Bruno Angeli

Freier Journalist, Typograf und Publisher, Zürich

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Ein Blick hinter den Schleier

"Wadjda" ist der erste Kino-Spielfilm, der in Saudi-Arabien gedreht wurde. Die mutige Haifaa Al Mansour schrieb das Drehbuch und führte auch Regie. In der Hauptrolle ein kleines Mädchen, das sich sehnlichst ein Fahrrad wünscht. 


Von Bruno Angeli


Die 10-jährige Wadjda (Waad Mohammed) lebt in Riad, der Hauptstadt von Saudi-Arabien. Das aufgeweckte Mädchen trägt zu traditionellem Schwarz westliche Converse-Turnschuhe und hört gerne Popmusik. Sie lebt in einer widersprüchlichen Realität. Einerseits strebt man nach westlichen Gütern wie Playstation, Laptop und Handy, auf der anderen Seite dürfen die Frauen im islamisch konservativen Königreich Saudi-Arabien in der Öffentlichkeit nur mit einem Schleier nach draussen. Um reisen, arbeiten, oder heiraten zu dürfen, müssen sie die Erlaubnis eines männlichen Leumunds einholen. Eines Tages entdeckt Wadjda auf einem Autodach ein grünes Fahrrad. Sie folgt dem Wagen. Vor einem kleinen Krämerladen wird das Rad abgeladen. Es steht zum Verkauf. Das Mädchen bittet den Händler, es für sie zu reservieren. Wadj­da wird dafür sparen. Sie möchte mit ihrem Spielkamerad Abdullah (Abdullrahman Al Gohani) und anderen Jungs, die alle schon ein Fahrrad besitzen, mit diesem grünen Rad um die Wette fahren. Doch bei ihrer Mutter (Reem Abdullah) kommt der Wunsch nicht gut an. Sie befürchtet Repressionen, denn Fahrradfahren ist Frauen und Mädchen strikte verboten. Man fürchtet um ihre Tugendhaftigkeit. Wadjdas Versuche, das Geld für das Rad zusammenzubringen, erhalten einen argen Dämpfer. Sie wird von der Schuldirektorin als Kurierin zwischen einem jungen Pärchen erwischt. Auch zuhause steht es nicht zum Besten. Die Mutter ist damit beschäftigt, ihren Mann zu überzeugen, keine zweite Frau zu ehelichen. Wadjda schöpft neue Hoffnung, als sie erfährt, dass es bei einem Koran-Rezitations-Wettbewerb Geld zu verdienen gibt. Sie legt sich mächtig ins Zeug und büffelt - auch mittels einer Playstation - Koranwissen. Parallel dazu bringt ihr Abdullah im Versteckten das Fahrradfahren bei. Dabei leistet sich der Junge einen kleinen Fauxpas. Wadjda ist beleidigt und beginnt zu weinen, als sie sieht, dass Abdullah Stützräder montiert hat.


Schwierige Arbeitsbedingungen 


Die Dreharbeiten vor Ort waren kom­pliziert. Zwar seien alle benötigten Dreh­bewilligungen vorhanden gewesen, dennoch mussten einige Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, schildert der deutsche Produzent Gerhard Meixner. Es wurden Aufpasser losgeschickt, um vor Unannehmlichkeiten wie dem Besuch der Religionspolizei oder unfreundlichen Bewohnern rechtzeitig gewarnt zu sein. Das Drehteam rüstete für die Aussenaufnahmen einen Bus mit zwei Monitoren aus, Haifaa Al Mansour musste via Funkgerät Regieanweisungen geben. Haifaa Al Mansour gewährt uns mit "Wadjda" einen lehrreichen Blick in das uns unbekannte Saudi-Arabien. "Es war wichtig für mich, in diesem Film die Männer nicht als Stereotypen oder Bösewichte darzustellen. Männer und Frauen sitzen im selben Boot. Beide werden vom System gezwungen, sich nach bestimmten Regeln zu verhalten." Ihr gefielen vor allem die Szenen mit Tochter und Mutter. "Wenn die beiden miteinander kochen und singen, verspürt man ihre Liebe zueinander. Da entsteht etwas sehr Schönes." Aus westlicher Sicht scheint vieles befremdlich. Dennoch kommt Saudi-Arabien langsam in Bewegung. Fahrrad fahrende Mädchen sind erst der Anfang. Seit Kurzem ermöglicht König Abdullah den Frauen bessere Arbeitsmöglichkeiten, und in zwei Jahren sollen sie auch wählen dürfen.


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