New York State, 2020, mitten in der Pandemie. Der Ort ist das großzügige Anwesen der Familie Senderovsky in Upstate New York: Sechs Häuser, ein Park, ein Wald. Masha ist Psychotherapeutin, Sasha ein Schriftsteller komischer Romane und ebenso wie sein Erfinder, der Autor Gary Shteyngart, 1972 in Leningrad geboren. Adoptivtochter Natasha ist acht und nach eigenem Bekunden "genderfluid". Dazu kommen fünf illustre Freunde mit türkischen, chinesischen, indischen, koreanischen und skandinavischen Wurzeln, die sich auf Einladung der Senderovskys eine Zeit lang bei ihnen vor dem Virus in Schutz bringen wollen. Allerdings sehen sie ihrer Notgemeinschaft im Stillen mit Skepsis entgegen. Einer von ihnen ist der vermögende Ed Kim, aus Südkorea.
Alkoholexzesse und sexuelle Eskapaden
"Unterdessen erspähte Ed, während Senderovsky über das Wetter, die politischen Nachrichten, Spekulationen über das Virus, die jeweiligen Vorteile von mild gewürzter und scharfer italienischer Wurst schwatzte, am Horizont ein ausgedehntes Frontensystem von Langeweile, von endlosem Obere-Mittelschicht-Geplauder, schlecht gemixten Negronis, heimlich gerauchten Zigaretten. Was sollte er machen? Sein Freund hatte ihn gebeten zu kommen, und die inzwischen zum Verstummen gebrachte City wäre noch deprimierender."
Landpartie von Gary Shteyngart
Die Dynamik zwischen den acht Freunden entwickelt sich in der Folge noch weit explosiver als Ed es ahnt: Beliebt sind Alkoholexzesse, sexuelle Eskapaden, Intrigen, große fernöstliche Menüs und Zusammenstöße mit Trump-Anhängern aus der Nachbarschaft. Eigentlich läuft alles ständig aus dem Ruder. Höhepunkt ist Auftritt und Abgang eines namenlosen Schauspielers, von dem es heißt, er habe "einen honigsüßen Blick, aber eine verfaulte Seele".
Käfig voller Narren
Cover: Gary Shteyngart "Landpartie"
Mit dem Hintergedanken, eine unglückliche Liebe zu Dee, der jüngsten und attraktivsten Frau in der Runde, könne seiner Bühnenpräsenz den letzten Schliff verleihen, beginnt er eine Affäre mit ihr. Doch seine Agentin ist gegen die Verbindung und so verschwindet er bei Nacht und Nebel. "Mit der Abreise des Schauspielers war es, als wäre ein Fabrikbesitzer fortgegangen und die Arbeiter spazierten leicht benommen an den stillstehenden Fließbändern vorbei. Gehörte das alles jetzt ihnen? Was würden sie tun, nun da der klotzige Name nicht mehr über dem Eingangstor stand? Seltsamerweise rückten die sieben verbliebenen Bewohner der Kolonie enger zusammen."
Die Eintracht nach dem Abgang des Schauspielers dauert jedoch nicht lang. Bald geht es wieder rund. Der Roman wäre passend mit "Ein Käfig voller Narren" überschrieben, wenn dieser Titel nicht schon lange vergeben wäre. "Landpartie" von Gary Shteyngart mag im Grunde eine Satire auf den Beziehungsstil der diversitätsbesessenen liberalen oberen Mittelschicht der USA sein, aber diese Satire ist kaum mehr zu erkennen unter der Flut absurder Verwicklungen, hysterischer Dialoge und gehobener Albernheiten, die der Autor darüberlegt.
Überambitioniertes Pointengewitter
Wie in einer amerikanischen Sitcom folgt Pointe auf Pointe. Ein Beispiel von vielen: Eines Nachts, der Himmel hängt voller Glühwürmchen, will Vinod, einer der Gäste, die Frau küssen, für die er schon lange schwärmt, Karen, eine Studienfreundin von Sasha. Aber was tut sie? Karen, von Beruf Programmiererin, konstruiert einen komplizierten Vorwand, um der Situation jede Romantik zu nehmen.
"Für ihren Blick hatten die nostalgisch anmutenden Insekten etwas Programmiertes. Mit ihrem Aufblitzen waren sie fast zu perfekt randomisiert, ein hypnotischer Algorithmus, geschrieben, um Gegenwart und Vergangenheit durcheinanderzubringen."
Landpartie von Gary Shteyngart
Zuweilen ist Gary Shteyngart seine Sprache zu groß, zu anspruchsvoll geraten. Sie verklausuliert mehr, als dass sie trifft, was Sache ist. Bei Karen beispielsweise ist es womöglich ganz banal Angst, sich zu verlieben. Die Sätze rattern und klappern im selbstgenügsamen und überbordenden Ideen-Bergwerk des Autors. Das Ende des Romans dagegen ist vielversprechend, denn Senderovsky gelobt, nur noch "ernsthaftere" Romane zu schreiben. Er will nicht mehr die "Ein-Mann-Clowns-Truppe" sein, die seine Frau in ihm sieht. Hier können die Leser, die beim Roman "Landpartie" bis zum Schluss durchgehalten haben, hoffen, dass Gary Shteyngart sich vielleicht auf seine Anfänge besinnt. "Das Handbuch des russischen Debütanten" aus dem Jahr 2002 gewinnt aus dem ernsthaften Blick eines sowjetischen Einwanderers auf die Überflussgesellschaft Amerikas seine Schlagkraft. Das Buch war und ist eine der besten Satiren auf das Land. Daran sollte Shteyngart wieder anknüpfen.
Gary Shteyngart: "Landpartie". Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl, Penguin Verlag Die Besprechung läuft am 19.Juni im Büchermagazin Diwan, das Sienachhören und abonnieren können.