Im Berliner Nachtleben ist er eine Größe, jetzt veröffentlicht Behzad Karim Khani sein erstes Buch: Der 45-Jährige hat mit "Hund Wolf Schakal" einen brutalen Gangsterroman geschrieben - und sein eigenes Leben aufgearbeitet.
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Drei Tischen hat er gerade einen frischen, kastanienbraunen Anstrich verpasst. Jetzt steht Behzad Karim Khani mit einem Gartenschlauch in der Hand auf dem Bürgersteig der Reichenbergerstraße, gut 500 Meter vom Kottbusser Tor entfernt, und wäscht, wie er es nennt, den Vorabend von der Straße. "Riecht nach Kreuzberg", meint er und setzt einen Rasensprenger an den abgegrenzten Baum und das Gebüsch, die den Blick auf die Straße und den Bioladen gegenüber blockieren.
Behzad Karim Khani ist Schriftsteller und Betreiber der Lugosi Bar in Berlin. In seinem Debütroman hat er Teile seines eigenen Lebens und zwei Jahrzehnte Berliner Nachtleben zu einer psychologischen Gangstererzählung geformt. "Hund Wolf Schakal" erzählt die Geschichte der Brüder Saam und Nima, die mit ihrem Vater Mitte der Achtzigerjahre vor Krieg und Verfolgung in Iran nach Neukölln fliehen. Der ältere, Saam, wird zum Schläger und Gangster, während der Jüngere aufs Gymnasium geht und Drogen dealt. Vater Jamshid fristet ein passives Dasein und trauert über den Tod seiner Ehefrau in einem iranischen Foltergefängnis.
In kurzen Sätzen und mit teils rasendem erzählerischem Tempo zeichnet der Roman das Bild eines düsteren Neuköllns um die Jahrtausendwende. Es ist eine Männerwelt, die von abwesenden Bossen und den Geistern der Vergangenheit regiert wird. Frauen sind Mütter, Freundinnen, Prostituierte - oder tot. Saam und seine Freunde sind bloße Fußsoldaten, die Rasierklingen auf der Zunge balancieren, mit denen sie ihren Feinden das Gesicht zerschneiden. Einzig Nima hat Kontakt zu Vorstadthausexistenzen, für die er am Ende aber doch nur Verachtung übrig hat.
"Ich habe sowohl in Nimas Welt gelebt als auch in Saams", sagt Karim Khani, der gern von den Gemeinsamkeiten zwischen ihm und seinen Romanfiguren spricht. Er selbst, Jahrgang 1977, kam mit seinen Eltern und seinem Bruder 1986 von Teheran nach Deutschland - allerdings nicht in die Hauptstadt, sondern ins Ruhrgebiet. Bereits als Kind schrieb er Gedichte, auch sein Vater ist Schriftsteller. Doch in Deutschland fing Karim Khani erst mal nichts an mit seinem Talent. Persische Lyrik und Plattenbausiedlung - das passte für ihn nicht zusammen. Ersatz für die verlorene Poesie der Muttersprache fand er in den englischen Reimen und Geschichten von Rap-Künstlern wie Ice Cube oder Nas, deren Rhythmus und stakkatohafte Sätze bis heute in seiner Prosa widerhallen.
Karim Khani fühlt sich damals, als würde er in zwei Welten leben: "Ich ging aufs Gymnasium und hatte Vorstrafen." Er erzählt, wie er als Jugendlicher gedealt und man ihn mit einem halben Kilo Marihuana erwischt habe, wie ihm das eine Bewährungsstrafe eingebracht hat. Die Schule schaffte er trotzdem, wechselte sogar auf die Uni. Nach einem abgebrochenen Studium der Kunstgeschichte und der Medienwissenschaft in Bochum zog Karim Khani nach Berlin und blieb. Schnell landete er in der Partyszene der frühen Nullerjahre und gründete mit Freunden die Bar 25, einen bis 2010 existierenden Open-Air-Technoklub am Spreeufer.
Seit elf Jahren betreibt Karim Khani nun seine Bar - so lange, dass während des Treffens am Nachmittag kaum eine halbe Stunde vergeht, ohne dass er angesprochen, begrüßt, geküsst oder behelligt wird. Doch damit soll, auch wegen des auslaufenden Mietvertrags im immer teurer werdenden Kiez, bald Schluss sein. "Ich habe jetzt 25 Jahre in der Nacht gearbeitet. Ich habe alles gehört, was Menschen einander sagen können. Ich bin damit durch", sagt Karim Khani scherzend und ernst zugleich.
In den Jahren vor dem Roman schrieb Karim Khani neben dem Barbetrieb Drehbücher und Essays für Zeitungen. Dass der Hip-Hop-Gott Kendrick Lamar im Jahr 2018 für sein Album "DAMN." den Pulitzerpreis gewann, verstand Karim Khani als Auftrag von ganz oben, sich mit voller Aufmerksamkeit an seinen Debütroman zu setzen. "Kendrick hat die Fähigkeit, von seiner Gebrochenheit zu reden. Er hat dieses Wissen, wem die Straße wirklich gehört: nicht der Gang, nicht der Knarre, sondern dem Staat, der Polizei." Und wirklich klingt Karim Khanis Buch manchmal, als sei es Teil der erzählten Welt von "Good Kid, M.A.A.D. City", dem Frühwerk Lamars, in dem er sein schwieriges Heranwachsen zwischen Gang-Kriegen und pubertärem Größenwahn beschreibt.
Ein großer Teil des Buchs beschäftigt sich mit dem tragischen Leben von Saam, dem sensiblen Kind belesener Eltern, das als Junge in Iran Insekten gesammelt hat und mit Anfang zwanzig - nach einer Knastschlägerei in Isolationshaft - wieder eine Fliege als Haustier hält. Sie stirbt, wie so vieles in Karim Khanis unbarmherzigem literarischen Universum. "Ich war Saam und bin Nima", fasst er seine eigene Biografie zusammen.
Vor einiger Zeit, so erzählt Karim Khani, sei er zur Therapie gegangen und habe sein Innenleben mithilfe einer Aufstellung der verschiedenen Rollen, die er in sich vereint sah, kartografiert. Seinem früheren, gewalttätigen Ich habe er mit seiner Therapeutin den Namen "Dobermann-Behzad" gegeben und versucht, dessen zerstörerisches Potenzial positiv zu nutzen. "Der Dobermann-Behzad ist Saam. Er ist einer, der etwas verändern und mit seinen Mitteln vorankommen will."
Vor Kurzem las Karim Khani einen Ausschnitt seines Romans bei den 46. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Es sei seine erste öffentliche Lesung gewesen, für einen Preis reichte sie nicht. "Ich hatte überlegt, den Text mit einer Rasierklinge im Mund vorzutragen" - eine Anspielung auf die Ingeborg-Bachmann-Preis-Lesung von Rainald Goetz im Jahr 1983, der sich mit einer solchen die Stirn aufritzte und seinen Körper und Text vollblutete. Doch Karim Khani blieb brav, blieb der Mann im weiten T-Shirt mit rasiertem, unversehrtem Schädel, goldumrandeter Brille und goldener Uhr, der er heute ist - ein Schriftsteller, kein Dobermann.
Karim Khani schreibt bereits an seinem nächsten Buch und spielt mit dem Gedanken, in Zukunft die meiste Zeit des Jahres auf Sizilien zu verbringen, weit weg vom dunklen, launigen Berlin, das ihn vor mehr als 25 Jahren so anzog. Was damals den Reiz ausmachte? Eine Bekannte habe ihm einst eine treffende Beschreibung der Hauptstadt geliefert: "Niemand liebt dich, aber alle lassen dich in Ruhe."
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