Bruno Angeli

Freier Journalist, Typograf und Publisher, Zürich

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Per Velo zum Geburtstermin

Jenny Lee, gespielt von Jessica Raine arbeitet als Hebamme und Krankenschwester im Nonnenkonvent «Nonnatus House».

Die BBC-Fernsehserie «Call the Midwife» spielt Ende der Fünfzigerjahre im Londoner East End. Die Krankenschwester und Hebamme Jenny Lee und ihre Kolleginnen  arbeiten und leben hier. Für ihre Hausbesuche schwingen sie sich auf ihre Velos.

Text: Bruno Angeli

«Call the Midwife» basiert auf dem gleichnamigen, 2002 veröffentlichten englischen Bestseller und den Nachfolgebänden «Shadows of the Workhouse» (2005) und «Farewell to The East End» (2009). Geschrieben hat die drei Bände die ehemalige Krankenschwester und Musikerin Jennifer Worth (1935–2011). Sie erzählt darin ihre Erlebnisse, die sie als Krankenschwester und Hebamme in den späten Fünfzigerjahren im Londoner Armenviertel East End erlebte.
Jenny Lee, gespielt von Jessica Raine, tritt ihre Stelle im Nonnenkonvent «Nonnatus House» an. Zunächst ist sie etwas enttäuscht, denn sie erwartete eine kleine Privatklinik in einem schicken Londoner Stadtteil. Doch hier im East End herrschen Armut und mangelnde Hygiene. Zusammen mit ihren Krankenschwesternkolleginnen Trixie (Helen George), Cynthia (Bryony Hannah), Chummy (Miranda Hart) und den Nonnen Schwester Julienne (Jenny Agutter), Schwester Evangelina (Pam Ferris), Schwester Monica (Judy Parfitt) und Schwester Bernadette (Laura Main) widmet sie sich aber hingebungsvoll den vielfältigen Aufgaben. Sie schwingen sich auf ihre Velos und fahren damit zu ihren Einsatzorten. Es gibt viele Entbindungen, die nicht immer glücklich enden, und es gilt Patienten mit Syphilis und anderen Krankheiten zu betreuen. 

Chummy lernt Velo fahren 
Die beste Veloszene in der ersten Staffel von «Call the Midwife» hat Miranda Hart. Als Schwester Chummy Browne stösst sie in der zweiten Episode zum Nonnatus House. Die «Neue» ist eine erfahrene Krankenschwester, muss aber für die Arbeit als Hebamme noch dazulernen. Die gross gewachsene Frau stammt «aus gutem Hause» und gilt als etwas ungeschickt im Umgang mit aller Art Gerätschaften, was ihr einiges an Häme einbringt. Die Frau hat es nicht leicht. Neben einer extrem schwierigen Entbindung hatte sie zuvor noch eine andere schier unlösbare Aufgabe vor sich: Sie musste Velo fahren lernen!
Ein Auszug aus dem Roman, der diese Szene schildert: «Cynthia, Trixie und ich gingen mit ihr zum Fahrradschuppen und suchten uns das grösste Exemplar aus – ein riesiges, altes Raleigh-Rad, Baujahr etwa 1910, ganz aus Eisen, mit einem Rahmen für Damen und hoher Lenkstange. Die massiven Reifen waren etwa sieben Zentimeter dick, und es gab keine Gangschaltung. Die erste Lehr-Fahrstunde endete mit einem Crash. Chummy und Jenny fuhren ausgerechnet in einen Polizisten. Chummy landete für drei Tage im Bett. Der Arzt diagnostizierte bei ihr einen Spätschock und eine leichte Gehirnerschütterung.»
Die Schauspielern Miranda Hart ist im echten Leben eine begeisterte Velofahrerin: «Ich fuhr mit dem Rad von O’Groats, ganz oben in Schottland nach Lands End, in Cornwall, England. Das ist einmal durchs ganze Land. Ja, das habe ich geschafft!» Und jetzt sollte sie auf einmal vergessen, wie man Velo fährt? «Ich dachte: Tja, das wird was! Wie soll ich das nur spielen? Aber es stellte sich heraus, dass man gut fahren können muss, um Straucheln und Umfallen darzustellen. Es hat gut funktioniert!» 
«Call the Midwife» ist eine empfehlenswerte Serie mit viel Gefühl, aber auch Verstand. Man erfährt vieles über den Stand der Medizin und das soziale Umfeld in den Fünfzigerjahren. Jennifer Worth schreibt in ihrem Buch: «Als die Pille in den frühen Sechzigerjahren auf den Markt kam, war das die Geburtsstunde der modernen Frau. In den späten Fünfzigerjahren verzeichneten wir in unseren Büchern zwischen achtzig und hundert Geburten pro Monat. Bis 1963 war diese Zahl auf vier bis fünf pro Monat gefallen. Das ist mal ein gesellschaftlicher Wandel.»

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