt das Nötigste: Lebensmittel, Decken, Baby- und Hygieneartikel, Küchenutensilien, Wasserkanister oder Planen zum Schutz vor Regen.
Damit die Menschen aus den Flüchtlingscamps oder provisorischen Häusern in ihre Heimat zurückkehren, bedarf es jedoch mehr. „Erst einmal muss der Ort sicher sein", sagt Bedi. Deshalb konnte Familie Omar noch nicht zurück in ihren Heimatort. Die sunnitische Familie sollte warten, bis Mossul befreit wurde, sagten ihnen die Peschmerga, die Soldaten der kurdischen Autonomieregion im Irak. „Als die Befreiungsnachricht kam, haben wir gefeiert", erzählt Ali Omar. Die Familie hofft, bald zurück zu dürfen.
In Ninive sollen der IOM zufolge etwa 260.000 Menschen in ihre Dörfer und Städte zurückgegangen sein. Verlässliche Zahlen sind jedoch schwierig zu erhalten, täglich ändern sie sich. Ob die Menschen zurückkehren, hängt auch vom Wiederaufbau ab. „Die Familien kehren in ihre Dörfer zurück, wenn ein Ort wieder eine funktionierende Schule oder Wasserversorgung hat", erklärt Bedi. Es sei wichtig, den Menschen Hoffnung zu geben, dass sich was tut.
Bevölkerung hilft beim WiederaufbauDer Wiederaufbau geschieht oft mit Geldern internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen. Auch die WHH treibt die Instandsetzung von Straßen, Wasserpumpen oder Schulen voran. Im Ort Rabia etwa, nahe der syrischen Grenze. Durch Luftangriffe auf die Stellungen des Daesch wurden in der Stadt viele Gebäude zerstört. „Das Krankenhaus war so gut wie fertiggestellt, es sollte bald eröffnet werden", erzählt Bedi. Dann kam Daesch. Jetzt ist an eine Eröffnung erst einmal nicht mehr zu denken. Die Welthungerhilfe hat dort vor Kurzem eine Schule und einen Park wieder hergerichtet.
Die Bevölkerung hat dabei mitgeholfen. Gegen ein Gehalt von 25.000 irakischen Dinar (etwa 18,50 Euro) pro Tag konnten die Menschen beim Aufräumen oder Streichen helfen. Zwölf Tage durfte jeder mitarbeiten, am Ende gab es das Geld. „Cash for Work" nennt sich das Projekt. „Endlich hatten die jungen Leute wieder etwas zu tun", berichtet ein älterer Mann aus Rabia, der daran teilgenommen hat. „Die Arbeit hat den Tag strukturiert, sonst hingen die jungen Männer bis in die Nacht auf der Straße herum." Arbeit gibt es in der vom Krieg versehrten Stadt praktisch keine. Das Einzige, was hier an der Grenze zu Syrien floriert, ist der Schmuggel.
Das „Cash for Work"-Programm ist zwar zeitlich begrenzt, aber es soll Menschen in den Krisenregionen ermöglichen, sich das Nötigste zu kaufen. Eine Frau berichtet, sie habe von dem Geld ihre Schulden bei Markthändlern abgezahlt, eine andere bezahlte Medikamente davon, ein Mann investierte es in seine Universitätsausbildung in Dohuk. In 150 Dörfern im Nordirak wird das Projekt durchgeführt. 22,5 Millionen Euro stellt das deutsche Entwicklungsministerium dafür zur Verfügung - so viel wie für kein anderes Projekt der Welthungerhilfe.
Das Projekt soll den Menschen eine Perspektive in ihrer Heimat geben, Fluchtursachen bekämpfen. „Cash for Work" ist Teil der „Beschäftigungsoffensive Nahost", die die Bundesregierung bei der Syrienkonferenz Anfang 2016 ausgerufen hat. Auch in Jordanien, der Türkei und dem Libanon werden Geflüchteten und Einheimischen Jobangebote gemacht. Anfang des Jahres besuchte Minister Gerd Müller (CSU) den Irak, um sich das Prinzip anzuschauen. Mit einem Jahresbudget von 36,5 Millionen Euro ist der Irak das Land, für das die Welthungerhilfe derzeit mit Abstand am meisten Gelder erhält. Die Geber sind neben dem Entwicklungsministerium das Auswärtige Amt, die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit und die Vereinten Nationen.
Gemessen am Bedarf, sagt Mike Bonke, der Länderchef der WHH im Irak, seien die Mittel trotzdem zu wenig. Der humanitäre Plan der Vereinten Nationen schreibe für dieses Jahr einen Bedarf von 900 Millionen Euro für den Irak fest. „Aber momentan haben sie nur 400 Millionen." Weniger als die Hälfte des Bedarfs sei also gedeckt.
Mit mehr Geld ließen sich mehr Schulen aufbauen, mehr Güter verteilen. Was sich damit nicht kaufen lässt: Vertrauen. Denn das Leben nach Daesch ist geprägt von Angst. Die, die überlebt haben, können oft nicht mehr vertrauen. In einigen Orten haben Menschen ihre Nachbarn an die Extremisten verraten, haben mit ihnen kooperiert. Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn kaum noch jemand einem anderen traut? Wenn Menschen, die Jahrzehnte Tür an Tür lebten, deren Kinder zusammen spielten, so enttäuscht wurden?
„Dieser Genozid - und die Leute im Nordirak sprechen ganz klar von einem Genozid - ist eine sehr große, offene Wunde in dieser Gesellschaft", sagt die Bremerin Uta Beyer. Die 47-Jährige aus Vegesack ist Programmleiterin bei der Welthungerhilfe im Nordirak. Gemischte Ortschaften, in denen Jesiden mit anderen Religionsgruppen zusammenleben, gebe es so gut wie keine mehr. Jesiden, aber auch Christen fürchten sich vor arabischen Sunniten, weil Daesch überwiegend aus Sunniten besteht. Daesch verfolgt Jesiden als Teufelsanbeter.
Doch auch Sunniten leben in Angst - vor der Rache der Minderheiten. „Weil sie uns für die Taten von Daesch verantwortlich machen, haben Jesiden 42 Personen aus diesem Dorf ermordet", berichtet ein sunnitischer Mann aus der Nähe von Zummar. Ob der Fall stimmt, lässt sich nicht nachprüfen. Aber laut Amnesty International hat es Rachefeldzüge gegeben: Im Januar 2015 sollen jesidische Milizen in vier sunnitische Orte der Sindschar-Gegend eingedrungen sein und 21 Personen getötet haben. Gerüchten zufolge sollen auch vor wenigen Wochen wieder in der Nähe von Sinuni zwei Muslime von Jesiden ermordet worden sein.
Die ethnischen und religiösen Konflikte sind nicht neu im Irak. Unter Saddam Hussein dominierten 24 Jahre lang Sunniten den Staat, obwohl Schiiten eigentlich die Mehrheit stellen. Jesiden, Christen und andere Minderheiten machen gerade einmal drei Prozent der Bevölkerung aus. Hinzu kommt die Teilung in Araber und Kurden, die im Norden seit 1992 unter einer Autonomieregierung mit eigenem Präsidenten und Parlament leben. Ein Mix, den der Daesch mit seiner spalterischen Ideologie noch verschärft hat.
Das Leben nach Daesch ist besonders für die Jesiden schwierig. Eine Frau, die das deutlich macht, ist Shirin*. Sie ist eine stille Frau Mitte 30, die nur spricht, wenn sie explizit gefragt wird. Ein schwarzer Schleier bedeckt ihre dunklen Haare. Sie hat ihn weit ins Gesicht gezogen, bis über ihren Mund. Neben den alltäglichen Problemen, dem Durchfall etwa, dem salzigen Grundwasser oder der Tatsache, dass sie sich nur ein Frühstück leisten kann, erzählt die Frau von ihrer Furcht. „Ich habe Angst vor der Zukunft“, sagt sie leise. Davor, dass der Daesch wiederkommt. Oder eine andere Gruppe. Dass sie wieder fliehen muss. Dass ihnen ein 75. Genozid angetan werden könnte. 74 Mal nämlich, so zählen es die Jesiden, wollte man sie in ihrer Geschichte bereits auslöschen.
Shirins Mann wurde von Daesch getötet. Wie genau, sagt sie nicht. Sie sagt nur: „Es wurden so viele Männer getötet.“ Im August 2014 war das. Sie floh mit ihren drei Söhnen ins Sindschar-Gebirge. Mittlerweile ist sie zurückgekehrt in ihr Dorf nördlich des Gebirges, nahe der Stadt Sinuni. Das Dorf ist einer jener Orte, in dem die Straßen wieder aufgeräumt sind. Araber gibt es hier keine mehr. Wenn es hart auf hart kommt, argumentiert Shirin, werden die Peschmerga die Jesiden wieder nicht beschützen.
„Die Peschmerga haben die Jesiden alleine gelassen, als 2014 der Daesch kam“, sagt Beyer. Sie waren zunächst geflohen, statt gegen die Terroristen zu kämpfen. Erst mit der Unterstützung aus der Luft durch die westliche Anti-Daesch-Koalition vertrieben die Peschmerga die Islamisten. „Diese Erfahrung steckt so tief in den Menschen drin. Daher kommen diese Unsicherheit und das Misstrauen. Gegenüber den Peschmerga und der Politik im Allgemeinen.“
Die Heimat von Shirin ist ein Beispiel für die neuen politischen Konflikte im Leben nach Daesch. Längst ist Streit um das Territorium ausgebrochen. Das Gebiet um Sindschar gehört eigentlich zur Verwaltung der irakischen Zentralregierung in Bagdad. Doch seit der Befreiung vom Daesch haben die irakischen Kurden Tatsachen geschaffen: Die Peschmerga halten es unter ihrer Kontrolle, haben es in ein kurdisches Flaggenmeer verwandelt. An jedem Checkpoint lacht ein halbes Dutzend gelber Sonnen auf rot-weiß-grünem Grund.
Das Problem: Auch die kurdische Arbeiterpartei PKK aus der Türkei und die YPG, die Volksbefreiungsfront der Kurden aus Syrien, versuchen, dort Boden zu gewinnen. Die PKK und die YPG sehen sich als wahre Sieger der Schlacht um Sindschar. Nur dank ihnen, sagen sie, sei Daesch geschlagen worden.
Dass der Konflikt schnell gelöst wird, scheint unwahrscheinlich: Der irakische Kurden-Präsident Masud Barzani verkündete, das Territorium nicht mehr hergeben zu wollen. Für Barzani geht es um viel. In der Autonomen Region Kurdistan stehen bald Wahlen an, im September sogar ein Referendum über eine mögliche Unabhängigkeit vom Irak.
Die Jesiden werden dabei zum Spielball. „Viele wollen, dass Blauhelm-Truppen die Kontrolle übernehmen“, sagt Uta Beyer. „Es herrscht weder Vertrauen in die kurdische noch die irakische Regierung.“
Dem WHH-Länderchef Mike Bonke bereitet die politische Situation Sorgen: „Jeder hat verstanden: Isis ist schlecht. Aber jetzt wird es deutlich komplexer.“ Das Leben danach ist längst zu einem Leben mit neuen Auseinandersetzungen geworden.
Mit Sorgen betrachtet Bonke auch die schiitischen Milizen, die zusammen mit jesidischen Milizen einige Orte südlich des Sindschar-Gebirges befreit haben. Die Milizen gehören nicht zum irakischen Militär, sondern werden zum Teil vom Iran unterstützt. „Einerseits kann man sagen: Es ist gut, dass sie Isis geschlagen haben“, sagt Bonke. „Andererseits lässt sich auch sagen, dass das ihre Art ist, Einfluss auszuüben.“
Bonke warnt auch vor neuen Konflikten in Mossul, einer sunnitisch geprägten Stadt, in der es Daesch damals besonders leicht hatte, die Kontrolle zu übernehmen: „Es wird sicher Menschen in Mossul geben, die die Befreiung nicht als Befreiung empfinden“, meint der Entwicklungshelfer. Weil sie die irakische Armee nicht akzeptieren oder sich nicht von ihr geschützt fühlen könnten. Berichte von anderen Hilfsorganisationen legen nahe, dass irakische Soldaten Familien von Daesch-Mitgliedern hingerichtet haben.
Mittendrin im Konflikt: die Menschen. Mit Politik möchten die meisten wenig zu tun haben. Auf die Frage, was sie vom anstehenden Referendum über eine kurdische Unabhängigkeit vom Irak hält, sagt die Jesidin Shirin zum Beispiel: „Wir brauchen einfach nur jemanden, der uns beschützt.“ Und Ali Omar, der vertriebene Sunnit, meint: „Politik ist nichts für mich.“ Er will nur in Ruhe leben.
Ein kleiner Schritt auf dem Weg dahin wird an einem Juli-Nachmittag in einer Schule nahe dem Ort Sinuni gemacht. Kinder im Alter zwischen neun und 15 Jahren sprechen über Themen wie Liebe und Diversität. „Es geht darum, das Bewusstsein dafür zu stärken, was es heißt, sich gegenseitig zu respektieren“, erklärt Projektleiterin Raife Janke. Die Welthungerhilfe möchte mit diesen Workshops den Kindern beibringen, wie man friedlich miteinander umgeht. Graswurzelarbeit.
Die Kinder sollen Bilder malen, erst mit einem Stift, dann mit mehreren Stiften. Die 15-jährige Ferida* hat eine Friedenstaube gemalt. Andere Kinder einen Baum, Blumen, Sonnen. Als alle fertig sind, breitet die Gruppe die Werke auf dem Boden eines Klassenraumes aus. Jetzt sollen sich die Kinder entscheiden: Mögen sie die einfarbigen oder bunten Bilder lieber? Nur etwa die Hälfte der Kinder steht bei den bunten Bildern. Doch die Erklärung, die ein Mädchen vorbringt, das einfarbige Bilder bevorzugt, überrascht: „Weil Gott uns alle gleich geschaffen hat.“
Raife Janke macht sich nichts vor: Bis das fehlende Vertrauen wieder gewonnen ist, brauche es vor allem eines: viel Zeit. Als Vorbild sieht die Friedensarbeiterin etwa Ruanda: „Die massiven Gräben zwischen den Bevölkerungsgruppen im Irak zu überwinden, ist ein Unterfangen, das auf Jahrzehnte ausgelegt und systematisch betrieben werden muss.“
Der Mal-Nachmittag scheint den Kindern zu gefallen, sie lechzen nach Spaß nach all der Leidenszeit. „Sie wollen singen und Gedichte aufsagen“, erzählt Janke. Und wie zum Beweis grölt eine halbe Stunde später die Horde lauthals Lieder durch den Schulflur. Die Kinder singen ein Loblied auf die Peschmerga, die irakische Nationalhymne, Kinderlieder. Dann steht ein Junge auf, er will einen englischen Pop-Song singen, sagt er. Doch nicht irgendeinen: „You‘re my lover, undercover“, schallt es. „You‘re my secret passion and I have no other.“ Es ist das Lied, das 2005 den Eurovision Song Contest gewann, das musikalische Friedensprojekt schlechthin.
* Zum Schutz der Personen wurden die mit einem Stern markierten Namen geändert.
Carolin Henkenberens war für diese Reportage im Juli vier Tage im Nordirak unterwegs. Die Reise erfolgte auf Einladung der Deutschen Welthungerhilfe.