Carl Melchers

Journalist, Politologe, Berlin

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Ein unpassender Vergleich

Gute Miene zum bösen Spiel? Annalena Baerbock musste in letzter Zeit viel Kritik einstecken BILD: PICTURE ALLIANCE / DPA / KAY NIETFELD

22.07.2021

Die Vorwürfe gegen Annalena ­Baerbock und der US-Wahlkampf 2016

Ein unpassender Vergleich

Wie politische Gegner und Medien mit der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock umgehen, erinnert an die vorvergangenen US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Die Unterschiede überwiegen jedoch.


Gibt es in Bezug auf die Art, wie die Medien und die politische Konkurrenz mit der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock umgehen, Parallelen zum US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016? Dieser Frage ging der Journalist Georg Diez Anfang des Monats auf Twitter nach. Die New York Times und andere US-amerikanische Medien hätten, so Diez, inzwischen »verstanden und zum Teil eingestanden«, dass sie »damals die falschen Akzente« setzten, aus »Nebensächlichkeiten« wie den E-Mails der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton »ein Dauerthema« machten und »damit wirklich relevante Themen zu wenig« beachteten. Ähnliches geschehe nun im deutschen Wahlkampf: Baerbock würden »immer seltsamere Petitessen« angelastet. Dabei seien die Kandidaten von Union und SPD mutmaßlich in »massive Skandale« verwickelt.


Baerbock schien zum Zeitgeist zu passen – umso überraschender war es, dass sie und ihre Partei auf die ab Mitte Mai einsetzenden Debatten immer weniger souverän reagierten.


Der Politologe Floris Biskamp von der Universität Tübingen sagt im Gespräch mit der Jungle World, man dür­fe »die Analogien mit den USA 2016 nicht überstrapazieren«. Er finde es zwar »bemerkenswert«, wie bei Baerbock gerade jene Kritik verfangen habe, die sich als »inhaltsfern« auszeichne. Dennoch gebe es substantielle Unterschiede sowohl zwischen den Kandidatinnen Baerbock 2021 und Clinton 2016 als auch zwischen den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen der Wahlen. Clinton und ihr Konkurrent Donald Trump hätten gesellschaftliche Gegensätze personifiziert, während sowohl Baerbock als auch Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der Unionsparteien, als »Pragmatiker« gälten und sich damit in gewisser Hinsicht ähnelten.


Clinton war, als sie 2016 zum Wahlkampf antrat, bereits First Lady der Vereinigten Staaten, Senatorin des Bundesstaats New York und Außenministerin in der Regierung von Präsident Barack Obama gewesen – sie war also zu jenem Zeitpunkt sowohl in den USA als auch international alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Als solches gilt Annalena Baerbock den meisten außerhalb ihrer Partei und des Bundestags. Größere Bekanntheit erlangte sie erst 2018, als sie gemeinsam mit Robert Habeck den Parteivorsitz der Grünen übernahm.

Im April hielten ihr sowohl der ehemalige saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Linkspartei) als auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ihre relative Unerfahrenheit vor. Da war von besagten Petitessen, die jetzt gegen Baerbock ins Feld geführt wurden, noch gar nicht die Rede. Diese umfassen erst nachträglich dem Bundestag gemeldete Sonderzahlungen, spät korrigierte Details im Lebenslauf und die vermutlich nur geringfügigen, fast ausschließlich einzelne Sätze oder Satzteile betreffenden Plagiate in ihrem im Juni erschienenen Buch »Jetzt. Wie wir unser Land erneuern«. Über eine geförderte, aber nicht abgeschlossene Dissertation wurde in den Medien eifrig diskutiert, die Umfragewerte der Grünen sanken weiter. Als Baerbock Ende April ihre Kandidatur verkündete, wollten sagenhafte 28 Prozent der Befragten ihre Stimme den Grünen geben – damit lag die Partei vor der CDU. Derzeit kommt die Partei auf etwa 20 Prozent.


Die Grünen schienen zunächst alles etwas glatter und professioneller hinzubekommen als die Konkurrenz. Angesichts von Baerbocks relativer Unerfahrenheit war ihre Nominierung zwar ein Wagnis, sie schien als Kandidatin jedoch prädestiniert für die Stimmen all derer, die die mit Spott für die Ewiggestrigen von sich behaupten, »noch nicht bereit für einen Mann als Kanzlerin« zu sein. Baerbock evoziert dank ­ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer politischen Ausrichtung Vergleiche mit Jacinda Ardern – die 40jährige sozialdemokratische Premierministerin Neuseelands steuert ihr Land erfolgreich durch die Covid-19-Pandemie – oder Sanna Marin, der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Finnlands, die sogar erst 35 ist. Baerbock schien zum Zeitgeist zu passen – umso überraschender war es, dass sie und ihre Partei auf die ab Mitte Mai einsetzenden Debatten immer weniger souverän reagierten.

Als »durchaus vermeidbar« empfindet Biskamp die schlechte Lage der grünen Wahlkampagne. Schwer vorstellbar sei es, dass die an weit schmutzigere Kampagnen gewohnten Wahlkampfapparate der US-Parteien Schwachstellen wie die Baerbock zur Last gelegten nicht durch interne Prüfungen rechtzeitig bemerkt hätten.


Geradezu panisch reagiert das den Grünen nahestehende Milieu auf die sinkenden Umfragewerte. Gerne werden die Fehler kleingeredet und der Gegenseite wird eine Kampagne gegen die Kandidatin unterstellt. Doch werden auch Alternativen erwogen. Baerbock sei »an ihrem eigenen Ehrgeiz gescheitert«, ihre »Glaubwürdigkeit« sei »beschädigt«, schrieb Silke Mertins Anfang Juli in der Taz. Es sei nicht zu spät, sie als Kandidatin gegen den Co-Parteivorsitzenden Habeck auszutauschen. Der habe »alles, woran es Baerbock mangelt« – neben Erfahrung und Büchern, die niemand beanstande, vor allem die besagte Glaubwürdigkeit. Baerbock habe mit ihrer Selbstüberschätzung »dem Feminismus einen Bärendienst erwiesen«.


Die Politologin Friederike Beier von der Freien Universität Berlin bezeichnet diese Aussage Mertins im Gespräch mit der Jungle World als »schäbig«. Es sei wenig feministisch, einer Frau in Baerbocks Position übertriebenen Ehrgeiz und Selbstüberschätzung vorzuhalten. Das seien außerdem Eigenschaften, die unter Männern in der Politik allgemein verbreitet seien. Insgesamt sei, so Beier, die persönliche Kritik an Baerbock von Anfang in zwei gegensätzliche Richtungen gegangen: Einerseits werde in Zweifel gezogen, dass sie sich als Kanzlerin genug um die Erziehung ihrer beiden Töchter kümmern würde, andererseits werde ihr wegen ihrer Verpflichtungen als Mutter die Fähigkeit abgesprochen, eine gute Kanzlerin zu sein – eine Situation, in der sich Väter als Politiker nicht befänden.


Sowohl Lafontaine als auch Schröder kritisierten neben Baerbocks Unerfahrenheit allerdings auch ihre außenpolitischen Positionen. In den Worten Lafontaines bejahe Baerbock »völkerrechtswidrige Kriege, weitere Aufrüstung, Waffenlieferungen« sowie »die Einkreisung Russlands durch die USA«. Sie sei zudem »selbstverständlich gegen« das deutsch-russische Gaspipelineprojekt Nord Stream 2. Nach Schröders Einschätzung steht Baerbock dagegen für eine »moralisierende Außenpolitik«, die mit zahlreichen Staaten wegen deren Menschenrechtsverletzungen die Wirtschaftsbeziehungen abbrechen wolle – neben Russland auch mit China, Saudi-Arabien und der Türkei. Das solle sie einmal jenen deutschen Arbeitern erklären, deren Arbeitsplätze von deutschen Exporten abhingen, die man nicht nur in den USA absetzen könne. Er hoffe, Baerbock komme nie in die Nähe politischer Verantwortung.


Parallelen zwischen Baerbock und Clinton zeigen sich nicht nur in der Art, wie beide von ihren Gegnern und den Medien im Wahlkampf behandelt werden, sondern auch an dem Bild, das sie der Öffentlichkeit jeweils von sich vermitteln. Clinton stand inhaltlich für den neoliberalen Geist der neunziger Jahre. Für das dazugehörige politische Programm war in den USA die Regierung ihres Mannes Bill Clinton verantwortlich, in Deutschland die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder. Baerbock sieht sich selbst in der Tradition Joseph »Joschka« Fischers, der als Außenminister der Regierung Schröder den Grünen die Zustimmung zum ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr abrang, und gibt sich ähnlich pragmatisch.


Ähnlich wie Hillary Clinton vielen US-Linken als Verkörperung des demokratischen Parteiestablishments zutiefst suspekt war, besitzt auch Baerbock nicht unbedingt jene street credibility, die in den USA inzwischen durchaus da­zu beitragen kann, einen Sitz im Kongress zu erlangen. In dieser Hinsicht erscheint Baerbock heutzutage ähnlich unzeitgemäß wie Clinton 2016. Ob es den politischen Gegnern im Wahlkampfendspurt gelingen wird, weitere Petitessen gegen Baerbock zu skandalisieren, oder ob die Grünen zum Beispiel mit ihren Positionen zur Flutkatas­trophe wieder mehr Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen können, lässt sich noch nicht vorhersehen.

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